Der amerikanische Softwareriese Raytheon hat schon vor Längerem eine umstrittene Software entwickelt, die Internetseiten sozialer Netzwerke dazu benutzt, einzelne Bewegungen von Nutzern im Internet auszukundschaften und zu verfolgen, und die zugleich in der Lage ist, mittels statistischer Verfahren zukünftige Aufenthaltsorte und das Verhalten von Personen vorherzusagen. Das Programm wird von Bürgerrechtsgruppen scharf kritisiert.
Datamining, Überwachung, Big Brother
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Ein Video, das exklusiv der britischen Tageszeitung The Guardian zugespielt wurde, zeigt, dass das Computerprogramm, welches von dem Softwareunternehmen Raytheon, das wiederum eng mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium zusammenarbeitet, entwickelt wurde, in der Lage ist, große Mengen an personenbezogenen Informationen aus den Internetseiten sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und Foursquare zu sammeln.

Raytheon hat eingeräumt, die Software sei bereits 2010 im Rahmen eines gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprogramms an die amerikanische Regierung weitergegeben worden. Dieses Forschungsprogramm war Teil der Bemühungen, ein nationales Sicherheitssystem aufzubauen, das in der Lage sein sollte, Billionen von Einträgen aus dem Cyberspace zu analysieren. Das Unternehmen mit Sitz in Massachusetts erklärte aber, es habe das Computerprogramm mit Namen »Riot« (für: »Rapid Information Overlay Technology«) an niemand anderen verkauft.

Die umstrittene Software ermöglicht angeblich Zugriff auf ganze Bereiche des persönlichen Lebens und der Privatsphäre, des Freundeskreises und etwa auch aller Bilder, die ins Internet gestellt wurden. Darüber hinaus werden die Aufenthaltsorte der betreffenden Personen auf einer Karte vermerkt.

In dem schon erwähnten Video erläutert der Chefentwickler von Raytheon, Brian Urch, ausführlich, wie das Programm dazu benutzt werden kann, jemanden aufzuspüren und seine Aktivitäten zu verfolgen. »Wir werden einen unserer Mitarbeiter ausfindig machen und verfolgen«, sagte Urch. Er zeigte dann, wie es die in sozialen Netzwerken gesammelten Informationen ermöglichten, den Besuch von »Nick« im Washingtoner Nationalpark zu dokumentieren. Unter den gesammelten Informationen befand sich sogar ein Bild, das »Nick« im Park mit einer blonden Frau zeigte. »Wir wissen, wohin Nick geht, wir kennen sein Aussehen; aber nun wollen wir versuchen, vorherzusagen, wo er sich in der Zukunft aufhalten wird«, fuhr Urch fort.

Da Nick regelmäßig die webbasierte Mobilphon-App Foursquare nutzt, die seine Freunde darauf hinweist, wo er sich gerade aufhält, war es Riot möglich, die zehn wahrscheinlichsten Örtlichkeiten und die jeweiligen Zeiten zu ermitteln, an denen Nick sich dort aufgehalten hatte. So zeigte sich, dass Nick jeden Montag um 18:00 Uhr ein Fitnessstudio aufsuchte. »Wenn man sich also mit Nick treffen oder vielleicht seinen Laptop in die Hände bekommen will, sollte man am Montag gegen 18:00 Uhr das betreffende Fitnessstudio aufsuchen«, sagte Urch.

In den meisten Ländern ist es den Strafverfolgungsbehörden gesetzlich erlaubt, öffentlich zugängliche Internetseiten zur Informationsbeschaffung zu benutzen, und schon allein deswegen werden sich Geheimdienste und andere Sicherheitsbehörden für Riot interessieren. Im Februar vergangenen Jahres erklärte das FBI, es wolle Möglichkeiten entwickeln, soziale Netzwerke systematisch mit statistischen Analysemethoden zu durchforsten, um »übelwollende Akteure oder Gruppen« aufzustöbern und zu überwachen.

Ankündigungen wie diese ließen Bürgerrechtsgruppen aufschrecken, die eine weitere Lockerung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre befürchteten. Ginger McCall, eine Rechtsanwältin der Bürgerrechtsorganisation Electronic Privacy Information Center aus Washington, erklärte, Riot wecke Befürchtungen, es könnte zu einer unkontrollierten und durch keine Vorschriften mehr geregelten verdeckten Abschöpfung privater und personenbezogener Informationen kommen. »Die Nutzer stellen in der festen Überzeugung Informationen ins Netz, dass diese Daten nur von ihren Freunden eingesehen werden können, aber tatsächlich werden sie von Mitarbeitern von Regierungsbehörden benutzt oder von Dienstleistern wie Riot, die das gezielte Sammeln von Informationen anbieten, zusammengetragen«, erklärte McCall gegenüber dem Guardian.

In einer E-Mail an den Guardian verteidigte Jared Adams, Sprecher der Abteilung für nachrichtendienstliche und andere Informationssysteme des Unternehmens, dessen Produkt. Es trage den sich rasch verändernden Sicherheitserfordernissen der USA Rechnung, schrieb er und wies darauf hin, das Programm untersuche keine unmittelbar personenbezogenen Informationen wie Kontodaten oder die Sozialversicherungsnummer.

Im Dezember ließ Raytheon durchblicken, Riot sei Bestandteil eines Patentantrags für ein System, das in der Lage sei, Daten aus Internetseiten sozialer Netzwerke und Internetblogs dahingehend zu analysieren, dass erkennbar werde, ob eine Person ein nationales Sicherheitsrisiko darstelle.