Zwillinge
© Stock.XCHNG / Helmut GevertZwillinge sind für die Wissenschaft ein Geschenk des Himmels
Sie gelten als ideale Versuchspersonen, um die Frage zu beantworten: Was prägt den Menschen mehr, seine Gene oder die Umwelt? Interessant ist auch, welche Auswirkungen die besondere Konstellation für die Zwillinge selber hat.
Ich bin die Ida, ich bin elf Jahre alt und der älteste Zwilling, also 15 Minuten älter als mein anderer Zwilling. - Ich bin Fe, auch elf Jahre alt und ich bin die Jüngere von uns beiden.
Unter tausend Babys sind vier eineiige Zwillingspärchen. Eineiige Zwillinge sind natürliche Klone, sie stammen aus einer gemeinsamen Eizelle. Interessanterweise kann die Forschung nicht beantworten, warum es gelegentlich zu dieser körperinternen Verdopplung kommt. Fest steht aber: Die Doppelgänger starten mit der gleichen genetischen Ausstattung ins Leben. Kein Wunder also, dass sie sich so ähnlich sehen.

Bei zweieiigen Zwillingen ist das anders. Sie entstehen, wenn zwei Eier gleichzeitig heranreifen und dann befruchtet werden. Statistisch gesehen ist jedes dritte bis vierte Zwillingspaar eineiig. Das Erbgut zweieiiger Zwillinge unterscheidet sich so wie das von gewöhnlichen Geschwistern:
Ich, Ida, spiele Cello und Fe Geige. Die Instrumente sind nicht gleich, aber das Andere ist alles gleich. Musik hören, Rausgehen, Fußball spielen, Schwimmen gehen.
Jede 70. Geburt ist heute eine Zwillingsgeburt. Tendenz steigend. Der Grund dafür ist: Frauen bekommen heute später Kinder und haben oft jahrelang die Pille genommen. Beides führt dazu, dass gleichzeitig mehrere Eizellen reifen und befruchtet werden können. Außerdem sorgt auch die künstliche Befruchtung für mehr Kinder im Doppelpack. Allerdings handelt es sich hier fast immer um zweieiige Zwillinge. Die Zahl der eineiigen Zwillinge ist dagegen konstant.
Ich bin Heriett, meine Schwester heißt Adrien. Wir sind eineiige Zwillinge. Wir sind in die gleiche Klasse gegangen und wir hatten auch meist die gleichen Klamotten an. Und wir hatten auch lange Zeit nicht das Bedürfnis, uns unterschiedlich anzuziehen.
Für die Forschung sind sowohl eineiige als auch zweieiige Paare interessant. Denn vergleicht man die eineiigen mit den zweieiigen Zwillingen, lässt sich herausfinden, ob eine Eigenschaft oder eine Erkrankung stärker durch die Gene oder durch Umweltfaktoren bestimmt wird.

In den allermeisten Fällen lassen sich aber Gene und Umwelt nicht getrennt betrachten, sie stehen in einem ständigen Wechselspiel. Dieses Wechselspiel zu verstehen, ist eines der großen Ziele in der Zwillingsforschung, sagt Andreas Busjahn. Er ist Psychologe und Initiator einer Zwillingsdatenbank in Berlin. Healthtwist heißt das Unternehmen, das Zwillingspaare für große Gesundheitsstudien sucht:
Die Grundfrage, die wir uns immer wieder stellen, ist: Warum unterscheiden wir uns, also warum hat der eine ein hohes Krankheitsrisiko und der andere nicht? Man kann auch fragen, warum ist eine schlauer als die andere, warum ist einer sportlicher als der andere.
Über 1700 Zwillingspaare sind bereits in der Berliner Datenbank registriert. Viele davon haben schon an verschiedenen Untersuchungen teilgenommen. Darunter Herzkreislaufstudien, Untersuchungen zu Diabetes, aber auch Studien zur Stressbewältigung oder aktuell zu Ernährungsgewohnheiten und Diäten.

Beim Körpergewicht ist es so, dass natürlich zweieiige Zwillinge größere Unterschiede zeigen als eineiige. Das ist ein Beleg dafür, dass die Gene hier einen großen Einfluss haben. Was uns aber immer wieder überrascht, ist, dass eineiige Zwillinge, obwohl sie dieselben Gene haben, in seltenen Fällen auch extrem große Gewichtsunterschiede zeigen können. Bis zu 50 Kilo Unterschied können bei eineiigen Zwillingen durchaus auftreten.

Zwillingsstudien sind bei Forschern so beliebt, weil sie Fragen beantworten, die alle Menschen betreffen. Denn unabhängig davon, ob ein- oder zweieiig, alle Zwillinge haben etwas Wichtiges gemeinsam: Sie wachsen im Normalfall in derselben Familie auf. Das heißt, angefangen von der Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft über Hygiene, den sozialen Status und die finanziellen Verhältnisse der Eltern bis hin zu Erziehung, kulturellem und gesellschaftlichen Hintergrund - ihre Lebensumstände sind weitestgehend dieselben. Das sind ideale Voraussetzungen für die Erforschung von Krankheiten:
Hier ist die spannende Frage: Wie wirken unterschiedliche Umweltfaktoren und Verhalten vor einem gleichen genetischen Hintergrund?
Deshalb werden besonders bei verbreiteten Erkrankungen wie Depressionen oder Krebs Zwillinge für Studien gesucht. Denn erkrankt einer, ist der andere Zwilling nicht zwangsläufig betroffen, auch wenn sein Risiko etwas erhöht ist. Es ist kein Schicksal für ihn. Deshalb lautet die entscheidende Frage für die Forscher hier:
Wo unterscheiden sich die beiden eineiigen Zwillinge, von denen der eine erkrankt ist und der andere nicht. Also trivial wäre jetzt, einer von beiden raucht und der andere nicht, und der Raucher bekommt Lungenkrebs. Da hätte man es relativ leicht, einen potentiellen Umweltfaktor zu finden.
So einfach ist es meist leider nicht. Umweltfaktoren gibt es zuhauf und sie sind sehr variabel. Zwar werden Gene abhängig vom Lebensstil an- oder ausgeschaltet, aber auch der Zufall spielt eine große Rolle. Bei circa 25.000 Genen, die der Mensch besitzt, eine Herausforderung für die Forschung, den entscheidenden Unterschied zu finden:
Also Fe ist mehr so die Wilde und manchmal auch die Freche, ich bin so mehr lieb und mitfühlend. Ida hat ein paar Sommersprossen mehr als ich. Und ihre Haare sind länger als meine, und ich trag' manchmal Zopf. Also ich hab' mehr so den schmalen Kopf und sie mehr der runden Kopf.
Wissenschaftler fanden in den letzten Jahren heraus, dass zum Beispiel bei eineiigen Zwillingen das Risiko für beide, an einer Depression zu erkranken, höher liegt als bei zweieiigen Zwillingen. Ähnliche Ergebnisse ergaben Untersuchungen zur Schizophrenie:
Hier haben wir wirklich ein Wechselspiel, das heißt, bestimmte genetische Anlagen führen dazu, dass ich ein bestimmtes Verhalten zeige. Dieses Verhalten führt aber im Gegenzug dazu, dass bestimmte Gene aktiviert oder deaktiviert werden. Das heißt, es ist keine Einbahnstraße, dass die Gene fix und unser Leben, unsere Biologie bestimmen und die Umwelt irgendwie parallel unabhängig davon läuft, sondern Gene und Umwelt haben wirklich ein sehr komplexes Wechselspiel.
Für eineiige Zwillinge eine überraschende Erkenntnis: Sie sind zwar aus einem Ei, doch Umwelteinflüsse und Zufallsprozesse bewirken, dass sie doch nicht zu hundert Prozent identisch sind! Diese Tatsache zeigt sich zum Beispiel in den unterschiedlichen Fingerabdrücken von Zwillingen.

Sogar die Gehirne von eineiigen Zwillingen sind verblüffend ungleich. Wenn Zwillingspaare während einer funktionellen Kernspinuntersuchung dieselbe Aufgabe ausführen, werden jeweils unterschiedliche Bereiche des Kortex aktiviert. Und wenn man die Gehirne verstorbener Zwillinge seziert, sind ihre Hirnzellen völlig einzigartig:
Manchmal haben wir auch dieselben Noten. Zum Beispiel in Mathe, in Sport, in Englisch. In Mathe haben wir immer dieselben schlechten Noten, in Sport immer dieselben guten Noten und in Englisch haben wir auch immer dieselben guten Noten.
Also meine Schwester ist Mathematikerin, ist im Versicherungswesen tätig. Aber sie hätte gerne das gemacht, was ich studiert habe. Ich habe Psychologie studiert.
Zwillingsstudien haben in den letzten Jahren die These gestärkt, dass auch Verhaltensmuster genetisch bedingt sein könnten. Diese Frage beschäftigt den Saarbrücker Psychologen und Zwillingsforscher Frank Spinath: "Warum tun Menschen das, was sie machen?"

Frank Spinath untersucht die Persönlichkeit von Zwillingen. Der Verhaltensforscher will ergründen, was die Paarbindung vom ersten Tag des Lebens an bewirkt. Stimmt die Redensart: Gleich und gleich gesellt sich gern? Ist sie bei eineiigen Zwillingen stärker ausgeprägt als bei zweieiigen? Wenn ja, warum? Und bedeutet das, unsere Persönlichkeit ist vielleicht stärker genetisch bestimmt, als wir bislang annehmen?
Einen Befund, den wir mit Zwillingen häufiger haben, wenn man die Menschen drumrum befragt, dann erscheint es häufig so, als seien sie ganz besonders ähnlich oder ganz besonders unähnlich. Und dieser Effekt der Übertreibung oder Kontrastierung, der hängt damit zusammen, dass man den jeweiligen Paarling als Vergleich nimmt. Also da werden Eltern nach der Aktivität ihrer Zwillingskinder gefragt und die sagen, der eine ist aktiv und der andere ist ein bisschen weniger aktiv. Also mache ich daraus, der eine ist der Aktive und der andere ist der nicht Aktive. Und überhöhen diese Kontraste, während, wenn man die vergleichen würde mit Freunden und anderen Gleichaltrigen, dann würde man feststellen, wie unglaublich ähnlich die sind.
Zwillinge & Drillinge
© AP ArchivZwillinge und Drillinge aus Mexiko
Die Umwelt spielt mal wieder eine entscheidende Rolle. Mehrlingsbabys bekommen zwangsläufig etwas weniger, aber auch etwas andere elterliche Aufmerksamkeit als Einlinge. Die Konkurrenz um Ressourcen beginnt bereits im Mutterleib und setzt sich nach der Geburt fort. Das hat zur Folge, dass Zwillinge im Vergleich mit Einlingen einen leichten Entwicklungsrückstand haben. Sie lernen etwas später sprechen und schneiden bei Tests im Vorschulalter etwas schlechter ab. Doch Zwillinge haben auch einen großen Vorteil gegenüber Einlingen: Sie haben einander.
Bin ich jemand, der sich auf etwas sehr gewissenhaft vorbereitet? Gleich und Gleich gesellt sich da hinsichtlich der Persönlichkeit eher gern und ist dann auch stabiler. Da sind die Zwillinge miteinander natürlich auch perfekte Partner. Die sind sich da sehr ähnlich. Unterschiede werden aber auch hier akzentuiert, also wenn da der eine ein bisschen weniger gewissenhaft vorbereitet, dann fängt der andere schon an zu meckern.
Schon in den ersten Lebensmonaten finden sie zusammen und geben sich Wärme und Geborgenheit. Dies ist ein entscheidender Faktor für die Persönlichkeitsentwicklung von Zwillingen.

Werner Deutsch ist Professor für Psychologie in Braunschweig. In Langzeitstudien untersuchte er, wie Zwillinge ihr Leben zu zweit bestreiten. Ich zu sagen, lernen Zwillinge entgegen landläufiger Meinung ähnlich schnell wie andere Kinder auch. Trotzdem erfinden viele Zwillinge früh einen Doppelnamen für sich als Paar:
Wir haben uns auch angesehen, was ist das für eine sprachliche Form. Es sieht ganz einfach aus, es ist eine Verdopplung von Silben wie GAGA etwa. Trotzdem glaube ich, dass Zwillinge auch in ihrer weiteren Entwicklung durch das enge Zusammensein Mittel finden, sich sehr verkürzt auszudrücken und durch kleine, minimale Hinweise sich ausgezeichnet verständigen können.
Oft genügt Zwillingen schon ein einziger kurzer Blick. So klären sie beispielsweise auf einer Party schnell, wer sich für wen interessiert und kommen sich bei der Partnerwahl nicht in die Quere. Interessant ist allerdings die Tatsache, dass eineiige Zwillinge, die getrennt aufwachsen, oft mehr Verhaltensparallelen erkennen lassen als solche, die ihr Leben zusammen verbringen. Offenbar sind Anlage und Umwelt in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich bedeutsam. Insbesondere in der Pubertät wird das sichtbar:
Es war dann so mit 14, 15 ein Problem für uns, dass die Leute einen eher als Paar angesehen haben und nicht als Einzelperson. Da legt man ja doch sehr viel Wert auf Individualität. Und das war schon schwierig, dass sowohl Lehrer als auch Schüler diese Differenzierung nicht hinbekommen haben.
Im Erwachsenenalter setzten sich tendenziell eher die Gene durch. Das ist bei fast allen Menschen so. Unser Äußeres ähnelt immer mehr dem unserer Eltern und ihrer Eigenarten. Marotten, die wir an unseren Eltern oder Großeltern vielleicht geschätzt oder aber gehasst haben, treten plötzlich auch bei uns auf. Erst im fortgeschrittenen Alter nimmt die Bedeutung von Umwelteinflüssen wieder zu:
Der Tenor, der sich daraus erschließen lässt, ist, dass eine individuelle Identität möglich ist bei genetischer Gleichheit. Dass also Menschen, die auf natürliche Weise geklont worden sind, so muss man das sagen, ohne biotechnische Eingriffe, sich als Individualitäten entwickeln, selbst wenn sie nach außen hin so leicht verwechselt werden können.
Heute ist man sich in der Wissenschaft einig, dass es kein einziges Persönlichkeitsmerkmal gibt, dass nur durch Erbanlagen oder nur durch die Umwelt bestimmt wird. Interessant ist vielmehr, wie relevant das eine oder das andere ist:
Ich würde sagen, dass sie innerhalb unserer Zwillingsbeziehung ein bisschen die Ältere war, obwohl es nur fünf Minuten waren. Und sie hat mehr das Planerische und auch das abgrenzende Element übernommen und ich eher das Kommunikative. Aber es gab sonst keine Einheitlich- oder Uneinheitlichkeit im Sinne von: 'Wer bestimmt und wer bestimmt nicht', sondern wir haben uns immer gleichwertig gesehen.
Insgesamt scheinen Zwillinge besser miteinander auszukommen als gewöhnliche Geschwister. Sogar in der Pubertät streiten sie zum Erstaunen der Wissenschaftler weniger. Ihre besondere Verbundenheit führt dazu, dass sie seltener und meist später heiraten als Einlinge. Außerdem erleben Zwillinge gemeinsame Dinge, die gewöhnlichen Menschen verborgen bleiben.
Wie heißt es, geteilte Freud' ist doppelte Freude und geteiltes Leid ist halbes Leid. Also, es könnte schon was Schönes sein, nicht als einzelner Mensch durchs Leben zu gehen, sondern immer jemanden bei sich zu haben.