Können Selfies süchtig machen?
Ja. Aber das ist nur die kurze Antwort.
Unlängst wurde, meine Damen und Herren, der Fall eines bedauernswerten Mannes bekannt, der zehn Stunden am Tag damit verbrachte, das perfekte
Selfie von sich zu schiessen, und dann, als ihm dies nach eigener Einschätzung nicht gelungen war, einen Selbstmordversuch unternahm. Das war im April. Der Mann litt an Body Dysmorphic Disorder (BDD). So nennt man das psychische Syndrom, das umschreibt, wie die Selbstwahrnehmung sich im Dienste eines kategorischen Idealbildes erheblich verzerrt.
Es gibt verschiedene Kommentatoren, die das exzessive, manische Anfertigen und Veröffentlichen von Selfies mit BDD in Verbindung bringen. Bisher wurden ja Selfies philosophisch stets vor allem als Ausprägung des
pandemischen Narzissmus der Spätmoderne klassifiziert, so jüngst wieder in einem Zeitschriftenbeitrag des bekannten Philosophieprofessors Konrad Liessmann aus Wien. Herr Liessmann wies darauf hin, dass das ehemalige Krankheitsbild des pathologischen Narzissmus zum Massenphänomen geworden sei, und dass der narzisstischen Struktur moderner Kommunikationstechnologien ein ahistorisches Moment innewohne: Beim Selfie geht es um den Konsum des Moments, um den festgehaltenen, durch die Technologie elektronischer Medien vermittelten Augenblick. Zu verstehen als permanenter Imperativ, den je aktuellen Moment des Daseins auf Dauer zu stellen. So Liessmann. Noch prägnanter ausgedrückt wird dieser Zusammenhang in einem Tweet von
Science Porn:
How to measure narcissism: N=S/h. Dabei steht S/h für
Selfie per hour.
Kommentar: Ekelhaft. Ein wahres Beispiel einer ponerisierten Gesellschaft.