Eine neue Studie identifiziert einen weiteren Faktor, der an der Entstehung von Autismus und anderen damit verwandten Verhaltensstörungen beteiligt sein kann. New Yorker Forscher fanden heraus, dass Weizen - vor allem das darin enthaltene Weizengluten - eine spezielle Immunreaktion bei autistischen Kindern hervorruft. Genau diese Reaktion aber bringt ein ganzes Spektrum an Symptomen hervor, die in der Regel mit Autismus in Verbindung gebracht werden. Könnten also das Frühstücksbrötchen, die Pasta zu Mittag und die Kekse zwischendurch die Entwicklung von Autismus fördern?
Krankheit
Weizen verursacht Autismus-Symptome
Weizen: Grundnahrungsmittel mit schädlichem Potential

Das schädliche Potential von Weizen ist schon lange Thema hitziger Diskussionen. Leider ist Weizen nicht einfach nur ein Lebensmittel, das gelegentlich in kleinen Mengen verzehrt wird und das man leicht meiden könnte. Weizen ist stattdessen ein Grundnahrungsmittel und wird von vielen Menschen Tag für Tag und in nicht unerheblichen Mengen verzehrt: Nudeln, Brot, Brötchen, Knabberartikel, Kuchen, Panaden und vieles mehr besteht in den allermeisten Fällen aus Weizen bzw. Weizenmehl.

Wer also auf Weizen empfindlich reagiert, ihn aber dennoch tagtäglich isst, weil er von seiner versteckten Unverträglichkeit gar nichts weiss, kann vom Allerweltsgrundnahrungsmittel nicht nur dick, sondern auch krank werden - wie Sie hier nachlesen können.

Keineswegs versteckt treten hingegen die Zöliakie sowie die Glutensensitivität auf - zwei Krankheiten infolge Weizen- bzw. Glutenverzehrs, die mit so schwerwiegenden Symptomen einhergehen, dass sie nicht mehr ignoriert werden können.

Gluten

Gluten ist ein Proteinkomplex, der bevorzugt im Weizen zu finden ist, aber auch in anderen Getreidearten enthalten ist, wie z. B. in Dinkel, Gerste und Roggen. Das Gluten wird auch Kleber genannt, weil es dem Teig seine erwünschten klebenden Backeigenschaften verleiht, ohne die das Brot auseinander fallen würde.

Zöliakie und Glutensensitivität - Der Unterschied

Bei einer Zöliakie nun kommt es infolge Weizen- bzw. Glutenverzehrs zu Entzündungen der Darmschleimhaut. Im Verlauf der Krankheit bildet sich die Darmschleimhaut immer weiter zurück, die Nährstoffaufnahme wird erschwert und es kommt nicht nur zu Verdauungsbeschwerden mit Erbrechen, Bauchweh und Durchfall, sondern auch zu Nährstoffmängeln und Gewichtsabnahme.

Eine Glutensensitivität äussert sich in ganz ähnlichen Leiden, doch können sich hier ausserdem solche Symptome zeigen, die man auf Anhieb gar nicht mit dem Verdauungssystem in Verbindung bringen würde. Dazu gehören Migräne und chronische Müdigkeit genauso wie Hyperaktivität, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und womöglich auch autistische Störungen.

Der Unterschied zwischen beiden Erscheinungen liegt darin, dass es bei der Zöliakie zu immunologischen Reaktionen, ja sogar zu Autoimmunreaktionen kommt, im Verlauf derer der Körper seine eigene Darmschleimhaut angreift, während bei der Glutensensitivität das Immunsystem an der Verursachung des Symptomkomplexes nicht beteiligt sein soll.

Autistische Kinder reagieren empfindlich auf Weizen-Gluten

Kinder mit Autismus oder autistischen Symptomen leiden unverhältnismässig oft an Magen-Darm-Beschwerden, was schon länger den Verdacht nahe legte, dass es hier Verbindungen zur Zöliakie bzw. Glutensensitivität geben könnte. Dennoch waren die Studienergebnisse diesbezüglich bisher eher uneinheitlich.

New Yorker Forscher des medizinischen Instituts der Columbia University sowie des Celiac Disease Centers wollten Gewissheit und gingen erneut dem Zusammenhang zwischen Weizenverzehr und autistischen Symptomen nach. Man wollte herausfinden, inwiefern Kinder mit Autismus-Diagnose auf den Konsum von Weizengluten reagieren und worin genau das Verbindungsstück zwischen Weizengluten und Autismus bestehe. Die Studienergebnisse wurden im Juni 2013 in der Online-Fachzeitschrift PLoS One veröffentlicht.

Gluten-Antikörper im Blut autistischer Kinder

Studienteilnehmer waren Kinder (mit und ohne Magen-Darm-Beschwerden), die gemäss den offiziellen Kriterien eine Autismus-Diagnose erhalten hatten, ausserdem deren Geschwister, die keine Autismus-Symptome zeigten sowie eine Kontrollgruppe aus gesunden Kindern.

Man nahm Blutserumproben aller vier Gruppen und untersuchte sie auf Antikörper gegen Gliadin (einem Glutenbestandteil) und gegen Transglutaminase 2 (TG2).

Die Transglutaminasen sind körpereigene Enzyme mit unterschiedlichen Aufgaben im Organismus. Bei Zöliakie bildet der Körper Antikörper gegen die Transglutaminase 2, so dass die Zahl dieser Antikörper ein wichtiger Marker zur Diagnosestellung der Zöliakie ist. Antikörper gegen Gliadin hingegen sind kein typischer Zöliakiemarker.

Das Serum der autistischen Kinder zeigte im Vergleich zum Serum gesunder Kinder signifikant höhere Werte der IgG-Antikörper gegen Gliadin, wobei autistische Kinder mit Magen-Darm-Beschwerden mit Abstand die höchsten Werte aufwiesen.

Glutensensitivität bei autistischen Kindern, nicht aber Zöliakie

Die zöliakiespezifischen serologischen Marker wie z. B. Antikörper gegen TG2 waren in allen vier Gruppen ähnlich, zeigten also keine Auffälligkeiten. Ein Teil der autistischen Kinder reagierte demzufolge zwar auf Gluten, doch war der immunologische Mechanismus ein anderer als jener bei Zöliakie. Die Forscher schlussfolgerten daraus, dass es sich um eine zöliakieunabhängige Glutensensitivität mit Immunsystembeteiligung handeln müsse.

Wie aber sollte diese Glutenunverträglichkeit zu Autismus oder anderen neurologisch bedingten Verhaltensänderungen führen können?

Führt Gluten zu autoimmunen Angriffen auf das Nervensystem?

Bisher glaubte man, dass autistischen Kindern bestimmte Enzyme fehlen, die das Gluten bzw. Gliadin im Körper vollständig abbauen können. Die Abbauprodukte des Gliadin nennt man Exorphine, da sie opioid, also ähnlich wie Opium bzw. Morphium wirken. Sie binden an die Opioidrezeptoren im Gehirn und führen zur opiumtypischen euphorisierenden und gleichzeitig sedierenden Wirkung, was z. B. auch bei vielen Erwachsenen zu einem gewissen benebelten Gefühl nach dem Verzehr von Weizenprodukten führen kann.

Die aktuelle Studie könnte hingegen auf einen anderen Wirkmechanismus hinweisen. Bei Anwesenheit von Gliadin-Antikörpern könnte es zu sog. Kreuzreaktionen mit bestimmten Strukturen innerhalb des Nervensystems kommen, so wird in diesem Zusammenhang von manchen Experten vermutet. In diesem Falle würden die Antikörper also nicht nur das Gliadin angreifen, sondern genauso körpereigene Strukturen des Nervensystems, wenn diese dem Gliadin ähneln. Entgegen aller Erwartungen könnte sich also auch eine Glutensensitivität mit einem Autoimmungeschehen äussern.

Wenn nun jedoch körpereigene Bereiche des Nervensystems durch ein solches Autoimmungeschehen beeinträchtigt würden, könnte dies natürlich zu einem grossen Spektrum an neurologischen Problemen führen, wie beispielsweise Neuropathien (Erkrankungen des peripheren Nervensystems mit Symptomen wie z. B. Taubheitsgefühlen in Händen und Füssen, Kribbeln u. a.), Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination, z. B. Unfähigkeit zu stehen, zu sitzen etc.) Anfälle und neurologisch bedingte Verhaltensänderungen - darunter Manien, Schizophrenie und Autismus.

Viele der Symptome, die bei Menschen mit Autismus zu beobachten sind, könnten folglich das Resultat einer Immunreaktion auf die Belastung mit Weizengluten sein - und zwar unabhängig davon, ob dabei zöliakiespezifische Blutmarker vorhanden sind oder nicht.

Glutenfreie Ernährung hilft vielen autistischen Kindern

Etliche Eltern mit autistischen Kindern achten daher auf eine gluten- bzw. weizenfreie Ernährungsweise. Meist wird die Ernährung auch gleichzeitig milchfrei oder zumindest caseinfrei gehalten (Casein ist eines von mehreren Eiweissen in der Milch). Zwar nicht immer, aber doch in einigen Fällen konnte diese Ernährung das Befinden der Kinder wesentlich verbessern oder diese sogar heilen. Es ist also davon auszugehen, dass nicht alle, jedoch ein Teil der autistischen Kinder von einer glutenfreien Diät profitieren kann.

Fallstudie: Autistisches Kind mit spezieller Ernährung geheilt

Im Fachmagazin Journal of Child Neurology wurde im August 2013 von einer Fallstudie über ein Mädchen mit Autismus berichtet. Das Kind litt ausserdem an Epilepsie und reagierte kaum auf herkömmliche Therapien. Nachdem es jedoch eine gluten- und kaseinfreie Diät erhalten hatte, zeigte es alsbald eine markante Verbesserung sämtlicher Krankheitssymptome.

Mit Einsetzen der Pubertät kam es wieder verstärkt zu Anfällen, die sich mit Medikamenten nicht zufrieden stellend kontrollieren liessen. Daraufhin erhielt sie eine ketogene Diät, die weiterhin gluten- und kaseinfrei war. Ein wichtiger Bestandteil neben reichlich Gemüse waren mittelkettige Fettsäuren (wie sie auch z. B. im Kokosöl enthalten sind), die gleichzeitig Hauptfettlieferant dieser Ernährung waren - statt z. B. Butter und Sahne.

Mit dieser Ernährungsweise zeigten sich signifikante Verbesserungen im Hinblick auf ihre Epilepsie. Gleichzeitig konnten das ebenfalls vorhandene sehr starke Übergewicht abgebaut und die kognitiven und verhaltensbezogenen Fähigkeiten verbessert werden.

Im Laufe der Jahre sank die von der Patientin erreichte Punktezahl auf der Childhood Autism Rating Skala von 49 auf 17. Die Childhood Autism Rating Skala dient der Einschätzung des Autismus-Grades eines Kindes, wobei ab einem Wert von 30 und höher eine autistische Störung vorliegt.

Bei beschriebener Patientin konnten folglich mit einem letztendlich erzielten Wert von 17 keine autistischen Symptome mehr beobachtet werden. Gleichzeitig stieg ihr Intelligenzquotient um 70 Punkte. Darüber hinaus war das Mädchen bereits 14 Monate nach Beginn der ketogenen Diät anfallsfrei.

Es scheint also offensichtlich eine gute Idee zu sein, Weizen in allen Variationen zu meiden, wenn Autismus oder andere vergleichbare bzw. verwandte Störungen vorliegen, und zwar besonders dann, wenn zugleich Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt vorhanden sind.

Quellen