Im Deggendorf warten die Einwohner auf das Ende der Flut. Kaum einen anderen Ort hat es so getroffen wie diesen. Zwischen Kadavern, leckenden Öltanks und ruinierten Existenzen gibt es auch Humor.
Flut, Deggendorf
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Der Feuerwehrmann sagt: "Ich habe kaum das Nötigste aus dem Haus retten können. Ich wollte halt erst den anderen helfen." Margit P., 52, tröstet sich: "Mein Vater war im Krieg und anschließend in Gefangenschaft. Der hätte doch über das Hochwasser gelacht." Und das junge Ehepaar, das mit dem Boot über die Straßen des Deggendorfer Ortsteils Fischerdorf fährt, will wenigstens noch einmal ins überschwemmte Haus reinsehen. "Vielleicht kann man ja die Fahrzeugpapiere retten", sagt der Mann, als das Boot an einer in der Flut schaukelnden Gießkanne vorbeituckert.
Flut, Deggendorf
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Drei Stimmen aus Deggendorf-Fischerdorf in Niederbayern am Freitag, drei Tage nachdem die Isar über einen Damm schwappte und den Ortsteil überflutete. Drei Meter hoch steht das Wasser nun in den Straßen, es ergoss sich durch Fenster, Garagen und Türen in die Häuser, spülte Möbel auf, sprengte Glas, drang beim Metzger, beim Bäcker und in Autohäuser ein, flutete Kraftfahrzeuge, von denen zum Teil nur die Dächer herausragen, entriegelte durch den Druck die Heckklappen.

Es suppt immer noch um die gepflegten Einfamilienhäuser mit den Doppelgaragen, schwemmt Feuerholz hoch, das jetzt wie Treibholz herrenlos durch die See fließt, wo einst Straßen waren, nur angezeigt durch die meterhohen Schilder, die wie Bojen aus der braunen Brühe ragen. Das junge Ehepaar staunt, ist ganz ruhig, die Frau knipst Fotos mit dem Smartphone. Die beiden haben alles verloren, und doch sind sie auch fasziniert von der stillen Ödnis der Katastrophe im Sonnenschein.
Flut, Deggendorf
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Drei Tage stehen die Häuser erst leer? Fast wirkt es so, als führe das Alu-Boot durch eine verlassene Geisterstadt, die schon vor Jahrzehnten aufgegeben wurde. In einem Vorgarten dümpelt ein Paket Dämmwolle, darauf steht "Baustoffe fürs Leben". Nebenan hat einer seinen Aufsitzrasenmäher gerettet, indem er ihn auf einen Anhänger geladen hat; es wirkt wie ein kleiner Triumph über die Naturgewalten. Wenigstens den Mäher bekommt das Wasser nicht.

Ausharren in den oberen Stockwerken

Diese Bilder: herrenlose Gartenstühle, die vorbeischwimmen; Absperrungen, versunkene Schilder, Zäune, Wiesen, ringsum nur Wasser, keine Grenzen, alles fließt; dazu Stille, nur durchbrochen von den An- und Abflügen der Polizeihubschrauber, die hornissengleich über den weiß-blauen Himmel schweben - niemand wäre überrascht, stünde gleich um die Ecke ein Filmteam des Endzeit-Regisseurs Roland Emmerich, der eine Regieanweisung durch eine Flüstertüte gäbe, etwa: "Ein bisschen mehr Tränen, bitte!" Aber hier stehen nur Kameras vom Bayerischen Rundfunk, von RTL und Sat.1 mit ihren Satellitenschüssel-Lastern, und dem Ehepaar auf dem Boot kommen keine Tränen. Die sind einfach überwältigt.
Flut, Deggendorf
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Ganz leer ist Fischerdorf nicht. Etwa 50 meist ältere Leute harren in den oberen Stockwerken ihrer Häuser aus. Man "kann sie nicht zwingen", sagt der Feuerwehrmann, "stellvertretender Stadtteilkommandant Deggendorf" steht auf seiner Weste. Seine Leute versorgen die Menschen per Boot - so gut es geht. Strom gibt es nicht, auch die Kanalisation hat versagt. Das Pumpenhäuschen, das das tiefer liegende Dorf von Abwässern befreit, ist abgesoffen. "Was im Klo weggespült wird, schwimmt alles obenauf", sagt der Feuerwehrmann.

Durch seine Sonnenbrille blickt er auf sein Dorf, das Wasser steht bis zum Fuß der Donaubrücke. Idyllisch liegt es, zwischen Isar und Donau, und bislang ist doch nie etwas passiert. "Jetzt haben meine Kameraden nicht mal mehr ihre Autos aus den Garagen holen können." Er selbst hat zwei kleine Kinder und weiß noch nicht, wie es weitergehen soll. "Erst mal helfen, dann schaun mer mal."
Flut, Deggendorf
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Existenzen stehen auf dem Spiel

Also hatte eine Stadt kollektives Pech? Ist die Flut eine Art Binnen-Tsunami, unvorhersehbar und nicht aufzuhalten? Gut, 1954 stand der Pegel mal bei einem Hochwasser bei 7,50 Metern, normal besitzt die Donau einen Stand von etwa drei Metern. Einen Pegel von über acht Metern hielt niemand für möglich. "Das war Schicksal", sagt Margit. P. Und ihr Lebensgefährte Peter sagt: "Wir werfen niemandem etwas vor. Es ist einfach ein Trauerspiel für die Leut'. Viele stehen ja vor dem Ruin."

An einen so hohen Wasserstand haben nur die Versicherungen gedacht, die Flutschäden für Häuser in Fischerdorf gar nicht oder nur für sehr hohe Prämien versichert haben. Und so stehen von den etwa 1000 Hausbesitzern im Überschwemmungsgebiet viele vor dem Ruin. Sie haben vielleicht die Fahrzeugpapiere in den ersten Stock retten können und die Katze mit auf die Flucht genommen. Aber ihre Existenz steht auf dem Spiel. Eine Sanierung der Häuser dürfte beinah so teuer sein wie ein Neubau.
Flut, Deggendorf
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Margit P. sagt, als sie zum ersten Mal in ihr verwüstetes Haus zurückgekehrt seien, habe sie die Reaktion von Menschen verstanden, die alles verloren haben. "Das ist ein Schock. Das kann man nicht begreifen, wenn man es nicht erlebt hat." Am Montagabend haben sie und ihr Lebensgefährte zum ersten Mal das Gerücht gehört, dass der Damm überschwemmt werden würde. "Na, da haben wir eben ein paar Sachen nach oben gebracht. Aber abhauen? Das fiel uns nicht ein."

Öl tritt aus leckenden Tanks aus

Am Dienstag wurde die Lage ernster. Das Paar kämpfte mit sich. Wäre es nicht vernünftiger ...? Aber was passiert dann mit dem Haus? Um 18 Uhr scheuchten Polizei und Feuerwehr die Bewohner aus ihren Häusern - und die beiden entschieden zu gehen. Kurz danach kam das Wasser. Immerhin kam niemand in Fischerdorf zu Schaden. "Wir sind unverletzt, wir haben beide Arbeit, wir sind beide freigestellt worden, damit wir unser Haus reparieren können", sagt Margit P. "Man muss versuchen, das zu relativieren."
Flut, Deggendorf
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Und doch gibt es Zerstörungen und Tod. Die Wildtiere sind von der Welle überrollt worden und ertranken jämmerlich. Wo das Wasser steht, ist alles tot. Überall schwimmen Kadaver herum, selbst in Fischerdorf sind sie gesichtet worden: "Totes Reh, totes Wildschwein, Althoffstraße, Kreuzung Rosenstr." steht auf einem gelben Post-it-Zettel bei der provisorischen Einsatzzentrale am Fuß der Brücke. Aber um die Kadaver können sich die Helfer jetzt nicht kümmern, sie müssen erst mal "zur Gefahrenabwehr" ausrücken, wie der Einsatzleiter sagt.

Die großen Container, die umherirren, könnten in Scheiben hineingedrückt werden; sie müssen herausgefischt werden. Und dann gibt es jede Menge Gas- und Öltanks, die in den Kellern vom Wasser aus den Verankerungen gerissen wurden. Sie beginnen zu lecken oder werden durch den Druck sogar an der Kellerdecke zerquetscht; jedenfalls gibt es Freitagmittag einen "Gasaustrittsalarm": Die Feuerwehr kommt, die Brücke muss geräumt werden, ein undichter Tank wurde gesichtet. Taucher können das Leck dann versiegeln, später werden die Bootstouren wieder aufgenommen.

"Man kann ja nichts machen"

Wie viele Liter Öl wirklich ausgetreten sind, mag niemand sagen. Ein Helfer schüttet Bindemittel auf die Straße vor der Brücke, dort wurde ein Ölteppich angeschwemmt. Er verteilt das weiße Pulver vor seinen Füßen, als fütterte er Vögel. Es liegt eine bedrückte Gelassenheit über der Szene. Es gibt genug Helfer, es gibt viele Sachspenden und Wohnangebote, der Staat verspricht Hilfe. Es gibt auch eine Routine in der Katastrophenbewältigung, die Raum für ein wenig Humor lässt. "Hafenmeister" nennen sie den Abschnittsleiter, der die Listen für die Boote zusammenstellt. "Geht's hier zu den Boatpeople?", will einer wissen, der sein Haus besuchen will.

Das junge Ehepaar ist nicht mehr in sein Haus gekommen, das Boot konnte nicht über den Zaun fahren. Sie werden es am Samstag noch einmal probieren, der Pegel sinkt. Enttäuscht? "Man kann ja nichts machen", sagt der Mann. Der Feuerwehrmann, der so melancholisch leise redet, will gar nicht so schnell in seine versunkene Bleibe zurück. "Ich arbeite hier, solange ich gebraucht werde." Und Margit K. blickt auf die Donau. "Wir haben doch in Wahrheit wirklich Glück gehabt", sagt sie an diesem schaurig-schönen Freitag in Deggendorf-Fischerdorf.
Flut, Deggendorf
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