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© ColourboxJeder ist ein bisschen sonnensüchtig
Der menschliche Körper beschäftigt ein eigenes Drogenlabor: In bestimmten Situationen bildet jeder körpereigene Drogen, die Cannabis und Opium ähneln. Manche werden süchtig danach und riskieren ihr Leben.

Manche gehen jeden zweiten Tag ins Sonnenstudio, wohl wissend, dass die Überdosis UV-Strahlung Hautkrebs auslösen kann. Andere suchen den Kick durch Extremsport in sauerstoffarmen, eisigen Höhen oder beim Marathonlauf in glühender Hitze und riskieren den Tod. Manche können von Sex nicht genug bekommen oder leben nur noch übers Internet, weil jeder Facebook-Eintrag das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Sie nehmen damit in Kauf, dass Familie und Job auf der Strecke bleiben.

Jeder will glücklich sein

Die Ursache dafür: Viele Menschen suchen diese Situationen, weil der Körper dabei drogenähnliche Stoffe ausschüttet, die glücklich machen. „Im Prinzip ist jeder ein bisschen süchtig nach diesen körpereigenen Drogen, denn jeder Mensch hat das Bedürfnis glücklich zu sein“, stellt Rainer Spanagel fest. Der Suchtexperte leitet das Institut für Psychopharmakologe am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Genau genommen handelt es sich bei den körpereigenen Drogen um Botenstoffe im Gehirn, also Endorphine und Cannabinoide. Der Körper kann also Cannabis selber herstellen? „Im Gehirn gibt es ein Cannobinoidsystem. In bestimmten Situationen schüttet der Körper Stoffe aus, die tatsächlich den Wirkstoffen der Hanfpflanze entsprechen“, bestätigt der Experte.

Notprogramm des Körpers

Was wie ein Widerspruch in sich wirkt - körpereigene Drogen, die süchtig machen können - ist jedoch im Sinne der Neurobiologie durchaus sinnvoll und kann sogar überlebenswichtig sein. Verliert beispielsweise ein Mensch bei einem schweren Unfall einen Arm, wird sein Gehirn sofort große Mengen dieser Substanzen freisetzen. „Dadurch fühlt er keinen Schmerz mehr und kann sich sogar für eine gewisse Zeit euphorisch fühlt. Das kann in solch einer Situation lebensrettend sein“, erklärt Rainer Spanagel.

Gefährdet sind Sensation-Seekers

In einem kleineren Rahmen gibt es jedoch die Sucht nach körpereigenen Drogen. „Allerdings handelt es sich dabei um keine substanzgebunde Sucht wie der nach Alkohol, Nikotin, Heroin oder Kokain“, betont der Suchtexperte. Wissenschaftlich gesehen ist es eine Verhaltenssucht. Dabei sucht der Abhängige gezielt Situationen, die in Verbindung mit dieser Substanzproduktion im Körper stehen. Doch nicht jeder, der sich mal gerne in die Sonne legt, sportlich ist oder sexbetont lebt, wird süchtig, steigert dieses Verhalten und gefährdet sich damit. „Manche Menschen sind jedoch besonders anfällig für diese Mechanismen“, warnt Rainer Spanagel. Das hängt vom Persönlichkeitstyp ab, auch von der Genetik. So genannte Sensations-Seekers mit hohem impulsivem Verhalten sind gefährdet. Diese Menschen sind nicht nur anfällig für Drogen und Rauchen, sondern auch für Extremsport - eben für alles, was einen Kick schenkt.

Sex und Internet als Drogen

Darüber hinaus gilt auch der unstillbare Hunger nach Sex als Sucht. Rund 500 000 Deutsche sollen betroffen sein. Hier spielt neben den genannten Neurotransmittern auch Oxytocin eine Rolle. Der Körper bildet dieses Hormon beim Orgasmus. Es beruhigt, macht etwas schläfrig und wird deshalb auch als Kuschelhormon bezeichnet. Von der Wirkung her könnte man es mit Alkohol vergleichen, allerdings wirkt es etwas schwächer. In der Diskussion steht auch Internetsucht. „0,3 bis 0,5 Prozent der Internetuser sind vermutlich süchtig“, sagt Rainer Spanagel. Allgemein gültige diagnostische Guidelines fehlen allerdings noch. „In Südkorea, wo bereits früh für alle flächendeckend der Zugang zum Internet möglich war, gibt es dazu schon viel Erfahrung, bei uns noch weniger“, berichtet der Suchtexperte. Die Anzeichen sind allerdings wie für alle Verhaltenssüchte ähnlich - der Abhängige vernachlässigt andere Lebensbereiche, die Schulnoten werden schlecht oder man versagt im Job. „Eigentlich sagt es einem der gesunde Menschenverstand bereits, wenn man süchtig ist“, stellt Rainer Spanagel fest.

Sonne mit Suchtpotenzial

Dass UV-Strahlung süchtig macht, hat erstmals eine Studie der University oft Texas bestätigt: Alle Probanden besuchten regelmäßig dreimal pro Woche ein Sonnenstudio. Die eine Hälfte von ihnen wurden dort mit UV-A- und -B-Strahlen besonnt. Die andere Hälfte legte sich ebenfalls auf die Sonnenbank, allerdings waren die Geräte mit Filtern ausgerüstet, die diese Strahlen resorbierten. Die Probenden wussten davon nichts. Während des Sonnenbads scannten die Forscher die Gehirne der Probanden. Die Aufnahmen der Probanden, die mit UV-A- und -B-Strahlen besonnt wurden, zeigten, dass Belohnungszentren im Gehirn aktiviert waren - wie nach Drogenkonsum. Übrigens wollten diejenigen, die keine echten Strahlen abbekommen hatten, danach gleich wieder ein Sonnenbad nehmen, die anderen meinten, für heute würde es reichen. „Wir alle sind ja ein bisschen süchtig nach Sonne“, sagt Rainer Spanagel. Entscheidend ist jedoch, ob jemand trotz des Hautkrebsrisikos weitersonnt - das sind dann die Anzeichen einer Sucht. Damit abfinden muss sich jedoch keiner. Wer erkennt, dass sein Verhalten Suchtcharakter hat, findet einen Ausweg: Psychotherapeutische Ansätze wie die Verhaltenstherapie sind gegen diese Süchte überaus erfolgreich.