US-Präsident Barack Obama führt laut einem Bericht des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) einen „aggressiven Krieg“ gegen die Pressefreiheit. In ihrem ersten ausführlichen Bericht über die Pressefreiheit in den USA geht die Organisation mit Obama und seiner Regierung hart ins Gericht. (1)
Barack Obama
© Desconocido
„Der Kampf dieser Regierung gegen durchgesickerte Informationen und andere Bemühungen, Informationen zu kontrollieren, ist der aggressivste seit der Regierung Nixon“, schrieb Hauptautor Leonard Downie Jr., ein ehemaliger Redakteur der Washington Post.

Der am Donnerstag veröffentlichte Bericht bezieht sich unter anderem auf sechs Regierungsangestellte und zwei Auftragnehmer, darunter auch den Spionage-Enthüller Edward Snowden, die seit 2009 unter dem Spionagegesetz von 1917 strafrechtlich verfolgt werden. Alle bisherigen Regierungen zusammen hatten insgesamt nur drei solcher Fälle verfolgt, bei denen es um klassifizierte Informationen ging, die an die Presse weitergereicht wurden.

Journalisten fühlen sich auch durch die von Snowden enthüllte Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs durch den Geheimdienst NSA in ihrer freien Berufsausübung bedroht. Die amerikanische Nachrichtenagentur AP hatte etwa im Mai erfahren, dass zwanzig ihrer Telefonleitungen in New York, Washington und im US-Staat Connecticut vom US-Justizministerium im Jahr 2012 über einen Zeitraum von zwei Monaten überwacht worden waren.

Die Richtlinien der Obama-Regierung über den Kontakt zu Journalisten „vereiteln eine freie und offene Diskussion, die in einer Demokratie notwendig ist“, heißt es in einem Brief des CPJ an den Präsidenten.

Zunehmend hätten Regierungsbeamte Angst, mit Journalisten zu sprechen - selbst dann, wenn der Inhalt der Gespräche nicht vertraulich sei, schreiben die Autoren. Immer mehr Mitarbeiter treibt die Sorge um, dass die Reporter ihre Quellen nicht ausreichend schützen könnten. „Ich habe Angst, jemanden anzurufen, weil der Kontakt durch eine Prüfung der Telefondaten oder E-Mails entdeckt werden könnte“, wird Jeffrey Smith zitiert, der als Reporter am Center for Public Integrity arbeitet.

„Ich glaube wir haben ein echtes Problem“, sagte New York Times-Reporter Scott Shane, der für den Bericht interviewt wurde. „Die meisten sind durch diese Strafverfolgung von Informanten abgeschreckt. Sie haben Todesangst.“

US-Regierung schürt Angst und Misstrauen unter Angestellten

Mit der Einführung des „Insider Threat Program“ im November 2012 verpflichtete das Weiße Haus alle Angestellten der US-Regierung, ihre Kollegen, die Zugang zu als geheim eingestuften Informationen haben, zu überwachen und etwaig verdächtiges Verhalten zu melden. Ihnen droht strafrechtliche Verfolgung, falls sie es unterlassen, über „hochriskante Personen oder Verhaltensweisen“ Bericht abzuliefern. Was genau als Bedrohung gilt, darüber gebe es in den Behörden einen großen Ermessungsspielraum, so die US-Zeitung McClatchy. Ihr zufolge gehe aus Regierungsdokumenten hervor, dass Behörden den Ermessungsspielraum so großzügig auslegen, sodass „jede nicht genehmigte Weitergabe von Informationen verfolgt wird, auch wenn sie nicht als geheim eingestuft sind“. Dabei setzt die US-Regierung das „leaken“, also das Durchsickernlassen von Informationen, mit Spionage gleich.

„Sie müssen sich dann nur mal vorstellen: Sie arbeiten in so einer Verwaltung, in der sie immer von allen Mitarbeitern beobachtet werden, ob Sie irgend etwas falsch machen oder nicht“, äußert sich Christian Lammert, Professor am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, in einem Interview gegenüber Deutschlandradio Kultur. „Zum Teil wissen die Leute ja auch gar nicht mehr, was sie überhaupt nach außen kommunizieren dürfen oder nicht. Unter der Obama-Administration (...) sind die Sachverhalte, die als geheim klassifiziert werden, die Informationen, die man also nicht nach außen geben kann, weil es die nationalen Sicherheitsinteressen der USA gefährden würden, massiv ausgeweitet worden. Und manchmal kriegt man gar nicht mit, über was man noch reden darf oder nicht, und das führt natürlich zu einer unwahrscheinlich fürchterlichen Situation für die einzelnen Mitarbeiter.“ (2)

Wer im Verdacht steht, ungenehmigt Informationen an Journalisten weitergegeben zu haben, gegen den wird ermittelt - inklusive Überprüfung der Email- und Telefonkontakte sowie der Durchführung eines Lügendetektortests.

Bei dem Insider Threat Program gehe es darum, US-Beamte von jedweder Konversation mit den Medien abzuschrecken, meint Michael Hayden, ehemaliger Chef der NSA und des CIA unter der Bush-Regierung.

„Journalisten befragen ihre Quellen nun durch Mittelsleute“, so Cameron Barr von der Washington Post. Dadurch könnten die Beamten bei den Lügendetektortests wahrheitsgemäß abstreiten, mit Reportern gesprochen zu haben.

Beispiellose Verschlossenheit

Während seines Präsidentschaftswahlkampfes 2008 kritisierte Obama noch die „exzessive Geheimniskrämerei” der Bush-Regierung und versprach beispiellose Offenheit und Transparenz einer von ihm geführten Regierung.

Beispiellos ist tatsächlich nur das Ausmaß der Verschwiegenheit, das die derzeitige Administration gegenüber Medienvertretern aufweist. „Das ist die verschlossenste Regierung von Kontrollfreaks über die ich jemals berichtete habe“, sagte David E. Sanger, Washington-Chefkorrespondent der New York Times. Der CPJ-Bericht attestiert selbst Regierungssprechern eine „feindselige“ Haltung gegenüber der Presse.

„Die Bush-Administration genoss ein schlechtes Ansehen“, so Marcus Brauchli, Chefredakteur der Washington Post, „aber in der Praxis hat sie die Rolle des Journalismus im Bereich der nationalen Sicherheit viel stärker akzeptiert.“

„Die Obama-.Administration ist viel schlimmer als die Bush-Administration”, meint auch Ellen Weiss vom US-Medienunternehmen E.W.Scripps. Und das beziehe sich nicht nur auf den Bereich der nationalen Sicherheit. Wenn es um die Rechenschaftspflichtigkeit von Behörden und Ministerien gehe, halte die Obama-Regierung grundsätzlich den Deckel drauf. Selbst das Umweltministerium „will einfach nicht mit uns reden“, so Weiss.

Mitarbeiter im Weißen Haus wiesen die Kritik zurück. Obama gebe mehr Interviews als seine Vorgänger, und es würden mehr Informationen ins Internet gestellt. Für die Sprecher des Weißen Hauses ist das Beweis genug für Obamas versprochene Transparenz. Tatsächlich nutzt seine Regierung intensiv die neuen Medien wie Twitter oder Youtube.

Doch das geschehe in der Absicht, den herkömmlichen Medien ausweichen zu können, meint Frank Sesno, Direktor der School of Media and Public Affairs an der George Washington Universität. „Ein offener und ungefilterter Dialog mit der Öffentlichkeit ist eine gute Sache, aber nicht, wenn er für Propagandazwecke genutzt wird und dazu, den Kontakt zu Journalisten zu meiden.“

Statt Pressevertretern einen größeren Zugang zu gewähren, produziert das Weiße Haus einfach eigene Nachrichtenbeiträge, die es dann auf seiner Webseite online stellt. „Wenn sie im Pressebüro des Weißen Hauses anrufen, um eine Frage zu stellen oder an Informationen zu gelangen, dann werden sie auf die Webseite des Weißen Hauses verwiesen“, kritisiert Ann Compton, Korrespondentin des Weißen Haus für ABC-News, die neue Vorgehensweise der US-Regierung.

Zu den Neuerungen gehört auch, dass Journalisten keinen Zugang mehr zu den täglichen Besprechungen im Oval Office haben.

„In der Vergangenheit wurden wir oft zu Beginn der Sitzungen hineingelassen, konnten die Eröffnungsrede des Präsidenten mithören und sehen, wer an den Treffen teilnahm. Hinterher konnten wir diese Leute dann auf ihrem Heimweg ansprechen“, beschreibt Compton die traditionellen Umgangsformen im Weißen Haus.

Damit ist seit Obama Schluss. Reportern bleibt nunmehr sogar verborgen, wer an den Besprechungen im Oval Office teilnimmt - und Einfluss auf den Präsident ausübt.

Doch die Scheu der US-Regierung vor Medienvertretern ist nicht grundsätzlicher Natur. So bekommen Journalisten und Redakteure „oftmals Anrufe aus dem Weißen Haus, worin sich über den Inhalt von Nachrichten beschwert wird“, heißt es in dem CPJ-Bericht. „Manchmal setzt mich das Ausmaß ihrer Sensibilität in Erstaunen“, kommentiert Kevin Merida von der Washington Post die Dünnhäutigkeit der gegenwärtigen Regierung, wenn es um eine kritische Berichterstattung geht.

Anmerkungen

(1) Alle Zitate entstammen, soweit nicht anders angegeben, dem Bericht. Einzusehen unter: http://www.cpj.org/reports/us2013-english.pdf
(2) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/2285103/