Er ist einer unserer wichtigsten Sinne, er prägt uns schon im Mutterleib und macht jeden von uns einzigartig: der Geschmack. Über ihn nehmen wir wahr, was wir essen und trinken, er warnt uns vor bitteren Giften und verführt zu salzigen oder süßen Naschereien. Aber wie genau entsteht der typische Geschmackseindruck beispielsweise von Schokolade? Und warum schmeckt sie für jeden ein bisschen anders?
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© SXCWie funktioniert der Geschmack?
Der Geschmack ist ein sehr alter Sinn, schon vor 500 Millionen Jahren besaß der erste primitive Fisch die ersten Sensoren für chemische Signale seiner Beute. Wie komplex aber das dahinterstehende System ist, das haben Forscher erst in den letzten Jahren herausgefunden. Erst seit dem Jahr 2000 klärt sich nach und nach, welche Rezeptoren und Gene für bitter, salzig, süß, sauer und umami verantwortlich sind. Wie aus den Signalen dieser Rezeptoren die feinen Nuancen eines charakteristischen Aromas im Kopf entstehen, ist selbst heute noch nicht bis ins Letzte aufgeklärt.

Es beginnt schon im Mutterleib: Frühe Erfahrungen prägen unseren Geschmack

Es ist das erste, was wir im Mutterleib wahrnehmen: Noch bevor wir hören oder sehen, schmecken wir. Denn wie alle Säuglinge schlucken wir schon im Mutterleib das Fruchtwasser und nehmen dabei die typischen Komponenten dieser nährenden Flüssigkeit wahr. Wir schmecken dabei vor allem die Süße der darin enthaltenen Zucker Glukose und Fruktose, die Aminosäuren und Fettsäuren.
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© Wei Hsu and Shang-Yi Chiu / CC-by-sa 2.5 USUngeborenes im Mutterleib neben der Plazenta
Dieses erste Geschmackserlebnis prägt unser Leben von Beginn an. Forscher vermuten, dass Säuglinge unter anderem deshalb von Anfang an Süßes bevorzugen. "Die Vorliebe für Zucker ist angeboren", erklärt Julie Mennella vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia. Sogar im Mutterleib selbst lässt sich dies schon nachweisen: Fügt man dem Fruchtwasser durch eine Kanüle eine sterile Zuckerlösung hinzu, dann beginnt das Ungeborenen, häufiger zu schlucken. Macht man das Fruchtwasser dagegen bitterer, sinkt die Schluckrate. Und auch Neugeborene unterscheiden schon instinktiv: Sie verziehen das Gesicht bei bitteren Geschmacksreizen, lecken aber ihre Lippen und lächeln, wenn sie Süßes schmecken.

Knoblauch und andere prägende Erfahrungen

Knoblauch
© SXCIsst die Schwangere Knoblauch, schmeckt es auch ihr Kind.
Und über das Fruchtwasser prägt auch die Mutter ohne es zu wissen bereits die Geschmacksvorlieben ihres Kindes: Isst sie in der Schwangerschaft viel Knoblauch, gelangen dessen Aromastoffe auch in das Fruchtwasser. Versuche, in denen Schwangere Knoblauchpillen schluckten, zeigen, dass die Kinder anschließend Milch mit leichtem Knoblauchgeschmack dem normaler Muttermilch vorzogen. Ähnlich prägend haben sich in Tests auch Anis, Karotten, Minze, Vanille und Blauschimmelkäse erwiesen.

Für Biologen ist diese Form der Prägung nur logisch: "Wenn ein Baby beginnt, feste Nahrung zu sich zu nehmen, ist es das Sicherste, wenn es genau das bevorzugt isst und als essbar erkennt, was auch die Mutter gegessen hat", erklärt Gary Beauchamp, Geschmacksforscher am Monell Chemical Senses Center.

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Salziges lernt ein Säugling erst im Laufe der Zeit zu schmecken. Neugeborene unterscheiden noch nicht zwischen leicht salzigem Trinkwasser und salzarmem Wasser - sie nuckeln beides gleich gern oder ungern. Mit vier Monaten aber ändert sich dies: Dann ziehen die meisten Kinder leicht salziges Wasser vor. Erhalten sie in diesem Alter dann auch noch salzhaltige Kost, beispielsweise weiches Brot, gemanschte Kartoffeln oder andere normal gesalzene Erwachsennahrung, dann essen sie bis ins Schulalter hinein Salziges sogar lieber als Süßes. Das hat im Dezember 2011 ein Versuch der Monell-Forscher gezeigt.

Aller guten Dinge sind fünf: Was schmeckt unsere Zunge?

Schon am Morgen beginnt unser Tag mit ersten Geschmackssensationen: Wir genießen das volle, leicht bittere Aroma einer Tasse Kaffee oder Tee. Der Geschmack verrät uns auch, ob die Milch sauer ist oder das Brot schimmelig. Aber wie genau funktioniert dies eigentlich?
Geschmacksknospe
© NEUROtiker / CC-by-sa 3.0Schema einer Geschmacksknospe
Wie eine russische Puppe...

Das Geheimnis des Geschmacks beginnt auf der Zunge: Wenn wir in den Spiegel schauen, erkennen wir schon mit bloßem Auge zahlreiche winzige Erhebungen, die Geschmackspapillen. In diesen meist pilzförmigen Auswüchsen der Zungenhaut verbergen sich zwischen einer und 700 zwiebelförmigen Geschmacksknospen. Und wie bei einer russischen Matroschka-Puppe fächert es sich noch weiter auf: Denn jede dieser Knospen enthält zwischen 50 und 80 Geschmackszellen, die wiederum viele verschiedenen Sensoren auf ihrer Oberfläche tragen.

Diese Sensoren sind die Hauptakteure des Geschmacks. Sie registrieren fünf grundliegende Aromen: bitter, süß, salzig, sauer und umami - den für proteinreiche Nahrung typischen Geschmack der Aminosäuren Glutaminsäure und Asparaginsäure. Lange Zeit nahm man aufgrund von Geschmackstests an, dass diese fünf Sensoren jeweils nur in bestimmten Bereichen der Zunge vorkommen. Das aber wurde inzwischen widerlegt. "Jeder Teil der Zunge ist im Prinzip für alle fünf Geschmacksrichtungen sensibel, allerdings reagieren einige stärker als andere auf gestimmte Reize", erklärt Leslie Stein vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia.


Nahrungs-Anzeiger und Warnsignal

Salz
© Jorge Royan (royan.com.ar)/ CC-BY-SA-3.0Salz ist lebenswichtig.
Dass wir genau diese fünf Grundgeschmäcker wahrnehmen, hat einen biologischen Sinn. Denn jeder dieser Sinneseindrücke transportiert eine Information, die schon unseren fernen Vorfahren das Überleben erleichterte: Süßes zeigt an, dass eine Nahrung zuckerreich ist und damit viel Energie enthält. Umami signalisiert Proteinreichtum und damit ebenfalls Nahrhaftigkeit. Salz ist ein Mineral, das unser Körper für viele Funktionen braucht. Dieses schmecken und damit auch im Zweifelsfall gezielt zu sich nehmen zu können, ist daher lebenswichtig. Sauer ist ein Signal, das vor unreifen und damit potenziell unverdaulichen Früchten warnt.

Bitter ist besonders wichtig, denn es warnt vor Gift. Denn viele toxische Pflanzen und deren Inhaltsstoffe haben eine deutlich bittere Note. "Bitter ist daher quasi der biologische Code für Gefahr", sagt Stein. Die große Bedeutung dieses Warnzeichens erklärt auch, warum wir Menschen bis zu 25 unterschiedliche Rezeptoren für verschiedene Bitterstoffe besitzen. "Ein Tier, das alles ablehnt, was irgendwie bitter schmeckt, hätte ein Problem. Denn nahezu jede pflanzliche Nahrung enthält mehr oder weniger stark vorschmeckende Bitterstoffe", erklärt Monell-Forscher Gary Beauchamp. Daher sei es wichtig, dass Tiere und auch der Mensch, harmlose von gefährlichen Bitterstoffen unterscheiden können.

Die fünf Grundgeschmäcker allein erklären aber noch nicht, warum wir noch die feinsten Nuancen eines Gourmet-Menus genießen können und warum ein Weinkenner selbst die kleinen Unterschiede zwischen verschiedenen Jahrgängen oder Standorten einer Weinsorte herausschmecken. Schließlich geht es da um mehr als nur bitter, sauer, salzig, süß oder umami...

Geschmack ist Teamwork: Was haben Geruch und Schmerz mit dem Aroma zu tun?

Dass am Geschmack mehr beteiligt ist als nur die Zunge, kann jeder selbst testen: Halten wir uns die Nase zu und essen dann eine Erdbeere, ist ihre Süße deutlich wahrnehmbar. Das typisch "erdbeerige" aber fehlt - das schmecken wir erst, wenn unsere Nase wieder frei ist. Aber warum?
Erdbeeren
© SXCDer typische Erdbeergeschmack entsteht nicht auf der Zunge allein.
"Das charakteristische Aroma der meisten Lebensmittel und Getränke kommt mehr durch den Geruch als durch den Geschmack", erklärt Leslie Stein vom Monell Chemical Senses Center. Die Verbindung zwischen Rachen und Nase sorgt dafür, dass die Duftstoffe dessen, was wir im Mund haben, zu den Nasenschleimhäuten und damit den Riechzellen gelangt. Im Gegensatz zu unseren Geschmacksknospen können sie tausende verschiedene Geruchsnuancen wahrnehmen. "Erst die Kombination aus dieser Geruchsinformation und den fünf Grundgeschmäckern ergibt das eindeutige Aroma einer Speise", sagt Stein. Der typische Pfefferminzgeschmack beispielsweise besteht aus dem von unserer Nase aufgenommenen Minzaroma, einem leicht bitteren Geschmack und einem kühlen Gefühl im Mund.

Bitterer bei Kälte, saurer bei Wärme

Aber nicht nur chemische Signale bestimmen, wie uns etwas schmeckt: Auch Temperatur und die Beschaffenheit einer Speise beeinflussen unsere Aroma-Wahrnehmung. Wie sich unsere Sensibilität gegenüber warmen und kalten Geschmacksreizen unterscheidet, haben kanadische Forscher erst vor kurzem untersucht In ihrem Experiment kosteten 74 Versuchspersonen 5 und 35 Grad warme Lösungen mit saurem, bitteren oder süßem Aroma. Das Ergebnis: Wärme machte den sauren Geschmackseindruck intensiver. Bitteres erschien dagegen bei Kälte stärker.

Zunge
© SXCWird die Zunge kalt oder warm, verändert dies den Geschmack.
Überraschend sei es allerdings, dass sich für die Süße kein Unterschied in der Geschmacksintensität zeigte, sagen die Forscher. Warum aber muss dann die Eismasse für Speiseeis fast schon übersüßt werden, damit uns das Eis am Ende halbwegs süß genug erscheint? Nach Ansicht von Gary Pickering und seinen Kollegen von der Brock University könnte das daran liegen, dass es bei Kälte einfach länger dauert, bis sich die Süße entfaltet. Denn das ließ sich in ihrem Experiment feststellen.

Bei einigen Menschen kann sogar ein Wärme- oder Kältereiz allein schon ausreichen, um eine Geschmacksempfindung auszulösen. Heizt man mit einer Thermosonde einen kleinen Teil ihrer Zunge auf, schmecken sie plötzlich süß - obwohl gar kein Süße vermittelndes Molekül präsent ist. Umgekehrt kann ein Kältereiz bei einigen den Geschmack von etwas Salzigem oder Saurem simulieren. Nach Schätzungen von Forschern gehören 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung zu diesen sogenannten "thermal tasters".

Schärfe ist eigentlich Schmerz

Wie aber ist das mit einem scharf gewürzten Thaigericht oder der Chilisauce? Da es keinen eigenen Scharf-Geschmackssensor gibt, muss diese Eigenschaft über etwas anderes vermittelt werden. Aber was? "Die Schärfe einer Speise wird durch ein drittes Sinnessystem, die chemische Irritation, hervorgerufen", erklärt Stein. "Dabei handelt es sich eigentlich um ein Warnsystem, das uns sagt, wenn unsere Körperoberfläche durch aggressive Chemikalien angegriffen wird."

Im Fall des Scharfgeschmacks reizen bestimmte chemische Verbindungen im Essen, darunter das in Chili enthaltene Capsaicin, Ammoniak oder bestimmte ätherische Öle die Zunge und die Mundschleimhäute. Tausende von Nervenenden in der Haut der Mundhöhle und der Nase registrieren diesen Reiz und senden ein Schmerzsignal weiter an den Trigeminusnerv und weiter ins Gehirn. Dort erst wird dieser Schmerzreiz mit den Signalen der Riech- und Geschmackszellen kombiniert und erst dadurch zu einem Teil des Aromas.

Verliebte Köche und gefärbter Wein: Wie entstehen subjektive Geschmacksunterschiede?

Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es. Was ich absolut deliziös finde, kann für jemand anderen furchtbar schmecken. Aber warum? Besitzen wir nicht alle die fünf Grundsensoren und Riechzellen? Sie müssten doch gleiche oder zumindest sehr ähnliche Signale ans Gehirn senden?
Synapsen, Gehirn, Nervenzellen
© NIMS
Dass beispielsweise selbst ein Stück Schokoladenkuchen längst nicht für alle gleich schmeckt, hat seinen Grund in der speziellen Entstehung dessen, was wir letztlich als Aroma oder Geschmack wahrnehmen. Denn dieser entsteht eben nicht in den Sensoren allein, sondern erst in der Großhirnrinde unseres Gehirns. Erst dort werden die Signale von Geruch, Geschmack, Mundgefühl und die Schmerzreize des Trigeminus miteinander kombiniert und mit Vorerfahrungen, Erinnerungen und Assoziationen verknüpft. Auch unsere Prägung im Mutterleib und in der frühen Kindheit kommt hier mit ins Spiel. Diese Verknüpfungen sind es letztlich auch, die manche Geschmackserlebnisse zu einem so umwerfenden und einprägsamen Genuss machen. Ein einziges verdorbenes Fischgericht kann einem so umgekehrt über Jahre hinaus alle Fische oder Meerestiere vergällen.

Warum verliebte Köche eher salzarm kochen müssten
Zucker
© SXCVerliebte schmecken Süßes weniger intensiv.
Und auch unsere Gefühle und die Hormone spielen für unser Geschmacksempfinden eine Rolle: Verliebte beispielsweise reagieren besonders sensibel auf saure und salzige Aromen, wie Wissenschaftler des Forschungsinstituts ttz Bremerhaven in Experimenten feststellten. Dass der verliebte Koch die Suppe versalzt, wie es sprichwörtlich heißt, ist daher eigentlich eher unwahrscheinlich, er müsste sie eher salzarmer machen als normal. Bitteres und Süßes schmeckten verliebte Probanden dagegen eher weniger intensiv.

Ursache dafür ist das Hormon Serotonin: "Je weniger Serotonin die Tester im Blut haben, desto schwächer fällt der geschmackliche Impuls bei der Wahrnehmung dieser beiden Geschmäcker aus", erklärt Mark Lohmann, Leiter des ttz-Sensoriklabors. Warum aber dämpft das Hormon nur diese beiden Geschmackssensoren und nicht auch salzig und sauer? Auch dafür haben die Forscher eine Erklärung: „Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass bei der Übermittlung von sauren und salzigen Geschmackseindrücken eine völlig andere biochemische Signalkaskade abläuft", sagen sie. Diese Kaskade sei möglicherweise weniger abhängig von der Serotoninkonzentration und daher weniger stark vom Verliebtsein beeinträchtigt.


Das Auge schmeckt mit

Wenn es um den Geschmack geht, spielen aber nicht nur Hormone und unsere Zunge eine Rolle, auch unsere Augen mischen dabei mit. So haben Versuche mit künstlich rot eingefärbtem Weißwein gezeigt, dass selbst Weinkenner in dem gefärbten Getränk plötzlich typische Rotweinaromen zu erkennen glaubten. Dass nicht nur die Eigenfarbe des Getränks dabei irreführend wirken kann, sondern auch die Lichtverhältnisse der Umgebung, stellten Ende 2009 Forscher der Universität Mainz fest. "Bisher war schon bekannt, dass die Farbe eines Getränks den Geschmack beeinflusst", erklärt der Mainzer Forscher Daniel Oberfeld-Twistel. "Wir wollten nun wissen, ob es auch eine Rolle spielt, welche Beleuchtung zum Beispiel in einem Restaurant herrscht."

Rotwein
© SXCWie Rotwein schmeckt, wird durch seine Farbe, aber auch das Licht in der Umgebung beeinflusst.
In einem ihrer Experimente ließen die Wissenschaftler Versuchspersonen einen Riesling verkosten, tauchten dabei aber den Testraum in unterschiedlich gefärbtes rotes, blaues, grünes oder weißes Licht. Anschließend wurden die Probanden darüber befragt, wie ihnen ein bestimmter Wein schmeckte und was sie dafür ausgeben würden. Das Ergebnis: Der Weißwein war ihnen unter rotem Licht gut einen Euro mehr pro Flasche wert als bei grünem oder neutralen weißem Licht. In einem zweiten Experiment sollten die Versuchspersonen jeweils zwei Gläser mit Wein vergleichen. Was die Probanden dabei nicht wussten: In beiden war derselbe Wein. Einziger Unterschied: Das erste Glas wurde unter roter Beleuchtung getrunken, das zweite Glas unter blauer. Es zeigte sich, dass der Test-Wein den Probanden unter rotem Licht rund eineinhalb Mal süßer schmeckte als unter blauem Licht.


Eine Frage der Gene: Für Geschmacksunterschiede gibt es auch biologische Gründe


Wenn ich genussvoll in einen Chicorée beiße, mein Nachbar aber wegen des bitteren Geschmacks angewidert den Mund verzieht, dann muss das nicht unbedingt an unseren verschiedenen Kindheitsprägungen oder den Hormonen liegen. Denn neben den eher subjektiven Reaktionen gibt auch handfeste biologisch-genetische Gründe, warum die Dinge nicht für jeden gleich schmecken.

Formel, Bitterstoff
© gemeinfreiFormel des giftigen Bitterstoffes Phenylthiocarbamid.
2003 haben israelische Forscher herausgefunden, dass die Gene, die für die Funktion der Riech- und Geschmacksrezeptoren sorgen, nicht bei jedem Menschen gleich aktiv sind. Stattdessen entdeckten sie 50 Gene, die je nach Veranlagung bei dem einen angeschaltet, beim anderen aber abgeschaltet sein können. Jeder Mensch verfügt damit über ein einzigartiges genetisches Schaltpult für den Geschmackssinn - und nimmt damit schon per se bestimmte Aromen anders wahr als sein Nebenmann.

Blind für Bitterstoff

Ein gravierender Unterschied im Geschmacksempfinden ist schon länger bekannt: Es gibt einige Menschen, die bestimmte Bitterstoffe, darunter die chemische Verbindung Phenylthiocarbamid (PTC), nicht schmecken können: Bei ihnen ist durch eine geerbte Genveränderung einer der 25 Bitterrezeptoren nicht funktionsfähig. Entdeckt hat dies der amerikanische Chemiker Arthur Fox 1931 durch puren Zufall: Er experimentierte mit PTC-Pulver, als ihm aus Versehen eine ganze Wolke des feinen Staubs ins Gesicht wehte. Ein nahebei stehender Kollege beschwerte sich über den bitteren Geschmack, den das PTC-Pulver auf der Zunge hinterließ, Fox selbst aber merkte absolut nichts davon. Weitere Tests zeigten, dass tatsächlich 30 Prozent der Menschen "Nichtschmecker" sind und diesen Bitterstoff nur abgeschwächt oder gar nicht wahrnehmen können.

Dass diese Blindheit für PTC sogar gesundheitliche Konsequenzen haben könnte, entdeckten im Oktober 2012 Forscher der University of Pennsylvania. Schon seit längerem ist bekannt, dass die Sensoren für Bitteres, Süßes und umami nicht nur auf unserer Zunge, sondern auch in unserem Verdauungstrakt vorkommen. Der Bitterrezeptor T2R38 kommt zudem auffallend häufig in den Schleimhäuten unserer Atemwege vor. Aber welchen Zweck hat er dort? Robert Lee und seine Kollegen hatten einen Verdacht: Sie vermuteten, dass diese Sensoren vielleicht dabei helfen könnten, Krankheitserreger zu erkennen. Denn viele Bakterien geben unter bestimmten Bedingungen einen Signalstoff ab, der chemisch einem Bitterstoff ähnelt.


Bitterrezeptor warnt Immunabwehr vor Eindringlingen

Und tatsächlich: In Kultur gehaltene Proben menschlicher Schleimhaut reagierten sowohl auf den künstlichen Bitterstoff PTC als auch auf eine Nährlösung, in der zuvor der Krankheitserreger Pseudomonas aeruginosa gehalten worden war. Prompt sonderte das Gewebe Schleim und antibakterielle Substanzen ab und die feinen Härchen auf der Schleimhaut begannen sich schneller zu bewegen - eine für die Abwehr von Erregern typische Reaktion. Die Forscher schließen daraus, dass der bittere Geschmack des bakteriellen Signalstoffs offenbar das Signal ist, das die Immunabwehr gegen den Eindringling mobilisiert.

Funktioniert dieser Bittersensor jedoch nicht richtig, dann bleibt diese Reaktion aus oder ist abgeschwächt. Menschen, deren PTC-Rezeptor genetisch defekt sind, könnte demnach möglicherweise leichter eine Erkältung bekommen als andere. Ob jemand besonders anfällig für eine Erkältung ist, könnte man zukünftig dann sogar durch einen Geschmackstest herausfinden. "Das Ergebnis dieses Tests könnte dann anzeigen, ob dieser Patient besonders anfällig für bakterielle Atemwegsinfektionen ist und daher eine stärkere Therapie benötigt als andere", schreiben die Wissenschaftler.

Warum Katzen keine Naschkatzen sind: Was schmecken Tiere?
Katze
© SXCKatzen können nichts Süßes schmecken - ihr Rezeptor funktioniert nicht.
Geschmack ist keine Erfindung von uns Menschen: Als vor mehr als 500 Millionen Jahren der erste primitive Fisch entstand, konnte auch er seine Nahrung höchstwahrscheinlich bereits schmecken. Für die ersten Wirbeltiere war das Aroma ihrer Mahlzeiten aber vorerst wohl noch ziemlich einseitig: Denn die ersten Fische besaßen vermutlich nur den Sinn für umami - den für proteinreiche Nahrung typischen Glutamatgeschmack. Darauf zumindest deuten Untersuchungen an bestimmten Seekatzen hin. Die Vorfahren dieser sogenannten Elefantennasenchimären (Callorhinchus) trennten sich bereits vor 400 Millionen Jahren von den anderen Fischen und auch den Vorfahren der Landwirbeltiere ab. Erst später in der Evolution kamen dann bitter, süß, sauer und salzig hinzu.

Blind für Süßes

Biologen gingen lange selbstverständlich davon aus, dass alle Säugetiere- ähnlich wie wir - diese fünf Grundgeschmäcker besitzen. Doch sie täuschten sich, wie Gary Beauchamp vom Monell Chemical Senses Center in Phildelphia in den 1970er Jahren entdeckte. Er stellte fest, dass für eine Katze süße Sahne und normale Milch nahezu gleich schmecken. Denn der vierbeinige Jäger kann, wie die meisten seiner Verwandten, Süßes gar nicht wahrnehmen. Ob Tiger, Gepard, Löwe oder zahme Hauskatze - ihnen allen fehlt schlicht der Sensor dafür. Wie Beauchamp und sein Team im Jahr 2005 herausfanden, hat eine Mutation im Laufe der Evolution bei allen Katzen eines der beiden Gene deaktiviert, die für den Süßsensor unverzichtbar sind.

2012 kam es noch seltsamer: Auf der Suche nach dem biologischen Hintergrund für diesen seltsamen Ausfall entdeckten Beauchamp und seine Kollegen weitere Tiere ohne Süßsensor. Neben Tüpfelhyänen und einer asiatischen Otterart gehörten auch Pelzrobben, Seehunde, Seelöwen und zwei in Asien vorkommende Katzenverwandte dazu. „Dass so viele verschiedene Arten im Laufe der Evolution unabhängig voneinander ihren Süßgeschmack verloren haben, war ziemlich unerwartet“, sagt Beauchamp. Denn die betroffenen Arten sind nicht eng miteinander verwandt, sondern entstammen ganz unterschiedlichen Säugetiergruppen. „Innerhalb der Gruppen gibt es zudem Arten, die Süßes schmecken und andere, die dies nicht können.“


Reine Fleischfresser brauchen keinen Süßsinn

Bär, Brillenbär
© Hans Hillewaert/CC-by-sa 3.0Brillenbären sind Allesfresser.
Aber warum? Einen Hinweis gab der Speiseplan der betroffenen Tierarten: Sie alle ernährten sich ausschließlich von Fleisch oder Fisch. Pflanzliche Nahrung kamen ihnen nicht in den Magen. Der Brillenbär dagegen, der durchaus auch Fleisch frisst, ist eher ein Opportunist: Findet er süße Beeren, nascht er gerne auch davon. „Es ist daher wahrscheinlich, dass die Nahrungsgewohnheiten und vor allem der Wandel zum obligatorischen Fleischfresser den Verlust des Süßsensors bei den Raubtieren gefördert haben“, sagt Beauchamp. Da der Süßgeschmack bei Fleisch nicht vorkommt, ist er für die reinen Fleischfresser entbehrlich. Der Brillenbär und andere Allesfresser dagegen benötigen den Süßsensor noch, weil die Süße ihnen anzeigt, wo sie zuckerreiche und damit nahrhafte Pflanzen finden.

Fledermäuse, Pandas und Delfine
Delfin
© SXCDelfine schmecken weder Süßes noch Bitteres oder umami.
Es ist daher nur folgerichtig, dass alle Früchte fressenden Fledermäuse noch Süßsensoren besitzen, die blutsaugenden Vampirfledermäuse aber nicht. Umgekehrt erscheint es auch logisch, dass der Panda keinen umami-Rezeptor besitzt: Denn er frisst ausschließlich Bambus - eine streng vegetarische Diät. Er muss daher nicht unterscheiden können, ob sein Futter viel oder wenig Glutamat enthält, solange er beim Bambus bleibt, kann er quasi nichts falsch machen.

Eine Sonderrolle in punkto Geschmackssinn nimmt der Delfin ein. Denn diesem Meeressäuger fehlt nicht nur der Sinn für Süßes, auch umami und bitter kann er höchstwahrscheinlich nicht schmecken, auch deren Gene sind bei ihm durch eine Mutation deaktiviert. Nach Ansicht von Beauchamp ist aber auch dies durch die Ernährung des Meeressäugers zu erklären: Delfine schlingen ihre Beute meist ganz hinunter, ohne lange zu kauen. Zum lange im Mund behalten und Schmecken ist dabei daher ohnehin kaum Gelegenheit.