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© Württembergisches Landesmuseum Stuttgart Elfenbein-Figurinen aus dem Geißenklösterle.
Tübingen/ Deutschland - Eine Neudatierung der Geißenklösterle-Höhle auf der Schwäbischen Alb belegt ein noch früheres Erscheinen des anatomisch modernen Menschen und damit auch die frühere Entstehung von Kunst und Musik.

Mit verbesserter Methodik zur Vermeidung von Kontaminationen haben Wissenschaftler der Universitäten Oxford und Tübingen neue Radiokohlenstoffdatierungen der Höhle vorgenommen. Das im Fachjournal "Journal of Human Evolution" publizierte Ergebnis belegt für die Funde - und damit für den Beginn des Aurignacien - ein Alter von 42.000 - 43.000 Jahren vor heute.

Das Aurignacien beschreibt die erste Kultur der Menschheit, die figürliche Kunstwerke, Musikinstrumente und andere Schlüsselinnovationen hervorbrachte, wie die Autoren bereits vorher in ihrer "Kulturpumpe-Hypothese" postuliert hatten. Das volle Spektrum dieser Innovationen hatte sich in der Region spätestens 40.000 Jahren vor heute vollständig durchgesetzt.

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© Württembergisches Landesmuseum StuttgartKnochenflöte aus dem Geißenklösterle.
Damit stellen die Neudatierungen die bisher frühesten für das Aurignacien dar und sind damit älter als Datierungen von Funden aus Italien, Frankreich, England und anderen Regionen. Zugleich unterstützen die Ergebnisse die sogenannte Donau-Korridor-Hypothese, nach der anatomisch moderne Menschen entlang der Donau nach Mitteleuropa einwanderten. "Das Geißenklösterle selbst ist eine von mehreren Höhlen auf der Schwäbischen Alb, in der Schmuck, figürliche Kunst mit einer mythisch-symbolischen Bildsprache sowie Musikinstrumente gefunden wurden", erläutert die Pressemitteilung der Universität Tübingen (uni-tuebingen.de). "Die neuen Datierungen unterstreichen in der Zusammenschau mit bereits vorliegenden Thermolumineszenz-Datierungen das hohe Alter des schwäbischen Aurignacien."

Die neuen Daten zeigen darüber hinaus, dass anatomisch moderne Menschen die Region der Oberen Donau bereits vor einer sehr kalten Phase der letzten Eiszeit um etwa 40.000 Jahre vor heute ("Heinrich-4-Event") besiedelt haben.

Bislang vermuteten viele Wissenschaftler, dass die Einwanderung des anatomisch modernen Menschen entlang der Donau erst nach dieser Kaltphase stattgefunden habe. "Offenbar hat der anatomisch moderne Mensch Südwestdeutschland aber bereits früher, während einer milderen Phase der Würm-Eiszeit betreten - zu einer Zeit und in einem Klima, als Europa von Neandertalern bewohnt war."

Trotz intensiver Bemühungen, archäologische Hinweise auf mögliche Begegnungen zwischen beiden Menschenformen zu finden, ist dies im Bereich der Oberen Donau bislang nicht gelungen.

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© Württembergisches Landesmuseum StuttgartSchmuck aus dem Geißenklösterle.
Die Ergebnisse weisen die Schwäbische Alb damit als wahrscheinliches Kernland des Aurignacien aus, wobei die schwäbischen Höhlen gleichzeitig die ältesten Belege für die technologischen und künstlerischen Innovationen dieser Zeit geliefert haben. "Ob diese Innovationen, die auf der Alb bestens belegt sind, durch den Einfluss von klimatischem Stress, der Konkurrenzsituation mit einer anderen Menschenform oder anderen sozio-kulturellen Dynamiken ausgelöst wurden, bleibt weiter zentral im Fokus der Forschungen der Wissenschaftler aus Tübingen und Oxford."

Hochauflösende Datierungsmethoden, wie sie hier Anwendung finden, sind essentiell für einen zuverlässigen chronologischen Rahmen, der es dann erlaubt, Hypothesen zu überprüfen und die Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen nach und in Europa zu erklären. Gerade letzteres ist von größter Bedeutung, denn dieser Prozess führte zu weitreichenden kulturellen Innovationen wie der Entstehung von figürlicher Kunst und Musik, aber auch zum Aussterben des Neandertalers.

Quelle: uni-tuebingen.de