Forscher sind dahinter gekommen, was die Krankheit Multiple Sklerose auslösen könnte. Es liegt an der Darmflora.
Begehbares Modell eines menschl Darms
© ArchivbildEine Frau steht in München in dem begehbaren Modell eines menschlichen Darms.

Lange schon forschen Wissenschaftler nach dem Auslöser der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose (MS). Offenbar befinden sie sich auf einem guten Weg. Denn wie deutsche Forscher im Fachmagazin Nature (DOI:10.1038/nature10554) berichten, ist wahrscheinlich die natürliche Darmflora des Menschen der lange gesuchte Auslöser. Die unter normalen Bedingungen unschädlichen Bakterien können bei genetisch vorbelasteten Menschen eine Überreaktion des Immunsystems auslösen, so die Forscher. Als Folge greife die köpereigene Abwehr das eigene Nervensystem an und löse damit die MS aus.

Multiple Sklerose: Ernährung spielt zentrale Rolle

Die neuen Erkenntnisse könnten bedeuten, dass auch der Ernährung eine zentrale Rolle bei der MS zukommt. Denn was wir essen, bestimmt maßgeblich, welche Bakterien den Darm besiedeln. «Veränderte Essgewohnheiten könnten beispielsweise eine Erklärung dafür sein, warum die multiple Sklerose in asiatischen Ländern in den letzten Jahren zugenommen hat», erklärt Hartmut Wekerle, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie und einer der Autoren der Studie.

Darmflora schuld am Ausbruch von MS

Die Forscher gewannen in ihrer Studie auch erste Einsichten dazu, wie die Darmflora zum Ausbruch der MS führen könnte: «Offenbar wird das Immunsystem in zwei Phasen aktiviert: Zunächst werden T-Zellen in den Lymphgefäßen des Darmtrakts aktiv und vermehren sich», sagt Studienleiter Gurumoorthy Krishnamoorthy, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Mögliche Auslöser für die Aktivierung dieser Abwehrzellen könnten Clostridien sein, mutmaßen die Forscher. Diese Bakterien seien Bestandteil einer gesunden Darmflora und träten häufig in direkten Kontakt mit der Darmwand. Bei genetisch für MS veranlagten Menschen könnte dieser Kontakt die T-Zellen aktivieren. Dieser Schritt löse dann eine Reihe von Prozessen aus, die letztlich zu den für MS typischen Entzündungsreaktionen im Gehirn führen, schreiben die Wissenschaftler.

Bekannt war bisher, dass die nervenzerstörende Autoimmunkrankheit sowohl auf genetischer Veranlagung als auch auf noch unbekannten Umweltfaktoren beruht. Als mögliche Kandidaten für solche Faktoren galten bislang unter anderem verschiedene Krankheitserreger. Jetzt habe man jedoch stattdessen nützliche Bakterien als Auslöser identifiziert, sagen die Wissenschaftler. Ihre Entdeckung machten die Forscher mit Hilfe genetisch veränderter Mäuse. Bei diesen Tieren treten normalerweise Entzündungsreaktionen im Gehirn auf, die der MS beim Menschen ähneln. Wurden die Tiere jedoch in keimfreier Umgebung ohne Mikroorganismen im Darm gehalten, blieben sie gesund. Impften die Wissenschaftler diese Mäuse nachträglich mit normalen Darmbakterien, erkrankten auch sie. Die Wissenschaftler sind sich sicher, dass auch die Darmflora des Menschen bei entsprechender genetischer Veranlagung MS hervorrufen kann. Welche Bakterien am Ausbruch der Autoimmunerkrankung beteiligt sind, ist aber noch unklar. Als nächstes wollen die Wissenschaftler deshalb das gesamte mikrobielle Genom von Patienten mit MS analysieren und so Unterschiede in der Darmflora zwischen gesunden Menschen und MS-Patienten aufspüren.

Nach ihrer Ansicht löst diese Erkenntnis auch ein seit langem bestehendes «Henne-Ei»-Problem: Bisher war unklar, ob das Nervensystem oder das Immunsystem den Ausbruch der Krankheit auslöst. «Die Frage nach Ursache und Folge beschäftigt die MS-Forschung seit langem. Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass das Immunsystem die treibende Kraft ist», sagt Wekerle.

dapd/AZ