Israel atacaría por sorpresa
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Israel droht mit einem Angriff auf den Iran. Experten halten das für viel mehr als bloßes Säbelrasseln. Die Folgen einer Attacke seien unabsehbar, schlimmstenfalls könnten viele andere Länder mit in einen Krieg gezogen werden.

Dass Israel dem Iran mit einem Angriff auf seinen Atomanlagen droht, ist nichts Neues. Doch in den vergangenen Tagen drangen Informationen an die Öffentlichkeit, die suggerieren, dass die Pläne schon sehr konkret sind und Israel einen Angriff im Alleingang starten würde, ohne die USA, deren Regierung davon nichts hören will.

Der scheidende Heimatschutzminister Matan Wilnai sprach von Analysen, die einen Krieg an mehreren Fronten über 30 Tage prognostizierten. Der bekannte US-Blogger Richard Silverstein veröffentlichte Informationen, wonach der Angriff angeblich unter anderem mit Hilfe von Manipulationen und Zerstörung von iranischer Kommunikationsinfrastruktur durchgeführt werden solle - das ist bisher weder bestätigt noch dementiert. Außerdem hat Regierungschef Benjamin Netanjahu eben erst den ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes, Avi Dichter, zum neuen Heimatschutzminister ernannt, der als Hardliner gilt.

Experten halten Drohungen für ernst

All das könnte reines Säbelrasseln sein. Doch Experten gehen davon aus, dass es sich nicht um leere Drohungen handelt.

„Die Drohungen Israels sind sehr ernst zu nehmen“, sagt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die Regierungen der USA und Israels hätten eine andere Einschätzung des Bedrohungspotenzials. Für die USA überschreite der Iran in dem Moment eine Schwelle, in dem er Atomwaffen herstelle. Erst dann komme für Washington ein Militäreinsatz in Frage. Für die israelische Führung aber habe der Iran die Schwelle bereits überschritten oder stehe kurz davor, weil er künftig vielleicht Waffen herstellen könnte.

Eine „günstige Gelegenheit“ für einen Angriff?

Der Berliner Nahost-Experte und Publizist Michael Lüders geht davon aus, dass Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak die Gelegenheit für einen Angriff nun für günstig halten, „weil sie glauben, Obama jetzt in den Krieg ziehen zu können, obwohl er keinen Waffengang wünscht.“ US-Präsident Barack Obama könne es sich wegen der einflussreichen pro-israelischen Lobbygruppen in den USA nicht leisten, Israel hängen zu lassen. Nach den Wahlen stünden die Chancen für Israel schlechter, die USA zu erpressen, meint Lüders. Wenn Obama wiedergewählt würde, hätte er nichts zu verlieren. Und Romney sage zwar, dass er Israel beistehen würde, aber ob er den Worten wirklich Taten folgen lassen würde, sei unklar.

Vor diesem Hintergrund wäre es dennoch möglich, dass Israels Spitze die Situation nur nutzt, um Druck auf die USA aufzubauen und einen Alleingang trotzdem bleiben lässt, wenn die USA nicht mitziehen. „Aber das würde voraussetzen, dass Netanjahu und Barak rationale Akteure sind - doch das sind sie nicht“, sagt Lüders.

Möglich, dass die israelische Führung einen Angriff momentan auch deshalb für günstig hält, weil der Iran gerade in einer relativ schwachen Position ist: Die Wirtschaft leidet unter den Sanktionen aufgrund des Atomprogramms, und der engste Verbündete Teherans, Syriens Präsident Baschar el Assad, verliert Stück für Stück die Macht. Außerdem hatte Israel immer gefordert, den Iran anzugreifen, bevor er Zeit habe, seine Atomanlagen in nahezu unangreifbare Bunker und Berge zu verlegen.

In Israel ist ein Angriff höchst umstrittenIn

Israel wird das, was Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak treiben, teils mit Entsetzen gesehen, sowohl im Sicherheitsapparat als auch in der Bevölkerung. Die Vertreter mehrerer israelischer Geheimdienste, die Mehrheit der Regierung und des Sicherheitskabinetts hatten israelischen Medienberichten nach einen militärischen Einsatz ohne Zustimmung der USA öffentlich abgelehnt. Kommentatoren in liberalen Zeitungen rufen Netanjahu und Barak mehr oder weniger respektlos auf, keinen Unsinn zu machen. „Der Iran wird eine Atomwaffe haben”, meint ein Autor in der Haaretz. Aber deswegen werde das Land sie noch lange nicht gegen ein Land einsetzen, das selbst eine Atomwaffe habe. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad habe eine große Klappe mit nichts dahinter - das könne nicht der Grund für einen Krieg sein, der eine ganze Region zerstören werde.

Michael Lüders schätzt, dass Israel keine Chance hätte, einen Krieg zu gewinnen, auch wenn Netanjahu und Barak noch so fest davon ausgingen. Lüders hält deren zur Schau gestellte Siegesgewissheit für „abenteuerlich und größenwahnsinnig“. Die israelische Rechnung, nach denen ein Krieg maximal 30 Tage dauern und 500 Tote auf der eigenen Seite fordern würde, bezeichnet er als „reine Propaganda“.

„Potenzial für einen dritten Weltkrieg“

Ob sich die Feindseligkeiten auf Iran und Israel beschränken oder andere Länder hineingezogen würden, lasse sich nicht beantworten, sagt Perthes. Die Folgen einer militärischen Aktion seien immer unplanbar.

Lüders wählt drastischere Worte und warnt, die Situation hätte bei einer Eskalation das „Potenzial für einen dritten Weltkrieg“. Wenn Israel angreife, würden sich Russland und China auf die Seite Teherans stellen und der Westen auf die Seite Israels.

„Sollte Israel einen Alleingang wagen und der Iran zurückschlagen“, sagt Perthes, „würde es einen ernsten politischen Konflikt zwischen Israel und den USA geben - letztlich würden die USA Israel die Solidarität aber nicht verweigern.“ Seiner Ansicht nach würde auch kein europäischer Staat Israel die Solidarität aufkündigen - aktiv eingreifen würde aber auch keiner. Das erwarte Israel auch nicht.

Bedrohung für Golfstaaten

Wie weit die Lage eskalieren würde, hinge laut Lüders auch davon ab, ob der Iran seine Drohungen wahrmacht und Ziele in den Golfstaaten beschießt: zum Beispiel Erdgasfelder in Katar oder amerikanische Militäranlagen, was den Nato-Bündnisfall bedeuten könnte. Dann würden auch diese Länder in den Krieg gezogen.

Prinzipiell geht Lüders aber davon aus, dass sich die arabischen Staaten zurückhaltend zeigen würden. „So unbeliebt der Iran unter den arabischen Staaten ist - einen Krieg will keiner.“ Die Saudis zum Beispiel transportierten einen großen Teil ihres Öls durch die Straße von Hormus. Im Kriegsfall wäre sie blockiert, das würde immense wirtschaftliche Ausfälle für Saudi-Arabien bedeuten. Außerdem gebe es eine schiitische Minderheit in Saudi-Arabien, die sich gegen die Führung auflehnen könnte. Umgekehrt würde aber auch kein arabisches Land Israel angreifen, sagt er, denn das wäre ein offener Bruch mit dem Westen. Nur die schiitische Hisbollah im Libanon werde wohl auf Israel feuern.

Wie ließe sich Israel vom Angriff abhalten?

Israel von einem Angriff abhalten können wohl nur die USA, sagt Perthes. Dabei würden sowohl Sicherheitsgarantien als auch politischer Druck eine Rolle spielen. Lüders meint, Israel sei nur davon abzubringen, wenn westliche Staaten unmissverständlich mit Konsequenzen drohen würden: beispielsweise der Suspendierung der diplomatischen Beziehungen und der Ausweisung israelischer Botschafter im Falle eines völkerrechtswidrigen israelischen Angriffs auf den Iran. „Eher allerdings geht ein Kamel durchs Nadelöhr als dass etwa die Bundesregierung dazu bereit wäre.