Ein Raubtier soll durch die Wälder um Kestenholz SO geistern. Dieses Problem kennen britische Bauern bereits: Panther, Pumas und Luchse sollen auf der Insel zugange sein.
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Entflohene Raubtiere wie der mutmassliche Panther im Oberaargau versetzen die Bevölkerung in Angst und Schrecken. 2008 zum Beispiel riss ein Tiger im US-Bundesstaat Texas aus. Und auch in Grossbritannien werden immer wieder vermeintliche Grosskatzen gesichtet.

«Offenbar gibt es da einen Tiger - und so wie ich es verstanden habe, hat er Hunger.» Diese Worte von Jim Varbrough, Bezirksrichter von Galveston in Texas, trugen wohl nicht viel bei zur Beruhigung der ohnehin arg gebeutelten Bevölkerung der südtexanischen Stadt. Nachdem Hurrikan «Ike» bei seinem Zerstörungswerk auch einen Zoo in Mitleidenschaft gezogen hatte, stellte sich heraus, dass einige Grosskatzen den Weg in die Freiheit gefunden hatten. Vom Tiger fehlte jede Spur, doch eine verängstigte Löwin wurde beobachtet, wie sie die Nacht in einer Kirche verbrachte (20 Minuten Online berichtete).

Kann ein Tiger in der texanischen Wildnis überleben? «Die grösste Überlebenshürde für eine entlaufene Wildkatze ist, nicht von der Bevölkerung entdeckt und eingefangen oder getötet zu werden», so Prof. Dr. Homayoun Bagheri, Professor für Populationsgenetik an der Universität Zürich, gegenüber 20 Minuten Online. «Sollte der Tiger diese Hürde nehmen, bliebe ihm immerhin eine 50-prozentige Überlebenschance - wenn er das nötige Nahrungsvorkommen und Klima vorfindet. Theoretisch wäre sogar eine Hybridisierung mit lokalen Grosskatzen denkbar. Wichtigste Bedingung bleibt aber ein Lebensraum, der nicht zu stark von Menschen besiedelt ist - Bergregionen oder Wälder - dann gäbe es eine Chance».

Auch Urs Breitenmoser, Projektleiter der Koordinierten Forschungsprojekten zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz (KORA), bestätigt gegenüber 20 Minuten Online: «Gerade in Texas befinden sich einige Tausend Tiger in Privatbesitz - dementsprechend entlaufen einige davon jedes Jahr. Es gibt sogar eine Beobachtung von Tiger-Reproduktion in freier Natur in Texas.»

«Fremde Grosskatzen»

Andere Theorien besagen aber, dass kleinere Grosskatzen-Populationen selbst in verhältnismässig dicht besiedelten Gebieten möglich sind. Auch in Westeuropa, genauer in der lauschig grünen Landschaft Britanniens.

Dass auf den britischen Inseln eine fortpflanzungsfähige Raubkatzen-Population existiert, ist zwar nicht naturwissenschaftlich bewiesen, aber im Bereich der Kryptozoologie - dem Forschungszweig, der sich mit Tierarten befasst, deren Existenz umstritten ist - zumindest eine der plausibleren Theorien. Diverse Forschungsgruppen wie «Big Cat Research Group» oder die «British Big Cats Society» untersuchen das Phänomen und kommen zum Schluss, dass es wissenschaftlich gesehen durchaus möglich wäre, dass «Alien Big Cats (ABCs)» (zu Deutsch: fremde Grosskatzen) in Britannien heimisch würden. Nahrung gibt es in Hülle und Fülle, ebenso wie Unterschlupfmöglichkeiten in den Weiten der Countryside, so die BBC.

Modeaccessoire Panther

Raubkatzen gelten auf den britischen Inseln seit dem ersten Jahrtausend vor Christus als ausgestorben; die grösseren Spezies - Leoparden - gar seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 12 000 Jahren. Und doch gibt es seit Jahrhunderten vereinzelte Berichte über Grosskatzen. Seit den Siebzigerjahren häufen sich indes die Indizien.

Bevor der Dangerous Wild Animals Act 1976 eingeführt wurde, war es den Briten erlaubt, exotische Wildkatzen zu halten, was in den 70ern in trendigen Londoner Jet-Set-Kreisen zu einer Art Mode geworden war. DerDangerous Wild Animals Act erschwerte nun die Haltung solcher Grosskatzen als Haustier erheblich, weshalb sich viele Halter etwas einfallen lassen mussten, um die Grosskatzen wieder loszuwerden. Das Gesetz verbot zwar, Grosskatzen zu halten, aber nicht, diese in der Natur auszusetzen. Dieser Missstand wurde erst 1982 berichtigt. So hatten viele Halter genügend Zeit, ihre Tiere auszusetzen, wo sie sich zu Populationen entwickelt haben könnten.

Offiziell: Kein Dementi

Und so häufen sich Berichte über wild lebende Raubkatzen. Einige davon erhielten von den Medien wohlklingende Namen wie «Beast of Exmoor» oder «Beast of Bodmin». Manche wurden als Hoaxes entlarvt. Doch viele, viele Fälle blieben ungeklärt: Gerissenes Vieh mit den für Raubkatzen typischen Prankenschlag-Wunden, von Farmern geschossene Pumas und Leoparden, Fotoschnappschüsse, Handy-Filmchen ... bis hin zu einer toten Löwin, die 1980 in einem Baggersee gefunden wurde. Laut der BBC wurden allein zwischen April 2004 und Juli 2005 2123 Sichtungen gemeldet. Seither sind etliche dazugekommen, inklusive 17 angebliche Sichtungen von einer Raubkatze mit Jungen - ein Indiz dafür, dass die Tiere sich fortpflanzen, die wohl umstrittenste Behauptung aus wissenschaftlicher Sicht.
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«Nun, diese Gerüchte halten sich hartnäckig», so KORA-Vertreter Urs Breitenmoser, «und mir wurden auch schon Fotos, Tatzenabdrücke und Ähnliches zur Überprüfung geschickt. Auf einer Tonaufnahme, die mir zugesandt wurde, war tatsächlich ein Luchsruf zu hören.»

Während die meisten Wissenschaftler die Theorie von «Alien Big Cats» als unrealistisch abtun, möchte sich das britische Umwelt-, Ernährungs- und Landwirtschaftsdepartement (Department for Enviroment, Food and Rural Affairs DEFRA) nicht festlegen. Ein Regierungssprecher sagte zum Thema: «DEFRA dementiert nicht, dass es da draussen Grosskatzen gibt. Wir müssen aber festhalten, dass wir noch keinen Nachweis dafür gefunden haben, dass sie sich im Vereinten Königreich fortpflanzen.»

Dies bestätigt auch Urs Breitenmoser: «Ich denke, dass entlaufene Grosskatzen in England - und auch bei uns in Kontinentaleuropa - immer wieder vorkommen. Dies erklärt auch die vielen Sichtungen. Doch wenn eine Raubkatzenpopulation sich in der Wildnis tatsächlich über so lange Zeit hätte halten können, dann wäre das längstens unzweifelhaft bewiesen. Ein Luchs braucht zirka zwei bis vier Kilo Fleisch pro Tag - ein Tier von Leoparden-Grösse entsprechend mehr, vielleicht ein gut ausgewachsenes Schaf pro Woche - das würde auffallen.»

Quellen: BBC News Online, Times Online, National Geographic Magazine, britishbigcats.org, Fortean Times