Wegen wochenlanger Rekordniederschläge und Überschwemmungen in England öffnen sich auf der Insel mehr und mehr Erdlöcher. Die Folgen sind zum Teil kurios.
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Fast ein Jahrhundert lang lag Private Ryan ungestört in seinem Grab an der walisischen Küste. Pembroke Dock, ein alter Marinehafen und Luftwaffenstützpunkt, verfügt über den einzigen Soldaten-Friedhof im Fürstentum Wales. Dort war der Gefreite Francis Ryan 1915 mit militärischen Ehren beigesetzt worden. Seiner und der anderen Kriegstoten aus der Gegend sollte im August dieses Jahres gedacht werden: Zum Hundertjahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs.

Grabstein in der Tiefe

Doch nun haben sich Pembroke Dock und Private Ryan schon vor der Zeit in Erinnerung gebracht - und die geplanten Feierlichkeiten in Frage gestellt. Ein sieben Meter tiefes Erdloch hat Ryans Grab verschluckt und droht auch seinen Grabstein in die Tiefe zu ziehen. Andere Gräber sind ebenfalls in Gefahr. Die schweren Regenfälle der vergangenen Wochen haben den Untergrund des Friedhofs von Pembroke Dock ausgehöhlt. "There’s no saving Private Ryan" ist nun, wie zu erwarten, in britischen Zeitungen zu lesen - in Anspielung an "Saving Private Ryan", Steven Spielbergs berühmten Hollywoodfilm. Wer kann schon Francis Ryan aus Wales davor bewahren, nach 99 Jahren von Mutter Erde vollends verschlungen zu werden?

Halbes Haus in Krater gerutscht

Längst haben die Lebenden selbst Angst, in terrestrische Schlünde zu stürzen. Mehrmals pro Woche öffnet sich derzeit irgendwo auf den Britischen Inseln rumpelnd die Erde: In Yorkshire ist schon ein halbes Haus in einen Krater gerutscht. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden, als das 100 Jahre alte Gebäude in Ripon in Yorkshire ins Knie brach. Auch anderswo ging es bislang glimpflich ab. In High Wycombe in Buckinghamshire schluckte ein zehn Meter tiefer Erdfall einen vorm Haus geparkten Wagen. Da es nachts war, saß wenigstens niemand drin.

Als sich in Hemel Hempstead in Hertfordshire in Gärten hinter einer Hausreihe die Erde öffnete, mussten gleich 20 Familien evakuiert werden. Auch auf der Isle of Wight, nahe den Klippen, wurde ein Wohngebiet weitflächig abgesperrt. In Kent musste die Autobahn M 2 zeitweise gesperrt werden, weil der Mittelstreifen plötzlich versank.

Die starken Regenfälle und vielerorts noch immer anhaltenden Überschwemmungen nämlich haben ideale Voraussetzungen für das Auftauchen der beängstigenden Erdlöcher, geschaffen. Vor allem Kalkstein-, Gips- und Kreide-Gebiete im Süden Englands und droben in Yorkshire sind betroffen.

In alten Grubengebieten drohen zusätzliche Gefahren. Aber auch das Austrocknen lang durchtränkter Lokalitäten kann noch mächtige Einbrüche nach sich ziehen. "In den letzten paar Wochen", berichtet Vanessa Banks von der Britischen Geologischen Gesellschaft, "hat die Zahl der Sinkholes, der Erdlöcher, beträchtlich zugenommen." Sechs Mal so viele wie sonst verzeichnen die Geologen zur Zeit.

Flüsse zu Kloaken

Nicht nur haben Rekord-Niederschlag und Stürme Küsten und Tiefebenen verwüstet, Flüsse zu Kloaken gemacht und Minen und Weltkriegs-Bomben angeschwemmt. Sie bedrohen nun auch Gebäude, in denen sich die Leute vor kurzem noch vor den Fluten sicher fühlten - weil sie nicht wussten, was unter ihren Fundamenten vor sich ging.

"Noch auf mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate hin" werde sich die Erde in England und Wales öffnen, warnt Banks. In Pembroke Dock kratzen sich die Verantwortlichen die Köpfe. Sollen sie Private Ryans Grab zuschütten? Oder eine Exhumierung einleiten? Erst einmal hat man ein Gitter über das Loch gelegt. Damit niemand hinein stolpert - oder mit dem Grabstein in die Grube plumpst.