schlafen hausaufgabe
© colourboxEin späterer Unterrichtsbeginn entspricht eher dem Biorythmus von Jugendlichen sagen Experten
Schichtarbeit kann dem Körper schaden, Spättypen schreiben schlechtere Schulnoten und nach der Zeitumstellung im Frühjahr passieren mehr Unfälle. Die innere Uhr beeinflusst Mensch und Arbeitskraft.

Im Dunkeln zur Arbeit und bei Nacht wieder nach Hause - im Winter bekommt ein Büroarbeiter kaum Tageslicht ab. Der Entzug macht vielen Menschen zu schaffen, sie fühlen sich müde und abgeschlagen. Gleichzeitig lassen Straßenlaternen und Leuchtreklamen Städte auch in der Nacht erstrahlen. Richtig dunkel wird es unter der Lichtglocke nie. Der natürliche Rhythmus gerät durcheinander, Menschen schlafen schlechter.

Zwar hat niemand die Mechanismen der Chronobiologie - der Biologie unserer inneren Uhr - bisher vollständig verstanden. Sie scheint jedoch ein bedeutender Faktor im Hinblick auf Gesundheit und Wohlergehen zu sein. Die innere Uhr läuft etwa im 24 Stunden Takt, durchschnittlich sogar 15 Minuten länger. Jeden Tag justiert sie sich durch das Sonnenlicht neu. Ein Lichtrezeptor im Auge nimmt das Licht auf und stellt die innere Uhr ein. Je blauer es ist, je mehr es also Tageslicht ähnelt, desto mehr springt sie darauf an.

Die innere Uhr jedes Menschen tickt ganz individuell. Manche sind Lerchen oder Frühtypen, manche Normaltypen, manche Eulen oder Spättypen und viele irgendwo dazwischen. Um zu ermitteln, welcher Typ ein Mensch ist, tut es nichts zur Sache, wie lange er im Schnitt schläft. Es geht allein darum, wann sein Schlafmittelpunkt ist. Ein Normaltyp hat seinen Schlafmittelpunkt um vier Uhr nachts. Er schläft also zum Beispiel von Mitternacht bis acht Uhr morgens oder von eins bis sieben.

Die drei Einflussfaktoren: Alter, Geschlecht, Vererbung

Etwa so wie Größen unter allen Menschen auf einer Glockenkurve verteilt sind - es gibt wenig sehr große und sehr kleine Menschen, aber viele dazwischen - sind auch die verschiedenen Chronotypen aufgeteilt.

Welche und wie viele Faktoren den Chronotyp wirklich bestimmen, ist indes nicht gewiss. „Wir kennen drei Bereiche, die ihn sicher beeinflussen“, sagt Achim Kramer, Immunologe und Leiter der Arbeitsgruppe Chronobiologie der Charité: Vererbung, Geschlecht und Alter. Männer etwa sind im Schnitt etwas spätere Typen als Frauen oder Jugendliche und junge Erwachsene spätere als Senioren.

Schüler sitzen im Tiefschlaf im Unterricht

„Der Schlafmittelpunkt von 14 bis 17-jährigen Schülern liegt bei fünf, sechs oder sogar sieben Uhr morgens“, sagt Thomas Kantermann, Chronobiologe von der Universität Groningen. „Deshalb sind die aktuellen Schulanfangszeiten nicht angemessen“, stimmt Achim Kramer zu. Viele Jugendliche sitzen in ihrer Tiefschlafphase in der Schule.

Wer in diesem Alter besonders früh raus muss, handelt sich ein weiteres Lernproblem ein. „In der zweiten Nachthälfte herrscht der REM-Schlaf vor, das ist eine Schlafphase, in der wir am Tag zuvor Gelerntes verarbeiten“, sagt Kantermann. Je später der Chronotyp des Schülers also ist, desto schlechter seien seine Leistungen - auch im Abitur. Das haben Kantermann zufolge Studien aus den USA, Asien und Deutschland ergeben. Der Unterschied könne bis zu einer Note im Abiturzeugnis ausmachen. Dass für eine veränderte Leistungsfähigkeit schon eine Stunde weniger Schlaf von Bedeutung sein kann, zeigt laut Kramer, dass nach der Zeitumstellung im Frühjahr vermehrt Verkehrsunfälle passieren.

Schichtarbeit ist auf Dauer nicht gesund

Auch das Hin-und-Her-Wechseln zwischen Schichten ist eine hohe Stressbelastung für den Körper. „Nur für wenige Menschen ist eine Nachtschicht wirklich gut machbar“, sagt Kantermann. Gut ist es, wenn die Schichtarbeit nicht rotiert: Je konstanter die Umwelt ist, desto besser. Damit Schichtarbeit auf Dauer gesund ist, müssten Nachtarbeiter aber auch an freien Tagen nachts wach sein und tagsüber schlafen. Das klappt jedoch höchstens auf Bohrinseln gut, wo die Menschen in einem speziellen sozialen Umfeld leben.

In unserer Gesellschaft, hat die innere Uhr wenig zu sagen. „Unser Sozialsystem setzt voraus, dass wir alle zu allen Uhrzeiten gleich einsetzbar sind“, sagt Kantermann. Kein Mensch ist jedoch mit einem anderen vergleichbar. Trotzdem ist unser Alltag nicht von eigenen Bedürfnissen, sondern von äußeren Einflüssen geprägt. Der Wecker bestimmt, wann wir aufstehen, die Arbeit, wann wir in die Mittagspause gehen, die Freizeitgestaltung, wann wir uns ins Bett legen. Die innere Uhr hat sich anzupassen. Gesund ist das nicht. Vor allem Schichtarbeit und Nachtschichten sorgen auf Dauer nicht nur für eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit, sondern können offenbar sogar gesundheitliche Probleme bereiten.

Tier und Mensch mit Jetlag

„Tierexperimentelle Studien zum Jetlag zeigen, dass sich Organe wie Magen oder Leber unterschiedlich schnell an die veränderten Tag- und Nachtphasen anpassen“, erzählt Kantermann. Beim Menschen sei das nicht anders. Studien deuten darauf hin, dass auf sehr lange Sicht Schichtarbeit sogar Krebs begünstigen könnte. „In einer Studie in Dänemark konnten Wissenschaftler herausfinden, dass das Risiko für Brustkrebs vor allem für Frühtypen erhöht war, wenn sie häufig in der Nachtschicht arbeiten mussten“, sagt Kantermann. Manche Forscher vermuten, dass fehlendes Melatonin dafür verantwortlich ist. Denn das Licht unterdrückt den auch als „Schlafhormon“ bezeichneten chemischen Stoff, den der Organismus vor allem im Schlaf produziert. „Es konnte nachgewiesen werden, dass Krebszellen schlechter wachsen, wenn Melatonin im Körper vorhanden ist“, sagt Chronobiologe Kantermann. Denn Melatonin ist ein Antioxidans, das Oxidationsvorgänge im Körper verhindert, die sonst in manchen Fällen zu Zellentartungen und zu Krebs führen können.

Die Melatonin-Hypothese ist laut Kantermann bisher jedoch nicht genügend belegt: „Die Theorien sind bis dato sehr lückenhaft und berücksichtigen nicht ausreichend den Chronotypen." Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen gestörter Chronobiologie und Krebsentstehung kann deshalb nicht zwingend hergestellt werden.

Allerdings mehren sich laut Kantermann die Beweise, dass sich durch einen sich immer wieder verändernden Tag-Nacht-Rhythmus Stoffwechselprobleme ergeben können oder der Schichtarbeiter gar in einen prädiabetischen Status gelangt. „Die innere Uhr steuert auch die Körpertemperatur, den Cortisolspiegel und den Appetit.“Wer gegen die innere Uhr isst, der nimmt zu. Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass unter Schichtarbeitern mehr Menschen rauchen als unter solchen, die keine Schichtarbeit leisten. Allerdings könnten auch andere Faktoren diese Korrelation zwischen Schichtarbeitern und Rauchern beeinflussen.

Schichtarbeit abzuschaffen, das ist für die Wirtschaft keine Option. Doch Unternehmen machen sich bereits Gedanken, wie sie chronobiologisch vorteilhafte Aspekte in den Arbeitsalltag umsetzen könnten. Die Maschinenbauer Johannes Labuttis und Johannes Scholz von der Firma Siemens haben sich zusammen mit Experten der LMU München dieses Themas angenommen. „Licht mit einem hohen Blauanteil ist von Vorteil, Bodenbeläge sollten weiß gestaltet sein, wenn möglich, sollte es viele Fenster geben“, sagt Johannes Labuttis. In Nachtschichten müsse auf gute Beleuchtung geachtet werden und wenn Mitarbeiter die Fabrik morgens verlassen, sollten die Sonnenbrillen tragen, damit ihre innere Uhr zur Ruhe kommen kann.

Labuttis und Scholz haben für ihre Studie über 400 Mitarbeiter verschiedener Siemens Standorte, je etwa drei Monate lang mit Schlaftagebüchern und Aktimetrieuhren (Geräte am Handgelenk, die Körperbewegungen erfassen und speichern und so etwa Schlafrhythmen aufzeichen können) ausgestattet, um herauszufinden, ob es sich bei ihnen um Früh-, oder Spättypen handelt. Dabei wurden Reaktionsfähigkeit und Wohlbefinden abgefragt, zudem wollten die Maschinenbauer herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen Chronotyp und Unfallgefahr gibt. Die Studie wird derzeit noch ausgewertet.

Studien wie diese werden zunächst kaum etwas ändern können. Ob es realisierbar ist, Arbeitskräfte so einzuteilen, dass es ihrem Chronotyp entgegenkommt, wie sich Lapputis und Scholz das wünschen, ist fraglich. Trotzdem ist es ein erster Schritt, wenn sich Unternehmen mit solchen Fragen beschäftigen.

Helle Büroräume hält Kantermann für sinnvoll. „Licht macht uns wacher und synchronisiert unsere innere Uhr“, sagt der Chronobiologe. Große Fenster seien ebenfalls ein guter Ansatzpunkt, aber weder in Fabrikgebäuden gut realisierbar, noch ausreichend. „Sie sind doch nur die halbe Miete“, sagt Kantermann. Denn sie filtern das Tageslicht, sodass es von der inneren Uhr nur zum Teil als solches aufgenommen wird. Schließlich komme es auch darauf an, wie hell die Lichtquelle sei - und draußen ist es grundsätzlich heller.

Hilfe für Spät- und Frühtypen

„Man kann aus einem Spättyp keinen Frühtyp machen“, sagt Kramer. Extreme Spättypen können sich, wenn die Gesellschaft sie dazu, schon früh zu funktionieren, damit helfen, dass sie morgens nach draußen gehen oder generell viel Licht tanken. Das signalisiert der inneren Uhr: „Es ist ja schon Tag, du musst dich beeilen, du hängst noch hinterher.“ Grundsätzlich sollte jeder versuchen, möglichst viel Licht über den Tag hinweg aufzuschnappen, möglichst zur richtigen Tageszeit. Das hat auch einen Effekt auf das Gemüt, der Körper schüttet durch das Tageslicht vermehrt Glückshormone aus.

„Wer abends viel fern sieht oder Computer spielt, dessen innere Uhr verzögert sich durch das Licht nach hinten“, sagt Achim Kramer. Schließlich signalisiert das dem Körper: Achtung, es ist immer noch hell, es ist immer noch Tag. Am besten wäre es daher, sich morgens mehr und abends weniger intensiv dem Licht auszusetzen.