Die Erderwärmung macht seit 15 Jahren Pause, jetzt büßt auch noch die Sonne an Kraft ein. Namhafte Forscher sagen sogar eine neue "Kleine Eiszeit“ voraus, die den langfristigen Temperaturanstieg vorübergehend dämpfen könnte.
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Das Wetter spielt verrückt: ein halber Meter Schnee im vorweihnachtlichen Jerusalem, Schneefall in Kairo und in Texas, extreme Kälte im Norden der USA, dagegen frühlingshafte Temperaturen um den Jahreswechsel in Österreich - mit 19,1 Grad am 25. Dezember an der Wetterwarte Salzburg-Flughafen. Doch kein seriöser Meteorologe bringt derlei Wetterkapriolen mit dem Klimawandel in Zusammenhang, das Wettergeschehen war zu allen Zeiten chaotisch. Sicher ist nur, dass die durchschnittliche Oberflächentemperatur des Planeten in den vergangenen 100 Jahren um 0,85 Grad gestiegen ist - großteils durch den vom Menschen verursachten Ausstoß von Treibhausgasen, zu einem geringeren Teil aufgrund der im 20. Jahrhundert gestiegenen Sonnenaktivität.


Kurzer Sonnensturm

Doch mit der erhöhten Wärmestrahlung ist es nun vorbei, trotz eines kurzen Sonnensturms am 9. Jänner: Die Sonne schwächle wie seit einem Jahrhundert nicht mehr, befinden namhafte internationale Wissenschafter. Auch der Grazer Astrophysiker Arnold Hanslmeier und der Schweizer Sonnenforscher Arnold O. Benz von der ETH Zürich teilen diesen Befund. David Hathaway vom Marshall Space Flight Center (MSFC) der NASA in Huntsville, Alabama, und der russische Astrophysiker Habibullo Abdussamatov vom St. Petersburger Pulkovo Observatorium der russischen Akademie der Wissenschaften sagen für die kommenden Jahrzehnte sogar eine neue "Kleine Eiszeit“ vorher. Benz dagegen ist vorsichtiger: Zwar sei eine solche Abkühlung, wie sie sich vom 16. bis ins 19. Jahrhundert ereignete, möglich, aber nicht unbedingt plausibel. Denn schon Anfang des 20. Jahrhunderts sei eine ähnliche Schwächephase der Sonne aufgetreten, ohne dass diese zu einer neuen Eiszeit geführt hätte.

Hathaway und Abdussamatov indes glauben, in den letzten elfjährigen Sonnenzyklen deutliche Hinweise auf eine länger andauernde Aktivitätsschwäche gefunden zu haben. In einem normalen Zyklus steigt die Aktivitätskurve unseres Zentralgestirns von einem Minimum auf ein Maximum und fällt dann wieder ab. Darüber hinaus zeigt die Sonne auch längere Aktivitätszyklen wie etwa den 80- bis 100-jährigen Gleissberg-Zyklus, wahrscheinlich auch einen 200- bis 300-jährigen Zyklus.

Hathaway ist Spezialist für die Vorhersage von Sonnenzyklen, die für die US-Raumfahrtagentur NASA deshalb von Bedeutung sind, weil eine hohe Aktivität unseres Muttersterns durch starke Plasmaeruptionen und heftige Sonnenstürme gekennzeichnet ist, welche die Satellitenkommunikation stören, mitunter sogar die Umlaufbahn der künstlichen Erdtrabanten verändern können. Zusammen mit Kollegen des Marshall Space Flight Centers veröffentlichte Hathaway im Oktober 1999 eine Arbeit, die zeigte, wie sich durch eine bestimmte Kombination verschiedener Vorhersagetechniken die Verlässlichkeit der prognostizierten Sonnenaktivität auf 95 Prozent steigern lässt. Die neue Kombitechnik wurde an vergangenen Sonnenzyklen mit Erfolg getestet. Im Oktober 2010 behauptete der Forscher in einem Live-Chat: "Unsere aktuelle Vorhersage lautet, dass der nächste Sonnenzyklus im Jahr 2013 seinen Höhepunkt erreichen und der schwächste in 100 Jahren sein wird.“

Schwächephase der Sonne

Gleich mehrere Beobachtungen hatten Hathaway zu diesem Schluss geführt: "Einer der Indikatoren für die Stärke eines Sonnenzyklus ist, wie stark die Magnetfelder der Sonne in der Spätphase des vorangegangenen Zyklus sind“, erklärte der Wissenschafter. Da diese Felder nur halb so stark waren wie in den drei vorangegangenen Zyklen und auch die Zahl der Sonnenflecken - der einfachste Indikator für die Sonnenaktivität - nur sehr zaghaft anstieg, tippte Hathaway auf den Beginn einer ungewöhnlichen Schwächephase der Sonne. Aus diesen Beobachtungen und aus Vergleichen mit alten Aufzeichnungen schloss er, dass wir nun offenbar vor der Talsohle des etwa 100-jährigen Gleissberg-Zyklus stünden.

Die Anzahl der Sonnenflecken spielt dabei eine zentrale Rolle. Diese schwarzen Flecken verschiedener Größe entstehen durch die Konvektion in dem glühenden Plasmaball, begleitet von heftigen Sonneneruptionen. Beide Erscheinungen treten verstärkt während des Zyklusmaximums auf. Galileo Galilei war der erste, der auf der Sonnenoberfläche dunkle Flecken beobachtete, nachdem er das vom holländischen Brillenmacher Hans Lipperhey 1608 erfundene Fernrohr weiterentwickelt und popularisiert hatte. Auch andere Astronomen bedienten sich nun des neuen Werkzeugs zur Himmelsbeobachtung, mussten aber etwa ab dem Jahr 1645 feststellen, dass die Anzahl der Sonnenflecken von einem elfjährigen Sonnenzyklus zum anderen kleiner wurde und schließlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegen null tendierte. Erst ab 1715 wurden wieder mehr Sonnenflecken beobachtet.

Ernteausfälle und Hungersnöte

Während dieser Zeit der kaum noch vorhandenen Sonnenflecken gab es in weiten Teilen der nördlichen Hemisphäre deutlich kühlere, feuchtere Sommer, im Winter froren die Themse in London und die Grachten in Holland zu, was seit Menschengedenken nicht mehr passiert war. Die Ausdehnung der winterlichen Eisflächen in den Nordmeeren reichte zeitweilig bis nahe an Schottland heran, und die Gletscher in den Alpen wuchsen bedrohlich bis vor die Tore bewohnter Dörfer. In manchen Teilen Europas kam es zu Ernteausfällen und Hungersnöten. Über einen Zusammenhang mit dem Verschwinden der Sonnenflecken wurde immer wieder spekuliert, aber für einen Beweis fehlte das nötige Wissen.


Kommentar: Zu Ernteausfällen kam es auch im letzten Jahr, zudem es ebenso sehr viele Überschwemmungen gab.


Erst der Astronom Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) griff das Thema wieder auf. Für seine Himmelsbeobachtungen entwickelte er eigene Spiegelteleskope, die es ihm erlaubten, auch die Vorgänge auf der Oberfläche der Sonne näher zu studieren. Er war der erste Forscher, der einen Einfluss der Sonne auf das Erdklima thematisierte. Ihm war aufgefallen, dass die Weizenernte in Zeiten, in denen es weniger Sonnenflecken gab, schlechter ausfiel als in Zeiten mit vielen Sonnenflecken, und dass die Weizenpreise ein guter Indikator für die Sonnenaktivität waren.

Herschels Thesen waren umstritten, doch heute weiß man, dass er nicht völlig falsch lag. Die Zeit zwischen 1645 und 1715 wird klimatologisch als sogenanntes Maunder-Minimum oder als Kernphase der "Kleinen Eiszeit“ bezeichnet, deren Ausläufer bis ins 19. Jahrhundert reichten. Eine Rekonstruktion der NASA mittels Computermodellen ergab, dass der Strahlungs-Output der Sonne in dieser Periode nur um etwa 0,25 Prozent zurückging, was aber aufgrund nicht-linearer Effekte eine fünf- bis zehnfach höhere Wirkung auf große Teile des Planeten hatte. Die globale Durchschnittstemperatur sank um 0,8 Grad, in Teilen Europas, Nordamerikas, Sibiriens und Chinas waren es sogar ein bis zwei Grad. Die Forscher erklären den starken Temperaturrückgang mit veränderten Strömungs- und Windmustern in der Erdatmosphäre, zeitweilig verstärkt durch große Vulkanausbrüche, die gewaltige Mengen Staub- und Schwefelpartikel in die Atmosphäre geschleudert und so zu einer Abschattung des Planeten geführt hatten.

Schwächste Sonnenzyklus seit 1906

Zwar ist der derzeitige Rückgang der Anzahl der Sonnenflecken bei Weitem nicht so stark wie während des Maunder-Minimums, aber immer noch ungewöhnlich. Während es in normalen elfjährigen Zyklen bis zu 200 Sonnenflecken gibt, lag ihr Maximum im laufenden Zyklus bei 67. Laut einem aktuellen Update der NASA vom 2. Jänner ist das der schwächste Sonnenzyklus seit Februar 1906, als am solaren Aktivitätshöhepunkt nur 64 Sonnenflecken gezählt wurden. "Die Frage ist, wie es jetzt weitergeht“, meint der Grazer Astrophysiker Hanslmeier. Einiges spricht dafür, dass wir auf ein neues Minimum des 80- bis 100-jährigen Gleissberg-Zyklus zusteuern. So hatte es nicht nur Anfang des vorigen, sondern auch schon Anfang des 19. Jahrhunderts eine ähnliche Schwächephase der Sonne gegeben. Und laut einem Bericht der UCAR (University Corporation for Atmospheric Research), einem Netzwerk von mehr als 100 Forschern und Universitäten, hat der gegenwärtige Abwärtstrend in der Sonnenaktivität schon 1996 begonnen.

Matt Penn und Bill Livingston, Wissenschafter des US-National Solar Observatory am Kitt Peak, Arizona, hingegen wollen unabhängig von der gegenwärtigen Aktivitätsschwäche beobachtet haben, dass das Magnetfeld der Sonne schon seit Anfang der 1990er-Jahre an Intensität einbüßt und die Sonnenflecken ihre dunkle Färbung verlieren, und zwar "mit einer bedenklichen Rate von zwei Prozent pro Jahr“, wie die Experten berichteten. Wenn dieser Trend anhalte, werde die Sonne etwa ab dem Jahr 2022 in ein neues Maunder-Minimum eintreten. Wie ihr russischer Kollege Abdussamatov sind auch die beiden US-Forscher überzeugt, dass das Maunder-Minimum im 17. und 18. Jahrhundert kein singuläres Ereignis war. Das lasse sich anhand von sogenannten Proxidaten nachweisen, etwa durch Sediment- und Eisbohrkernanalysen. Laut Abdussamatov habe es "in den vergangenen 7500 Jahren etwa alle 200 Jahre insgesamt 18 maunderartige Minima in der Sonnenaktivität gegeben, verbunden mit einem spürbaren Temperaturrückgang auf unserem Planeten“.

Bleibt die Frage, welche Auswirkungen eine solche "Kleine Eiszeit“ auf das Erdklima hätte. Während der Forschungsverbund UCAR mit einem globalen Temperaturrückgang von 0,1 bis 0,3 Grad rechnet, geht Abdussamatov von einer gravierenderen Abkühlung aus. Demnach werde die geringere Strahlungsintensität der Sonne nicht nur die Energieaufnahme der Erde, sondern auch die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre verringern. Der Forscher rechnet mit spürbaren Auswirkungen auf das Erdklima etwa ab den 2040er Jahren und mit einer neuen "Kleinen Eiszeit“ ab etwa 2060. Der deutsche Meteorologe Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereichs Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Helmholtz-Zentrum Geomar in Kiel, geht aber selbst in diesem Fall nicht von einer massiven Abkühlung aus: "Wir würden mit Sicherheit nicht Zustände wie im 17. Jahrhundert erleben, weil wir von einem höheren Niveau starten.“ Aber etwas mehr Schneesicherheit in den Wintersportorten wird man sich vielleicht erhoffen dürfen.