Der 28-jährige Raphael Fellmer aus Kleinmachnow ist Pionier einer neuen Bewegung
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Praktische Kapitalismuskritik: Es gibt Menschen, die einfach kein Geld mehr benutzen. Ein 28-Jähriger aus Kleinmachnow gilt als Pionier dieser Bewegung: Er braucht zum Leben fast keinen Cent. Wenn der Euro eines Tages abstürzen sollte, könnte es Raphael Fellmer egal sein. Er lebt ohne Geld. Die weltweite Finanzkrise, das Bangen um Ersparnisse: solche Sorgen treiben den 28-Jährigen aus Kleinmachnow nicht um. Sein Ratschlag für eine stabilere Weltordnung: »Wir sollten das Geld ganz weglassen«, denkt er.

Fellmer gilt als Anführer der Leben-ohne-Geld-Bewegung, die immer populärer wird. Die Anhänger fischen weggeworfene Lebensmittel aus Mülltonnen. An vielen Orten in Deutschland gehen sie mittlerweile nachts in Hinterhöfen auf Beutezug. Vor allem die Abfälle von Bioläden sind begehrt. Im Internet haben sich Foren gegründet, in denen man sich über richtige Ausrüstung und Gesundheitsrisiken beim »Containern« austauscht. Sogar Rezepte werden hin- und hergereicht.

Gemüse, Joghurt, Tofu - Fellmer hat auf seinem jüngsten Streifzug wieder einiges aufgelesen. Rechtlich ist das Wühlen in fremden Abfalltonnen Diebstahl, Fellmer spricht dagegen von »Retten«. Er nimmt sich Lebensmittel, die als verdorben gelten. Damit kann er nicht nur sich, sondern auch seine Freundin und die fünf Monate alte Tochter ernähren. »Hier zum Beispiel«, sagt er und hält ein Paket fair gehandelten Kaffees hoch: »Nur ein paar Tage abgelaufen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die sich tagelang dafür abgerackert haben.«

Der Occupy-Bewegung sind die Leben-ohne-Geld-Aktivisten quasi einen Schritt voraus: Sie zelten nicht bloß vor Banken, um gegen das System zu protestieren. Sie boykottieren es, indem sie Geld nicht mehr verwenden. Dabei müsste Fellmer nicht von Müll leben. Er stammt aus einer Akademikerfamilie im bürgerlichen Berlin-Zehlendorf, sein Vater ist Architekt, die Mutter Kunsttherapeutin. Fellmer selbst absolvierte in Den Haag ein Europastudium.

Statt für Lohn arbeitet der 28-Jährige aber lieber für seine Ideale. Er reist quer durch Deutschland und hält Vorträge. Neulich lud ihn der WDR ein. Fellmer fuhr per Anhalter ins Studio nach Köln. »In den meisten Autos in Deutschland sitzt doch eh immer nur einer drin«, sagt er. Kritiker seiner Lebensweise nennen ihn allerdings oft einen »Schnorrer«.

»Es geht um die Ressourcen auf dieser Erde insgesamt«, sagt Fellmer. Die Meere sind überfischt, die Böden ausgelaugt, die Wirtschaft soll aber weiter wachsen, am besten zweistellig. »Dabei müssen wir uns zu einer Schrumpfungsgesellschaft entwickeln. Wir sind sieben Milliarden Menschen, wir haben nur diese eine Erde«, mahnt Fellmer.

Vor kurzem reiste er bis nach Freiburg im Breisgau, um dort in einer Waldorfschule zu referieren. Die Oberstufenlehrer werteten Fellmers Vortrag als »pädagogischen Glücksfall«, berichtet Klassenlehrer Hans Hubert Schwizler. »Raphael verstand es, den Schülern - ob diese nun seinem Lebensentwurf zustimmen mochten oder nicht - deutlich zu machen, dass man die eigenen Ideale durchaus leben kann.«

Ganz ohne den deutschen Sozialstaat kommt aber auch Idealist Fellmer nicht aus. Aus Sorge um Tochter Alma Lucia ist die Familie zumindest gesetzlich krankenversichert, die Kosten werden durch das staatliche Kindergeld gedeckt, erklärt Fellmer. »Wenn wirklich mal etwas passieren sollte, ist so alles in trockenen Tüchern.«