Sie gehen keine Beziehung ein, sie bewerben sich nicht auf einen Job: Erstmals haben Forscher weltweit Menschen mit Depressionen befragt, ob sie diskriminiert werden. Vier von fünf Betroffenen fühlten sich schon einmal entwürdigt - selbst in der eigenen Familie.
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Menschen mit Depressionen erfahren in der Familie und am Arbeitsplatz Zurückweisung - ausgerechnet dort, wo sie die meiste Unterstützung benötigen würden. Das ist das Ergebnis einer Studie, für die ein internationales Forscherteam mehr als 1000 Betroffene befragt hat. Für die meisten hat das folgenschwere Konsequenzen: Sie fühlen sich alleingelassen und von der Gemeinschaft ausgeschlossen - oder haben schlicht Angst davor. Befürchtete oder tatsächlich erlebte Diskriminierungen seien eine Barriere, die Patienten vom sozialen Leben ausschließe und eine Integration verhindere, schreiben die Forscher im Fachmagazin Lancet.

Erstmals wurden für die Studie Patienten in 35 Ländern direkt dazu befragt, ob und in welchen Lebensbereichen sie sich schon einmal diskriminiert gefühlt oder Herabwürdigungen befürchtet hatten - und wie diese Erfahrungen ihr Leben beeinflussen. Von 1082 Befragten gaben vier von fünf (insgesamt 855 Personen) an, schon einmal in mindestens einem Lebensbereich diskriminiert worden zu sein.

Ebenso präsent war allein die Furcht der Betroffenen, diskriminiert zu werden: 316 der befragten Patienten hatten beispielsweise Angst davor, in ihrem Job ungerecht behandelt zu werden oder Schwierigkeiten bei der Jobsuche zu bekommen, wenn sie offen über ihre Depression sprechen. Die Ergebnisse zeigten aber auch, dass es nur in der Hälfte der Fälle tatsächlich auch zu einer Diskriminierung kam.

Das Besondere an der Studie sei, so erklärt es der Studienleiter Graham Thornicroft vom britischen King's College London, dass sich frühere Arbeiten in diesem Bereich bisher auf die Einstellung der Öffentlichkeit zur Stigmatisierung konzentrierten. Als Basis dienten demnach lediglich Fragen zu hypothetischen Situationen.

"Unsere Studie ist die erste, die tatsächliche Erfahrungen in einer großen, globalen Stichprobe von Menschen mit Depressionen untersucht", sagt Thornicroft. "Die Ergebnisse zeigen, dass Diskriminierungen bei Depressionen weit verbreitet sind, und nahezu sicher als Barriere gegenüber einem aktiven sozialen Leben und fairen Chancen auf einen Arbeitsplatz wirken."

Die Angst vor entwürdigenden Situationen verhindert Beziehungen

Dabei entsteht die Barriere teilweise bereits in den Köpfen der Betroffenen: Aus Angst vor entwürdigenden Situationen haben 37 Prozent schon einmal darauf verzichtet, eine Beziehung einzugehen. Ein Viertel verzichtete auf eine Bewerbung, ein Fünftel der Befragten hat sich nicht für eine Ausbildung oder Schulungsmaßnahme beworben. Über ein Drittel der Patienten gab an, schon einmal wegen ihrer Depression von anderen gemieden worden zu sein.

Für die Studie befragten die Wissenschaftler Patienten, die bereits wegen ihrer Depression in Behandlung waren. Daher können die Ergebnisse nur eingeschränkt verallgemeinert werden. Denn Betroffene, die nicht behandelt werden, erfasst die Untersuchung nicht. Zudem lässt der verwendete Fragebogen keine Rückschlüsse auf konkrete Einschränkungen durch die Depression im Alltag der Patienten zu.

Einige der Ergebnisse legen allerdings einen Zusammenhang zwischen der Schwere der Depression und der erlebten Diskriminierung nahe: So steigt bei Patienten mit mehreren depressiven Episoden im Leben die Wahrscheinlichkeit, dass sie schon einmal Demütigungen erfahren haben. Wer schon mindestens einmal im Leben in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgenommen wurde, hat ebenfalls ein erhöhtes Risiko für entwürdigende Erlebnisse. Zudem besteht ein statistischer Zusammenhang zwischen erlebten Diskriminierungen und einem aus den Fugen geratenen Sozialleben.

Die Furcht vor der Herabsetzung kann für Patienten zum Teufelskreis werden: In der Studie stieg die Wahrscheinlichkeit an, die eigene Krankheit zu verschweigen, wenn die Menschen große Angst vor Diskriminierungen hatten. Das könnte, so die Forscher, dazu führen, dass gerade diese Betroffenen erst spät oder gar nicht nach professioneller Hilfe suchen - was wiederum die Schwere der Depression und mögliche Folgen bis hin zum Suizid verschlimmern könne. Bleibt eine Depression lange unbehandelt, steigt zudem die Gefahr, dass die Krankheit chronisch wird.