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© imago stock&peopleLänder in Afrika sind - ebenso wie Regionen in Südostasien - in besonderem Maße von Hunger bedroht.
Eine Studie zeigt, dass der Klimawandel die Ernährungssicherheit der Menschen besonders in Risikogebieten deutlich verschlechtern kann. Einige Regionen - Deutschland zählt auch dazu - können allerdings auch von der Erderwärmung profitieren.

Die „Grüne Revolution“ hat in den vergangenen Jahrzehnten Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers in den Entwicklungsländern gebracht. Der Anteil der Hungernden an der Gesamtzahl der Bevölkerung hat sich dort seit 1990 von 23 Prozent auf 15 Prozent verringert. Allerdings drohen der Klimawandel und steigende Nahrungsmittelpreise die positive Entwicklung wieder umzukehren. Das zeigte eine aktuelle Studie von Agrarforschern der Universitäten Bonn und Reading (Großbritannien).

Derzeit sind schätzungsweise rund 850 Millionen der mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Erde von Hunger betroffen. Um 1990 waren es noch 980 Millionen gewesen. Die positive Entwicklung hat sich aber bereits seit 2007 wieder abgeschwächt, wie der Bonner Agrarwissenschaftler und Mitautor der Untersuchung, Professor Joachim von Braun, feststellt. Gründe waren unter anderem steigende Agrarpreise, die ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zu Nahrungsmitteln erschwerten. Als problematisch gilt auch die steigende Nutzung von Ackerböden für Agrosprit.

Laut der Untersuchung kann der Klimawandel die Ernährungssicherheit der Menschen deutlich verschlechtern. Bis 2100 muss laut dem UN-Klimarat IPCC mit einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,8 bis vier Grad gerechnet werden. „Die Regionen der Welt, die schon jetzt besonders von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, werden durch Dürren und vermehrte Extrem-Wetterlagen zusätzlich belastet“, erläutert Brauns Co-Autor, Professor Tim Wheeler in Reading.

Häufigere Extremwetterlagen

Zu den Risikogebieten zählen besonders das südliche Afrika und Südasien. So wird laut der Studie wegen steigender Temperaturen zu Beispiel der Weizen-Ertrag in Afrika bis zum Jahr 2050 um durchschnittlich 17 Prozent zurückgehen, Südasien habe einem 16-prozentigen Rückgang der Mais-Erträge zu verkraften. Durch einen Anstieg der Temperaturen werde es zudem häufiger zu Extremwetterlagen wie Starkregen oder Dürren kommen, die Ernten vernichten.

Schwarzrost

Die Getreidekrankheit Schwarzrost, bisher nur in wärmeren Regionen wie Afrika bekannt, ist jetzt erstmals auch in Deutschland aufgetreten. Nach Angaben des Julius-Kühn-Instituts (JKI) - des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen - sind einige Weizenpflanzen von dem Pilz Puccinia graminis befallen, der die Krankheit auslöst. Die Sporen seien mit dem Wind nach Deutschland gelangt.

Von den kranken Pflanzen gehe zwar keine unmittelbare Gefahr aus, da die Sommersporen und das Pilzmyzel den Winter wahrscheinlich nicht überleben würden. Dennoch schließt das Institut eine Verbreitung des Erregers im Zuge der Klimaerwärmung nicht aus. JKI-Expertin Kerstin Flath:„Wenn jedes Jahr neue Sporen mit Luftmassen aus wärmeren Regionen zu uns gelangen, wächst der Druck auf unsere Weizenpflanzen.“

Enormes Schadenspotenzial besitzt insbesondere die Rostpilz-Rasse „Ug 99“ (sie heißt so, weil sie 1999 erstmals in Uganda auftrat). Das Institut untersucht nun, wie gut die deutschen Weizensorten gegen diesen Schadpilz gewappnet sind und ob Deutschland es wirklich mit Ug 99 zu tun bekommen könnte.

Der Klimawandel kann allerdings auch positive Folgen für die Erträge haben. So wirkt sich die steigende CO2-Konzentration in der Luft generell wie ein Dünger aus, weil die Photosynthese der Pflanzen verstärkt wird. Es wird mehr Pflanzenmasse gebildet. Zudem erwarten die Forscher Veränderungen in der Struktur der Niederschläge, die zum Beispiel einigen Trockengebieten in Afrika mehr Niederschläge bringen können. Trotzdem dürfte die Bilanz unter dem Strich negativ sein.

Professor Wolfgang Cramer, Leiter des Bereich Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sagt: „Obwohl der Klimawandel einigen Teilen Afrikas auch nützen kann, ist das Schadenspotenzial insgesamt sehr groß.“ Auch der Agrarforscher Frank Ewert von der Universität Bonn, der unlängst die Aussichten für die globale Weizenproduktion untersucht hat, ist der Ansicht: „Die Temperaturerhöhung führt überwiegend zu Ertragsminderungen.“

Nördliche Länder profitieren

Einige Regionen der Erde, besonders in nördlichen Breiten, dürften jedoch wirklich von der Erwärmung profitieren - unter anderem, weil die Wachstumsphase verlängert wird und die Bauern früher aussäen können. Länder wie das kühl-feuchte Finnland, so Ewert, könnten steigende Erträge erzielen. Auch für Deutschland sehen einige Experten die Möglichkeit, die Ernten sogar deutlich zu erhöhen. So betonten der Deutsche Wetterdienst (DWD) und der Deutsche Bauernverband (DBV) im vorigen Jahr gemeinsam die „großen Chancen“ für die hiesige Landwirtschaft. Vorstellbar sei langfristig ein Plus bei der Erntemenge von 30 bis 40 Prozent, sagte der DBV-Vizepräsident Werner Schwarz. Diese Zahlen seien allerdings nur Vermutungen, schränkte er ein.

Der Wetterdienst wies darauf hin, dass die mittlere Bodentemperatur in Deutschland im Aussaatmonat April seit den 1960er Jahren um fünf auf 16 Grad zugenommen habe. „Dieser Trend wird sich fortsetzen“, sagte DWD-Vizechef Paul Becker voraus.

Im Jahr 2100 könnten die Bauern dann drei Wochen früher aussäen als Mitte des vorigen Jahrhunderts, derzeit sei es im Schnitt eine Woche. Laut Bauernverband könne sich für viele Landwirte künftig eine zweite Ernte im Jahr lohnen. „Der Mais dürfte in Deutschland zu den Gewinnern des Klimawandels zählen“, sagte Schwarz. Auch der Anbau von Hirse werde attraktiver, und Deutschland könne sogar zum Soja-Anbauland werden. Diese Pflanze, die bisher für hiesige Breitengrade zu empfindlich war, wird unter anderem in Bayern bereits erprobt.

Die Vertreter von DWD und DBV verwiesen allerdings darauf, dass der Klimawandel auch neue Probleme für die Landwirtschaft bringe. Die Niederschlagsmengen zum Beispiel blieben übers Jahr gesehen gleich, verteilten sich aber anders. Die Sommer würden wahrscheinlich feuchter, die Frühling und Frühsommer dagegen trockener. Diese Tendenz sei bereits in den vergangenen Jahren deutlich spürbar gewesen.

"Neue Herausforderungen an die Züchtung"

Laut Bauernverband müssen deshalb die Nutzpflanzen resistenter gegen Trockenheit und Pilzbefall werden. Das stelle „neue Herausforderungen an die Züchtung“, sagte Schwarz, es sei wichtig, neue Sorten zu entwickeln, die sowohl größere Hitze als auch Kälte vertragen. Außerdem müsse der Pflanzenschutz angepasst werden. Zudem tauchten durch wärmeres und feuchteres Klima bereits jetzt Krankheiten auf, die vorher nur in Südeuropa ein Problem waren, so die Blauzungen-Krankheit und das Schmallenbergvirus - sie befallen Rinder-, Schaf- und Ziegenherden. Dazu passt, dass die Hitzewelle im Juli diesen Jahres erstmals eine bislang hier nicht nachgewiesene Getreidekrankheit nach Deutschland brachte, den „Schwarzrost“.

Studienautor von Braun warnt denn auch davor, zu viel Hoffnung in eine höhere Agrarproduktion in nördlichen Breiten zu setzen. „Der Norden ist nicht homogen“, sagte er der FR. In einigen wichtigen Produktionsgebieten des Nordens wie dem Mittleren Westen der USA würden zunehmende Dürre-Risiken prognostiziert. „Auch ist davon auszugehen, dass sich die Temperatur- und Niederschlagsverteilungen im Norden ändern, was die Pflanzenzüchtung schon jetzt vor neue Herausforderungen stellt.“ Insgesamt werde ein mögliches Plus beim Ertrag im Norden die erhöhten Ernährungsrisiken im Süden nicht ausgeglichen. „Der Klimawandel macht die Welternährung insgesamt unsicherer“, bilanzierte von Braun.

Der Politik raten die Forscher von Braun und Wheeler, eine an den Klimawandel angepasste Agrarproduktion zu fördern, um die Bedrohungen durch den Klimawandel für die Ernährung der Armen abzumildern. „Technische Lösungen reichen aber nicht aus“, warnen sie. Es brauche umfassende Strategien, darunter auch eine „strategische Lagerhaltung“ von Nahrungsmitteln für Krisenzeiten sowie eine soziale Absicherung für besonders verwundbare Gruppen.