Die Bundeswehr darf laut Bundesverfassungsgericht teilweise auch im Inland militärische Mittel einsetzen. In der Sache ist das Urteil richtig. Aber die Richter haben ihre Kompetenzen überschritten.

Karlsruhe hat sich korrigiert, und zwar in bemerkenswerter Weise. War der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr im Inland in einem Urteil von 2006 noch strikt auf den im Grundgesetz beschriebenen Fall des Staatsnotstands (also einer militärischen Rebellion) beschränkt worden, sollen die Streitkräfte nun auch in Katastrophenfällen tätig werden dürfen - als Ultima Ratio, unter Beachtung strenger Voraussetzungen.

Der Sache nach gibt es gute Gründe für diese Kehrtwende. Warum soll ein Staat zur Abwehr schwerster, beispielsweise terroristischer Gefahren auf vorhandene Möglichkeiten zum Schutz seiner Bürger verzichten?


Kommentar: Wenn es denn wirklich Terroristen gibt, wie sie immer dargestellt werden, wäre dies sinnvoll. Aber in diesem Zusammenhang ein sehr fragwürdiger Schritt.


Das ist keine Aufhebung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Streitkräften, sondern sinnvolle militärische Hilfeleistung in außergewöhnlichen Extremsituationen. Zumal die Richter unmissverständlich hervorheben, dass der Abschuss entführter Passagierflugzeuge oder militärische Gewalt gegen Demonstranten selbstverständlich untersagt bleiben.

Gesetzesinitiative aus dem Jahr 2008

Im Kern greift das Gericht damit eine vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angestoßene Gesetzesinitiative aus dem Jahr 2008 auf. Und genau an diesem Punkt liegt das Problem: Im Parlament fand Schäubles Vorstoß für eine Verfassungsänderung nicht die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Karlsruhe schwingt sich mit seinem Plenumsbeschluss nun zum Ersatzgesetzgeber auf.

Das Gericht legt die Verfassung nicht mehr nur aus, sondern setzt sich über deren Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik hinweg. Das ist keine zulässige (und oft notwendige) Rechtsfortbildung mehr, sondern eine Überschreitung der Befugnis eines Grundgesetzwächters.

"Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, korrigierend einzuschreiten", schreibt der Richter Reinhard Gaier in einem Sondervotum. Er blieb in der Minderheit, einer gegen 15, doch damit formuliert er präzise den Kern der Kritik.

Strukturen für neue Rechtslage schaffen

Ignorieren, wie es die Justizministerin vorschlägt, lässt sich diese Entscheidung aber nicht. Die Regierung hat nun den Auftrag, Strukturen für die neue Rechtslage zu schaffen.

"Besonders schwere Unglücksfälle mit katastrophischem Ausmaß", wie sie das Gericht im Auge hat, müssen unter extremem Zeitdruck verhandelt werden. Weil Karlsruhe vorschreibt, dass nicht allein der Verteidigungsminister damit befasst sein darf, stellt sich die Aufgabe, die nötigen Instrumente für eine Eilentscheidung der gesamten Regierung zu schaffen.


Kommentar: Wer weiß, was das für Katastrophen sind? Zukünftige Schuldenkrise Deutschlands? Nahrungsmittelknappheit? Aufbegehren der Bürger? Meteoriteneinschläge?


Das lässt sich machen. Eine andere Folge der inhaltlich richtigen, formal aber bedenklichen Entscheidung wiegt schwerer. Das Bundesverfassungsgericht hat dem oft zu Unrecht geäußerten Vorwurf, es überschätze seine Rolle, ohne Not Nahrung gegeben.