Wo Fortuna wachte und Methangas zündete: Wer eine Gesellschaft verstehen will, kommt an ihren Latrinen nicht vorbei. Auch die römischen Kloaken lieferten überraschende Einblicke.© Wikipedia CommonsAntike öffentliche latrinae in Ostia Antica
Eng und übel riechend ging es wohl zu in dem hohen Kellerraum tief unter einem der prunkvollsten Paläste Roms. Eine Art Steinbank, in regelmäßigen Abständen durchbrochen von etwa tellergroßen Löchern, verlief entlang der Wand der feuchten Kammer. Auf ihr saßen vor etwa 2000 Jahren die Angehörigen der niedersten Schichten der römischen Gesellschaft, hier war ihr Platz für die Verrichtung ihres Geschäfts.
Heute ist der Raum für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. 2014 aber nutzten die Archäologinnen Ann Koloski-Ostrow und Gemma Jansen eine seltene Gelegenheit, die antike Gemeinschaftstoilette auf dem Palatin genauer zu erforschen. Unter anderem nahmen sie Maß an der Sitzhöhe (bequeme 43 Zentimeter), den Abständen zwischen den Löchern (eher intime 56 Zentimeter) und am Abstand zum darunterliegenden Abwasserkanal (beachtliche 380 Zentimeter an der tiefsten Stelle). Auch stellten sie Überlegungen darüber an, wo wohl das Wasser herkam, das den Kanal einst durchspülte (vielleicht von einer nahe gelegenen Therme). Graffiti außerhalb der Eingangstür legen nahe, dass es lange Schlangen gab, in denen die Wartenden Zeit hatten, ihre Botschaften an die Nachwelt einzuritzen. Die unterirdische Lage der Toilette, in Verbindung mit der schlichten rot-weißen Bemalung der Wände, legt nahe, dass hier keine hochgestellten Persönlichkeiten Platz nahmen. Auf der Bank saßen vermutlich vor allem Sklaven.
Als 1913 der italienische Archäologe Giacomo Boni diesen Raum erforschte, waren Toiletten noch ein Tabuthema. In seinem Ausgrabungsbericht scheint er die durchlochten Bänke mit einer weit aufsehenerregenderen Entdeckung zu verwechseln: Sie seien wohl ein Teil eines komplizierten Mechanismus, so spekulierte er, um Wasser in den Palast zu pumpen und diesen mit hydraulischer Energie zu versorgen. Bonis Prüderie hielt ihn davon ab, zu erkennen, was direkt vor seinen Augen lag, sagt Jansen: "Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es sich um eine Toilette handelte."
Ein Jahrhundert später sind Toiletten kein inakzeptables Forschungsobjekt mehr. Koloski-Ostrow von der Brandeis University in Waltham, Massachusetts, und Jansen, freischaffende Archäologin aus den Niederlanden, befinden sich damit in der Gesellschaft einer wachsenden Zahl von Archäologen, Epidemiologen und anderen Spezialisten, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Licht in die vergessenen Örtchen der Antike zu bringen. Ihr Interesse reicht von den Sumerern bis ins europäische Mittelalter, ein besonderer Fokus liegt jedoch auf der Römerzeit.
Das soll Ernährungsweisen, Krankheiten und die Gewohnheiten antiker Gesellschaften verstehen helfen, vor allem die der unteren Schichten. Denn diesen haben Archäologen der Vergangenheit oft nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Aus ihren neuen Forschungen konnten die Wissenschaftler beispielsweise schließen, dass die alten Römer ihre Toiletten stets mit einer gewissen Beklommenheit aufsuchten, teils aus Aberglauben, teils aber auf Grund der sehr realen Gefahren, die von Ratten und anderem Ungeziefer in den Kloaken ausgingen. Außerdem zeigen moderne Untersuchungen antiker Exkremente, dass die ausgefeilten Kanalisationsanlagen, für die Rom so berühmt ist, offenbar nicht viel zur Gesundheit seiner Bürger beitrugen.
"Von Toiletten können wir vieles lernen", sagt Hendrik Dey vom Hunter College in New York, "viel mehr als nur, wie und wo die Leute aufs Klo gegangen sind."
Kommentar: