Angela Merkel
© UnbekanntKanzlerin Angela Merkel (56, CDU) gestern nach einem Gespräch mit Ministerpräsidenten im Bundeskanzleramt
Berlin - Die Kanzlerin in Erklärungsnot. Angela Merkel hat in den letzten zehn Tagen auf drei Feldern atemberaubende Kurswechsel hingelegt und kämpft nun um die Glaubwürdigkeit ihrer Politik - deren Markenzeichen langer Atem, Berechenbarkeit und nüchterne Vernunft waren.

Welchen Preis muss die Kanzlerin für das Hin und Her bei Atom, Libyen, Euro zahlen?

Atom

Als die schwarz-gelbe Bundesregierung im Herbst 2010 die Verlängerung der Atom-Laufzeiten durchdrückte, sagte (nicht nur) Merkel: „Die deutschen Atomkraftwerke sind die sichersten der Welt.“

Nach dem Jahrhundert-Unglück in Japan galt das nicht mehr, nahm Merkel sofort sieben AKW vom Netz. Gestern berief sie zwei Kommissionen, um die AKW-Sicherheit in Deutschland völlig neu zu bewerten.

DER PREIS: Was CDU/CSU jahrelang über die Bedeutung der Atomkraft für Fortschritt und Wohlstand in Deutschland gesagt haben, scheint nicht mehr zu gelten. Das gerade erst sechs Monate alte Energie- und Klimaschutzkonzept Merkels ist dahin, weil mehr als ein halbes Dutzend AKW wohl nie wieder Strom produzieren werden. FDP und CDU-Wirtschaftsflügel sind wegen der hastigen Wende sauer. Die Atomwirtschaft zahlt weniger Steuern. Die langjährigen Pro-Atom-Wahlkämpfer um Hardliner und CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus fürchten in Baden-Württemberg einen historischen Wahlsieg der Grünen.

LIBYEN

Kanzlerin und Außenminister Guido Westerwelle warnten von Anfang an vor „unkalkulierbaren Folgen“ eines Militäreinsatzes gegen Libyens Diktator Gaddafi. Sie waren sicher, dass die nötige Mehrheit im UN-Sicherheitsrat nicht zustande käme. Und täuschten sich.

Deutschland hilft zwar andernorts (300 Soldaten für Awacs-Luftüberwachung), steht ansonsten aber abseits - obwohl Merkel und Westerwelle jahrelang stets betonten, Deutschland müsse in wichtigen außenpolitischen Fragen immer eng bei seinen Verbündeten bleiben.

Der Preis: USA, Frankreich, Großbritannien sind tief enttäuscht. Vorwurf: Deutschland habe zugelassen, dass EU und Nato gegen Gaddafi nicht geschlossen sind. Deutsche Top-Diplomaten warnen vor „Isolierung“. Frankreichs Außenminister Alain Juppé verschob mehrfach seinen symbolisch wichtigen Antrittsbesuch in Berlin.

Allerdings: Bei vielen der generell sehr kriegskritischen Deutschen kommt Merkels Kurs gut an.

EURO

Bislang hatte die Regierung beteuert, bei der Rettung der Pleite-Staaten und des Euro insgesamt gehe es „nur“ um Milliarden-Bürgschaften und Kredite. Finanzminister Wolfgang Schäuble vor einem Jahr: „Es fließt also kein Geld aus dem Bundeshaushalt.“

Doch mit den jüngsten Beschlüssen der Euro-Finanzminister ist klar: Die Rettung der Pleitestaaten (u. a. Griechenland) kostet in jedem Fall deutsches Steuergeld: Für den verstärkten „Rettungsschirm“ muss Deutschland ab 2013 insgesamt rund 22 Milliarden Euro quasi in bar bereitstellen (und vorher selber pumpen). Das kostet unterm Strich pro Jahr ca. 500 Millionen Euro an Zinsen.

Der Preis: In der schwarz-gelben Koalition knirscht es mächtig. Merkel nannte die Zahlungen in der Fraktion gestern eine „bittere Sache“, musste lange Erklärungen abgeben. FDP-Generalsekretär Christian Lindner zu BILD: „Die Belastung des deutschen Staatshaushalts scheint der FDP zu hoch. Das wird nicht das letzte Wort sein können.“

Fazit: Die Kanzlerin nennt ihren Kurs alternativlos. Wegen der neuen Atomangst der Deutschen. Weil die Bundeswehr auf gar keinen Fall nach Libyen soll. Weil die Euro-Rettung über alles geht. Ob das die Wähler überzeugt? Vor allem die Landtagswahl in Baden-Württemberg wird es zeigen.