Neueste Recherchen enthüllen, dass Kinder in Chatforen unablässig Opfer sexueller Übergriffe werden. Für Familienministerin Schröder sind derartige pädophile Taten „an der Tagesordnung“. Wie eine schnelle Lösung des Problems aussehen soll, bleibt jedoch umstritten.
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© UnbekanntImmer wieder suchen Pädophile ihre Opfer im Internet
Kinder und Jugendliche sollen unablässig Opfer massiver sexueller Übergriffe in Chatforen sein. Das ergab eine Recherche der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Eine Mitarbeiterin der Zeitung gab sich zwei Wochen lang in beliebten, ausdrücklich auf Kinder zielende Chatforen als zehn- bis zwölfjähriges Mädchen aus. Schon nach wenigen Minuten sei es zu verbalen Übergriffen gekommen sein - ausnahmslos.

Chatteilnehmer sollen die vermeintlichen Kinder bedrängt haben, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen. Manche sollen sogar versucht haben, sie zu einem Treffen zu überreden. Häufig sollen die Kinder gebeten worden sein, zu Anbietern wie Skype zu wechseln, um sich dann live beim Masturbieren zu zeigen oder ihnen pornografische Bilder zu senden, schreibt die FAS.

„Nicht alle Chats, die kindgerecht aussehen, sind es auch“

Internet, Chat
© dpaDas Internet als Tatort für Pädophile
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sagte der Zeitung, dass derartige Übergriffe „leider an der Tagesordnung“ seien: „Nicht alle Chats, die kindgerecht aussehen, sind es auch.“ Ein von Familienministerium eingeführtes Chat-Hilfebutton-Modell, das Kinder in Bedrängnis einsetzen können, erwies sich im Test der FAS jedoch als untauglich. Die dort auftauchenden Einleitungs-Texte seien für Kinder zu lang, urteilt die Autorin. Es sei auch vorgekommen, dass nach Drücken des Hilfebuttons keine Reaktion des Chat-Anbieters gekommen sei.

Einen anderen Lösungsansatz, der Kinder vor sexuellen Übergriffen im Internet schützen soll, möchte die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) durchsetzen. Sie fordert vom Bundesjustizministerium, die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs aus dem Jahr 2011 endlich umzusetzen. Dazu müsse aber die Vorratsdatenspeicherung eingeführt werden. Sie soll „ein absolut notwendiges Instrument für Ermittler“ werden, sagte Frau Merk dem Blatt. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums bestätige eine „angestrebte“ Umsetzung. Dies gelte auch für die Konvention des Europarats gegen sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern aus dem Jahr 2007.

Vorratsdatenspeicherung und grenzübergreifende Regelungen

Nach geltender Rechtslage in Deutschland liegt es immer noch beim Anbieter selbst, ob er Daten speichert und ob er sie herausgibt. Die EU-Kommission hat Deutschland deshalb im Mai vergangenen Jahres vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Das Verfahren läuft noch. Täter würden häufig auch Server im Ausland nutzen, auf die deutsche Behörden keinen Zugriff haben. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Marlene Rupprecht fordert deshalb, die Strafverfolgungsbehörden bei Internetstraftaten zu einer internationalen Zusammenarbeit zu verpflichten. Die Bundesregierung müsse zudem den Schutz von Kindern im Internet an die oberste Stelle der Agenda setzen. „Das ist bisher nicht der Fall“, sagte Rupprecht der FAS.

„Deutsche Gesetze bieten Gerichten Schlupflöcher“

Merk hält zudem das deutsche Strafrecht für reformbedürftig. Es stellt grundsätzlich den sexuellen Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren unter Strafe. Dies umfasse die Einwirkung auf ein Kind „durch Schriften, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen“. Merk erkennt hier jedoch ein Schlupfloch: Ein Gericht habe die Möglichkeit zu sagen, das beziehe sich nicht auf das Internet, und „Einwirken“ erfordere eine gewisse Hartnäckigkeit. Es müsse aber sichergestellt sein, dass jede Kontaktaufnahme mit einem Kind zu sexuellen Zwecken bestraft werde.

Der Medienrechtler Thomas Hoeren hält die Regelung hingegen für eindeutig, es handele sich um ein „reines Anwendungsproblem“, sagte Hoeren der FAS. Er ist skeptisch, was die Chancen angeht, Internettäter zu überführen: „Die Gesellschaft muss die Machenschaften von pädophilen Kriminellen bis zu einem gewissen Grad hinnehmen, solange sie auch das Internet hinnimmt.“

„Abgeordnete haben Angst vor Shitstorms“

Julia von Weiler, Vorstand der Organisation Innocence in Danger, wirft den Staatsanwaltschaften vor, sie erhöben zu selten Anzeige. Es bestehe oft die Vorstellung, dem Kind sei nichts passiert, weil es keinen physischen Kontakt mit dem Täter gehabt habe, schreibt die FAS. Von Weiler fordert deshalb schärfere Bestimmungen für die Betreiber von Chatforen zum Schutz von Kindern. Abgeordnete hätten zu oft „Angst vor Shitstorms“ von Internetaktivisten, die sich gegen jede Regulierung sperren würden.

gm/mp/jba