Selbstzufriedenheit, Selbstüberschätzung, Selbstverliebtheit, Selbstherrlichkeit - viele Selbst-Wörter haben einen negativen Beigeschmack.

Wenn sie positiv besetzt sind, wie die Selbstlosigkeit, dann legen sie uns nahe, besser auf unser Selbst zu verzichten. Denn wir gehen lieber hart mit uns ins Gericht, decken schonungslos Schwächen auf und hassen es, uns zu sehr zu mögen. Vielleicht ist das aber oft der falsche Weg, um mit Problemen fertig zu werden. Das legt eine neue Richtung der Psychologie nahe, die sich um „self-compassion“ dreht, frei übersetzt etwa „Selbstachtung“.

Man muss sich selbst mögen, um sich aus einem Schlamassel zu befreien, lautet die Kernbotschaft der „Selbstachtung“.

Denn wer Depression, Angstgefühle oder, etwas banaler, Übergewicht überwinden will, braucht dazu mehr als Willenskraft und Selbstdisziplin. Selbstachtung kann helfen, aus einer Spirale aus Selbstkritik und Schwarzseherei herauszuführen, sagt Kristin Neff, Psychologin an der Universität von Texas in Austin und eine Pionierin auf dem Gebiet. Die Hürde ist immer die gleiche: „Der Hauptgrund, weshalb Menschen nicht mehr Achtung gegen sich selbst aufbringen, ist die Furcht, zu genusssüchtig zu werden und die hohen Ansprüche an sich selbst zu sehr zu senken“, hat Kristin Neff der „New York Times“ verraten. „Die Leute glauben, Selbstkritik hält sie in der Spur.“ Neff sieht es andersherum: „Wenn Sie sich selbst achten, werden Sie das für sich tun, was gesund für Sie ist, statt sich selbst zu schaden.“

Natürlich, so ganz neu ist das Thema Selbstachtung nicht. Auch andere Therapeuten raten ihren Klienten, die eigene Persönlichkeit anzunehmen und anzuerkennen, sich selbst zu mögen und so Selbstvertrauen zu gewinnen. Aber jetzt wird es ganz deutlich herausgestellt: Achte dich selbst! Erste wissenschaftliche Untersuchungen gibt es bereits, und sie sind ermutigend. Selbstachtung macht Menschen kreativer, hilft ihnen, die Anfälligkeit für Depressionen zu bekämpfen und macht sie überraschenderweise maßvoller beim Essen - obwohl sie sich selbst etwas Gutes tun können und das Leben genießen dürfen.

Die Psychologin Neff (im Internet unter www.self-compassion.org) ist Buddhistin, aber das ist natürlich keine Voraussetzung, um Selbstachtung zu trainieren. Das können auch Menschen ohne metaphysische Ambitionen. Neff schlägt vor, dass jemand mit geringer Selbstachtung zu dem Thema ein Tagebuch führt oder sich selbst einen Brief schreibt, und zwar aus der Perspektive eines einfühlsamen Freundes. Der Freund weiß um die Schwächen der menschlichen Natur, er vergibt und hat große Sympathien für den Adressaten. Den Brief soll man zunächst beiseitelegen und ihn erst nach einer Weile wieder lesen, um dann die Worte richtig auf sich wirken lassen - „wie eine kühle Brise an einem heißen Tag“. Denn Liebe, die Verbindung zu anderen und Beachtung der eigenen Person sind unser Geburtsrecht, meint die Wissenschaftlerin. Sie einzufordern, benötigt es nur den Blick in uns selbst.