ACTA ist weg. Aber die Gefahr ist so gross wie noch nie. Die Euro Bürokraten wollen mit der Freiheit des Internets radikal aufräumen. Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström steht für die totale Überwachung des Internets. Dabei geht sie mit ihrer Vorstellung eines gereinigten Webs weit über ACTA hinaus; und selbst der Iran mutet dabei vergleichweise als Hüter der Meinungsfreiheit an.

Ihre Projektgruppe schlägt einen Maßnahmenkatalog vor, der jetzt von der Bürgerrechtsiniative “European Digital Rights” veröffentlicht wurde.

Während sich CleanIT auf der offiziellen Homepage als potentielle Taskforce im Kampf gegen den Terrorismus präsentiert, enthüllt die Lektüre des aktuellen Berichts die wahren Dimensionen des Projekts. In dem Papier ist laufend von “Terrorismus” die Rede - ein bewährtes Totschlagargument, mit dem Regierungen die Bürgerrechte und die Freiheit beschneiden.


CleanIT sieht eine umfassende Infrastruktur zur Kontrolle des Netzes vor, und zwar in Bezug auf unerwünschte Inhalte jeder Art. In einem ersten Schritt ist geplant, Internetprovider künftig für “terroristische Aktivitäten” haftbar zu machen. Dies soll praktisch dazu führen, dass Provider von sich aus quasi als Privatpolizei jedweden Content löschen oder zumindest sperren, den sie als riskant betrachten. Im Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden sollen darüber hinaus “automatische Detektionssysteme” implementiert werden, die fragwürdigen Content ermitteln. Das Internet wird nach Schlüsselbegriffen durchforstet, wie etwa “Bombe” oder “Allah”.

Ergänzt wird dies durch ein Denutiantensystem: Meldebuttons für “terroristische Inhalte” und eine strikte Klarnamenpflicht in Foren und sozialen Netzwerken. Anbieter aus dem Bereich Web 2.0 sollen nicht nur verpflichtet werden, ihre Nutzer rechtssicher zu identifizieren, nein, soziale Netzwerke sollen sogar dafür Verantwortung tragen, dass Nutzer nur echte Profilfotos von sich hochladen. Alias Identitäten wären dann tabu, die Anonymität des Internets ginge verloren.

Das sind nur Ausschnitte aus dem Horrorkatalog. “European Digital Rights” fasst weitere Empfehlungen des Papiers zusammen:
  • Aufhebung aller gesetzlichen Bestimmungen, die der Filterung/Überwachung der Internetanschlüsse von Angestellten in Betrieben entgegenstehen
  • Strafverfolgungsbehörden sollen die Möglichkeit erhalten, Inhalte zu entfernen, “ohne [dass sie sich an] die arbeitsintensiven und bürokratischen Prozeduren wie Notice&Takedown halten” müssen
  • “Wissentlich” auf “terroristische Inhalte” zu verlinken soll “ganz genauso” strafbar sein wie “Terrorismus” selbst (wobei sich der Vorschlag nicht auf Inhalte bezieht, die von einem Gericht als illegal eingestuft wurden, sondern ganz allgemein auf unbestimmte “terroristische Inhalte”)
  • Anbieter von Filtersystemen für Endnutzer und deren Kunden sollen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie “illegale” Aktivitäten nicht melden, die sie über die eingesetzten Filter identifiziert haben
  • Regierungen sollten die Hilfsbereitschaft von ISPs als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen heranziehen
  • Soziale Netzwerke und Plattformen sollen Sperr- und “Warn”systeme einführen -
  • Unternehmen sollen Uploadfilter installieren, um hochgeladene Inhalte zu kontrollieren und sicherzustellen, dass gelöschte Inhalte - oder ähnliche Inhalte - nicht wieder hochgeladen werden
Erstaunlich: Ganz im Verborgenen wurde dieses Konzept entwickelt, das weit über ACTA hinausgeht. Dass bereits ACTA von der Bevölkerung und dem EU Parlament abgelehnt worden ist, scheint die Macher nicht zu interessieren. Vielleicht handeln sie nach dem Motto “Steter Tropfen höhlt den Stein”, und rechnen sich einen Erfolg aus, wenn man nur lange und vehement genug immer wieder den gleichen Bullshit durch die Instanzen drückt. Irgendwann einmal sind die entnervten Parlamentarier daran gewöhnt und stimmen zu. Wirtschaftlich ist die Sache ja auch. Die nächste CleanIT-Konferenz soll am 5. November in Wien abgehalten werden. Und zu den wichtigsten Gästen werden wohl wieder die Hersteller von Überwachungs- und Filtersoftware gehören. Ihnen gehört die Zukunft. Big Brother lässt schon wieder einmal grüssen. Diesen unheiligen Geist werden wir wohl nicht los.

so long - humanicum

Nachtrag: Die Piratenpartei hat einen umgehenden Stopp des cleanIT Projektes gefordert. Das von der EU gezeigte Misstrauen in die demokratische Willensbildung ist nicht akzeptabel.

EDRi-Artikel im englischen Original:
Clean IT - Leak shows plans for large-scale, undemocratic surveillance of all communications (21.9.2012)

Duchgesickertes Dokument:
Clean IT Project - Detailed Recommendations (Version vom 28.8.2012, pdf, 23 Seiten, Englisch)