Das erste private Weltraumteleskop "Sentinel" soll zwischen Sonne und Erde gefährliche Asteroiden aufspüren. Jahre, gar Jahrzehnte im Voraus soll es erkennen, ob ein Objekt Kurs auf die Erde hält.
sentinel
© b612
Spätestens seitdem vor wenigen Wochen erstmals eine kommerzielle Kapsel vom Typ Dragon an der "Internationalen Raumstation" (ISS) angelegt hat, ist im All das Zeitalter der privaten Raumfahrt angebrochen. Fluggesellschaften wollen Weltraumtouristen auf Parabelflüge schießen, aufstrebende Firmen die ISS mit Nachschub und Astronauten versorgen - und nun macht sich erstmals ein Konsortium daran, ein privat finanziertes Weltraumteleskop zu bauen und Richtung Sonne zu schießen.

Am Donnerstag hat die B612 Foundation in der California Academy of Sciences in San Francisco ihre Pläne für ein Fernrohr namens Sentinel vorgestellt. Für diese Ankündigung hat sich die Stiftung ein geschichtsträchtiges Datum ausgesucht: Der Grundstein für die Entwicklung dieses Weltraumteleskops, sozusagen seine Rechtfertigung und seine Daseinsberechtigung, wurde heute vor 104 Jahren in der sibirischen Steppe gelegt, am 30. Juni 1908 gegen 7.15 Uhr morgens, irgendwo in der Nähe von Tunguska in der heutigen Region Krasnojarsk.

Explosion mit Dutzenden Megatonnen TNT

Im wahrsten Sinne des Wortes "aus heiterem Himmel" wurde diese Gegend Russlands für immer verändert. Ein Asteroid aus dem All drang in die irdische Atmosphäre ein und explodierte kurz über dem Boden mit einer Wucht von geschätzt mehreren Dutzend Megatonnen TNT. Die Druckwelle entwurzelte sämtliche Bäume im Umkreis von 30 Kilometern. Noch in der 65 Kilometer entfernten Stadt Wanawara wurden Türen und Fenster eingedrückt. Menschen sind in dieser abgelegenen Gegend nicht zu Schaden gekommen. Diesmal nicht.

"Wir wissen, dass es dort draußen im Weltall ungefähr eine Million Asteroiden gibt, die so groß sind wie der von Tunguska oder sogar noch größer", sagt Ed Lu, ehemaliger Astronaut in Diensten der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Einige dieser Asteroiden kreuzen regelmäßig die Umlaufbahn der Erde - wie viele, ist unklar, denn erfasst wurden bislang nach Schätzungen weniger als ein Prozent von ihnen.

"Wir müssen unser Wissen über diese Objekte unbedingt vergrößern", sagt Lu. "Nur so können wir die Gefahr rechtzeitig erkennen, wenn sich ein solcher Himmelskörper auf Kollisionskurs mit der Erde befinden sollte, um Abwehrmaßnahmen einzuleiten."

Exakte Umlaufbahnen so gut wie unbekannt

Ed Lu kennt sich aus im All, er war mit den Russen und den Amerikanern an Bord von Raumfähre, Raumstation und Sojus-Kapsel. Doch er will mehr wissen über die Gefahren, die von erdnahen Asteroiden ausgehen. Dabei handelt es sich um Brocken aus Gestein und Eisen in Größen von wenigen Metern bis zu mehreren Kilometern. Sie ziehen ihre Bahnen nicht im Asteroidengürtel zwischen den Planeten Mars und Jupiter, ungefähr in der Mitte des Sonnensystems, sondern umrunden die Sonne auf Orbits, die regelmäßig den der Erde kreuzen.

Ihre exakten Umlaufbahnen jedoch sind derzeit so gut wie unbekannt. "Das wollen wir ändern", sagt Ed Lu. "Wir wollen alle erdnahen Asteroiden finden und ihre Bahnen aufzeichnen."

"Wir", das ist die B612 Foundation. Dahinter verbirgt sich eine Stiftung, deren Ziel es ist, das erste privat finanzierte Weltraumteleskop zu bauen. Sentinel ist der Name dieses Fernrohrs, was so viel heißt wie "Wache". Und dies ist auch seine Aufgabe: die Erde vor kosmischen Einschlägen vom Typ Tunguska zu warnen.

Prinzipielle Funktion bewiesen

"Wir werden dann nicht Monate oder Jahre, sondern einige Jahrzehnte vorher wissen, ob ein Objekt Kurs auf die Erde hält, und wenn ja, welches", hofft Lu. Denn dann habe die Menschheit genügend Zeit, sich Abwehrmechanismen auszudenken.

Ist solch ein Brocken noch weit entfernt von der Erde, besteht die sinnvollste Lösung darin, ihn von seiner Bahn abzulenken. Dies ließe sich über den gezielten Einschlag eines Impaktors erreichen, der dem Asteroiden einen Schubs gibt mit der Folge, dass seine Umlaufbahn sich geringfügig verändert.

Je weiter weg von der Erde dies geschieht - je früher der Kollisionskurs des Asteroiden also erkannt wird - , desto geringer müssen Impakt und Kursänderung ausfallen. Dass dieses Verfahren prinzipiell funktioniert, hat die Weltraumbehörde Nasa 2005 beim Aufschlag ihrer Sonde Deep Impact auf den Kometen Temple 1 bewiesen.

Sprengung mittels Atombomben

Wird die Gefahr aus dem All erst kurzfristig erkannt, bliebe nur die Sprengung des Asteroiden mittels Atombomben. Ein solcher Rundumschlag wäre jedoch immer nur die zweitbeste Lösung, da sich das Objekt dabei in weitere, kleinere Bestandteile auflösen würden, die nach wie vor auf die Erde zufliegen und eine Gefahr darstellen könnten.

"Unser Teleskop soll helfen, potenziell gefährliche Asteroiden frühzeitig aufzuspüren", so Ed Lu. "Und bei rechtzeitiger Warnung sollte es kein Problem sein, seinen Kurs so zu ändern, dass er keine Gefahr für die Erde darstellen würde."

Ed Lu ist der Vorsitzende der B612-Stiftung, die sich nach dem Asteroiden Bésixdouze benannt hat, auf dem der "kleine Prinz" im gleichnamigen Roman von Antoine de Saint-Exupéry lebt. Zur Stiftung gehören weitere ehemalige Shuttle- und Apollo-Astronauten, Wissenschaftler und frühere Mitarbeiter der Nasa wie Scott Hubbard, heute Professor für Aeronautik und Astronautik an der Stanford University.

Private Sponsoren gesucht

Denn die Nasa kann sich solch ein Weltraumfernrohr momentan nicht leisten. Sparvorschriften und Budgetvorgaben aus dem Weißen Haus zwingen die Behörde, sich auf den weiteren Betrieb der ISS zu konzentrieren, auf die Entwicklung einer Nachfolgerakete und eines Nachfolgeraumschiffs für die ausrangierte Spaceshuttle-Flotte sowie auf die Fertigstellung des "James Webb"-Space-Telescop, das sowohl sein Budget wie den Zeitplan längst überschritten hat.

"Also wollen wir private Sponsoren für dieses Projekt gewinnen - so wie es Museen und andere Observatorien auf dem Boden schließlich auch machen", sagt Hubbard - nur dass sich dieses Teleskop eben im All befände.

Derzeit steckt das Fernrohr noch in seiner ersten Studienphase. Bislang haben sich unter anderem Manager aus den Chefetagen von Facebook und Google an der Finanzierung des Konzepts beteiligt. Die Namen weiterer Sponsoren - ob Privatpersonen, Geschäftsleute oder sogar komplette Unternehmen - will die Stiftung in den kommenden Jahren schrittweise veröffentlichen.

Einmal umdrehen bitte

Denn auch das Eintreiben der Finanzen wird sich über mehrere Jahre erstrecken. Das Erreichen eines jeden Zwischenschritts hin zum Bau des Himmelsfernrohrs soll jeweils eine neue Spendenrunde nach sich ziehen.

Einmal fertiggestellt, soll Sentinel Richtung Venus geschossen werden. Dort soll es auf einer ähnlichen Umlaufbahn wie die Venus die Sonne umkreisen, zwischen rund 40 Millionen und 275 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Auf diesem Beobachtungsposten angekommen, soll es sich umdrehen, zum Rand des Sonnensystems blicken und auf Hitze reagieren, die von Asteroiden reflektiert wird. Denn Sentinel ist ein Infrarotteleskop - wie ein Nachtsichtgerät reagiert es auf von Objekten abgegebene Wärmestrahlung.

Wenn sich ein und derselbe Himmelskörper über einen gewissen Zeitraum vor dem Sternenhintergrund weiter bewegt hat, besteht eine Art Anfangsverdacht, dass es sich um einen Asteroiden handeln könne. Beim jeweils nächsten Sonnenumlauf blickt das Fernrohr dann an eine Stelle, an der sich das Objekt rein rechnerisch befinden müsste. Wird es dort detektiert, können Astronomen anhand seiner Geschwindigkeit und Entfernung seine Flugbahn und seinen vollständigen Orbit um die Sonne berechnen.

Karte von einer Million erdnahen Asteroiden

Fünfeinhalb Jahre lang soll Sentinel um die Sonne kreisen. Dabei wird es jeden Monat einmal den kompletten Nachthimmel auf sich bewegende Objekte hin scannen. Nach Ende seiner Lebenszeit soll es 90 Prozent aller erdnahen Asteroiden erkannt und erfasst haben - etwa eine halbe Million Stück, die meisten von der Größe eines Busses.

Um auch die kleinsten Brocken zu erfassen, wird die Auflösung des Teleskops nicht reichen. Objekte von nur wenigen Metern Größe können nur dann entdeckt werden, wenn sie sich zufällig gerade in relativer Nähe zum Teleskop befinden.

Für die Realisierung des Fernrohrs zeichnet die Firma Ball Aerospace aus Boulder (Colorado) verantwortlich, die auch am Bau von Spitzer, Hubble und Kepler beteiligt war. Alle drei befinden sich derzeit im All und suchen dort seit Jahren erfolgreich nach Exoplaneten, fernen Galaxien und den Geburtsstätten von Sternen.

Start in fünf Jahren geplant

Zwar wird sich die Nasa finanziell nicht an dem Projekt beteiligen, will aber logistische Unterstützung bereitstellen. Die Daten von Sentinel sollen vom Deep Space Network der US-Raumfahrtbehörde auf dem Boden aufgefangen werden. Auch sollen Nasa-Forscher die Auswertung übernehmen.

Als Gegenleistung darf die Nasa die zu den von Sentinel eingefangenen Daten auch für eigene Projekte kostenlos verwenden. "Wir freuen uns sehr über dieses private Engagement", sagt Victoria Friedensen, beim Hauptquartier der Nasa in Washington D.C. zuständig für erdnahe Asteroiden. "Der Zugang zum Weltraum wird erweitert, wenn sich kommerzielle Firmen oder private Stiftungen mit innovativen Ideen an der Raumfahrt beteiligen."

Geplanter Starttermin für das erste private Weltraumteleskop soll schon in fünf Jahren sein. 2017 soll Sentinel mit einer Falcon-9-Rakete der Firma SpaceX von Cape Canaveral aus ins All starten. Für dieses Projekt bleiben die aufstrebenden Raumfahrtunternehmen also unter sich und überlassen staatlichen Behörden wie der Nasa die Auswertung ihrer Daten.