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© Oliver Berg/DPAEin Airbus der Lufthansa-Tochter Germanwings bei der Landung am Flughafen Köln/Bonn
Dramatische Minuten vor der Landung eines Airbus in Köln: Ein Untersuchungsbericht belegt, wie durch giftige Gase im Cockpit 149 Menschen nur knapp einer Katastrophe entgangen sind

Der Fall liegt fast zwei Jahre zurück, sorgt aber jetzt für Schlagzeilen. Aus einem am Donnerstag von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) in Braunschweig herausgegeben Zwischenbericht (Aktenzeichen BFU 5X018/10) geht hervor, dass ein Passagierjet des Billigfliegers Germanwings am 19. Dezember 2010 nur knapp einer Katastrophe entgangen ist.

Der aus Wien kommende Airbus A319 mit 149 Menschen an Bord befand sich im Landeanflug auf den Flughafen Köln/Bonn, als die Piloten im Cockpit einen außergewöhnlichen Geruch wahrnahmen, eine "Mischung aus verbrannt und elektrisch Riechendem", schreiben die Braunschweiger Beamten in ihrer Untersuchung. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Maschine in ungefähr 1000 Meter Höhe.

"Surrealistisch und wie im Traum"

Erst fühlte sich der Copilot "kotzübel", seine Arme und Beine wurden taub. Dann verspürte auch der Pilot ein starkes Schwindelgefühl, und er bemerkte, wie ihm "im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne schwanden". Wie in einem solchen Fall im Simulator geübt, griff die Bestatzung zu den Sauerstoffmasken und erklärte die Luftnotlage. "Beide Flugzeugführer beschrieben ihre Verfassung kurz vor der Landung als surrealistisch und wie im Traum", heißt es im Bericht der BFU.

Sowohl die Kabinenbesatzung als auch die Passagiere waren von der giftigen Atemluft nicht betroffen. Sie bekamen von den dramatischen Minuten im Cockpit nichts mit. Nur mit großer Mühe glückte die Landung. Der Pilot "fühlte sich nicht mehr in der Lage, einen aktiven Einfluss auf den weiteren Verlauf nehmen zu können und hoffte nur noch, dass es eine erfolgreiche Landung werden würde", so der Untersuchungsbericht. Um 21.34 setzte der Airbus auf der Landebahn auf. Wie verstört die Piloten auch am Boden noch waren, zeigen weitere Details des Berichts: Das Einfahren der Ladeklappen und das Anwerfen der Hilfsturbine erfolgten nicht zu in den Checklisten vorgeschriebenen Zeitpunkten.

Enteisungsflüssigkeit im Triebwerk

Als Ursache für den außergewöhnlichen Geruch im Cockpit schließen die Ermittler einen Brand aus. Sie vermuten, dass Enteisungsflüssigkeit die Luft verseucht hatte. Vor dem Start war der Airbus in Wien bei winterlichen Verhältnissen mit einer Glykollösung besprüht worden, ein Routinevorgang. Doch muss ein Teil der Chemikalie in die Luftversorgung gekommen sein. Bei dem zweistrahligen Airbus wird von einem Triebwerk die Luft für die Kabine, vom anderen für das Cockpit abgezapft. Vorfälle beim winterlichen Flugbetrieb dieser Art sind äußerst selten. Häufiger klagten bereits Flugzeugpassagiere und Besatzungen über Kerosindämpfe in der Kabine.

Noch in der Nacht zum 20. Dezember 2010 wurde die BFU vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen über den Zwischenfall und der Einlieferung beider Piloten mit dem Verdacht auf Rauchgasvergiftung in ein Krankenhaus informiert. Einen Tag später folgte eine ausführliche Stellungnahme der Airline. Auf Anfrage der BFU meldete Germanwings, das kein weiterer Befund und die "betroffene Crew keine Vergiftungserscheinungen aufweise". Erst ein Jahr nach dem Vorfall erreichten die BFU weitere Informationen, die zur Einleitung einer Untersuchung und dem jetzt veröffentlichten Zwischenbericht führten.

Erheblicher Sauerstoffmangel im Blut der Piloten

Nach Aussagen der Piloten und des Medizinischen Dienstes der Lufthansa vom 7. Juli 2011, die der Welt und "NDR Info" vorliegen, hatten die Piloten "Todesangst". Sanitäter hätten bei den Flugkapitänen nach der Landung eine Sauerstoffsättigung im Blut von nur 80 und 70 Prozent ergeben - ein Wert nahe der Ohnmacht. Der Copilot wurde angeblich erst nach einer sechsmonatigen Untauglichkeit wieder einsatzfähig geschrieben. Zuvor sei er in psychologischer Behandlung gewesen. Germanwings spielt die ganze Notfallsituation herunter. "Die Fluggesellschaft bestreitet bis heute, dass es ein Problem gab", schreibt die Welt in ihrer Freitagsausgabe.

Inzwischen hat Germanwings reagiert und erklärt, dass Sicherheit für die Airline höchste Priorität habe. Der in der Berichterstattung der Welt erhobene Vorwurf, Germanwings habe versucht, den Vorfall zu vertuschen, träfe nicht zu. "Germanwings hat dem Luftfahrtbundesamt und der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung alle zur Verfügung stehenden Informationen zu dem Zwischenfall sofort und unverzüglich zur Verfügung gestellt und dabei den Vorfall selbst als 'gravierend' eingestuft." Die Nachrichtenagentur DPA hatte zuvor lediglich einen Germanwings-Sprecher zitiert, dass sich der Copilot "unwohl" gefühlt habe. Der Kapitän sei nicht "schwer beeinträchtigt" gewesen und habe nach dem Zwischenfall seine Arbeit weitergeführt.

Letzte Woche hat Lufthansa angekündigt, dass sie zum 1. Januar 2013 ihre Billigfluggesellschaft Germanwings mit dem Regionalflieger Eurowings in einer neuen Gesellschaft bündelt. Die Airline mit Sitz in Köln, deren Name noch offen ist, baut auf Germanwings und soll alle Deutschland- und Europastrecken fliegen, die nicht über die Drehkreuze Frankfurt und München führen.

Der Artikel wurde am 28.9.2012 um 13:22 Uhr nach einer Stellungnahme von Germanwings aktualisiert.