Bison mit acht Beinen aus der Chauvet-Höhle
© Marc Azéma Bison mit acht Beinen aus der Chauvet-Höhle.
Toulouse (Frankreich) - Schon vor 30.000 Jahren haben Menschen in den Bilderhöhlen von Frankreich und Spanien in ihren Darstellungen von Tieren die Grundlage der Trickfilmanimation und sogar des Kinos angewendet. Zu dieser Schlussfolgerung kommen französische Archäologen anhand zahlreicher steinzeitlicher Abbildungen. In den oftmals übereinanderliegenden Mehrfachdarstellungen eines Tieres in unterschiedlichen Positionen sehen die Forscher keine Korrekturen, sondern das Bemühen eine Bewegung abzubilden. Selbst optische Täuschungen, die heute als die Grundlage der Trickfilmanimation und des Kinos überhaupt gelten, seien den Steinzeitkünstlern nicht nur bekannt gewesen, sondern von diesen auch gezielt und als Stilmittel eingesetzt worden. Ihre Theorie illustrieren die Forscher mit eindrucksvollen Animationen der Höhlenkunst.

Während der Archäologe Marc Azéma von der Université de Toulouse II - Le Mirail und der Künstler Florent Rivère ihre Theorie zuvor schon in französischer Sprache und in einem ebensolchen Dokumentarfilm präsentiert haben, ist jetzt ihr erster Artikel im englischsprachigen Fachmagazin Antiquity erschienen.

Anhand von Felszeichnungen aus den Höhlen Chauvet (Ardèche) und La Baume Latrone (Gard) zeigen die Autoren eindrucksvoll, wie die damaligen Künstler ihre Abbildungen in einzelne Bewegungsphasen unterteilt haben und so nicht nur auf grafische Weise einen Bewegungsablauf zu erzählen sondern auch gleichzeitig genau jenes System erfanden, auf dem - Jahrtausende später wieder entdeckt - die Grundlage für den Trickfilm und des Kinos beruht. Der Effekt der Bewegung, so vermuten Azéma und Rivère, sei wahrscheinlich beim Erzählen der Bilder durch dynamisches Hin- und Herbewegen von Fackeln noch verstärkt worden.

Auf diese Weise erklären sich auch Darstellungen etwa eines achtbeinigen Bisons in der Chauvet-Höhle (s. Abb. und Videos) oder mehrköpfige Tierdarstellungen. Alleine in der Höhle von Chauvet gibt es 53 Tierdarstellungen. In 12 dieser Abbilder sind zwei oder sogar mehrere Bilder übereinandergelegt und stellen Bewegungsabläufe wie Laufen, Kopfschwenken oder charakteristisches Schwanzwedeln der Tiere dar. In der weltberühmten Bilderhöhle von Lascaux finden sich 20 Tierabbildungen mit multiplen Köpfen, Beinpaaren oder Schwänzen.

Doch sind es nicht nur die Felswände in den Steinzeithöhlen, die auf erstaunlich dynamische Weise natürliche Bewegungsabläufe darstellen: Auch auf Knochen fanden die Forscher beispielsweise einen laufenden Löwen, dargestellt in drei Bewegungsphasen (s. Videos).

Video 1: Animierte Felsbilder und Knochengravuren


Video 2: Animierte Felsbilder und Knochengravuren



Hinzu belegten die Forscher schon 2007, dass schon den frühen Europäern die einfachste Form der Bewegtbild-Animation anhand einer optischen Täuschung bekannt war und sie diese sogar für "Vorführungen" technisch umsetzten und benutzen.

Hierzu wurde auf Knochenscheiben, wie sie - mit unterschiedlichen Motiven verziert - sowohl in Frankreich als auch in Spanien gefunden wurden, jeweils ein fast identisches Abbild eines Tieres graviert. Die beiden Bilder unterscheiden sich jeweils nur durch kleine aber wichtige Details, etwa durch auf der einen Seite durchgedrückte und auf der anderen Seite angewinkelte Beine. Durch ein Loch in der Mitte konnte die Scheibe von zwei Seiten aus gehalten und in schnelle Drehung versetzt werden. Diese Bewegung ließ und lässt selbst heute noch beim Betrachter entweder den Eindruck einer einfachen Bewegung oder die Illusion zweier übereinanderliegender Bilder entstehen (ein Video hierzu finden Sie HIER).

Dieses Prinzip des "Thaumatrops", der sogenannten Wunderscheibe, wurde erst im Jahre 1825 wieder entdeckt und faszinierte damals durch die optische Verschmelzung der beiden Bilder, meist eines Vogels und eines Käfigs oder einer Blume und einer Vase.

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Quellen: antiquity.ac.uk, florentrivere.blogspot.de, sciencenews.org