Berlin (dpa) - Ijad Madisch hatte dieses Projekt in der Stammzellenforschung und stellte sich viele Fragen. Es ging unter anderem darum, ob Menschen, die bei einem Unfall ihre Finger verlieren, je wieder welche angepflanzt bekommen könnten.

Madisch konnte über Internet auf die Schnelle keinen Forscher finden, der ihm helfen könnte. Das war 2007. So entstand die Idee für ein soziales Netzwerk für Forscher, die sich inhaltlich austauschen und Kontakte miteinander knüpfen können.

Gemeinsam mit zwei Freunden gründete Madisch ResearchGate. Heute ist das Netzwerk nach eigenen Angaben das größte dieser Art für Wissenschaftler und hat seinen Sitz in Berlin und in Massachussettes. «Die Forschung war früher sehr verschlossen», sagt der 30-jährige Madisch. Nur auf Konferenzen sei es für Wissenschaftler möglich gewesen, andere vom gleichen Fach zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. «Deshalb soll ResearchGate eine Plattform für die kontinuierliche Kommunikation sein.» Natürlich sei der Austausch in der Wissenschaft immer noch kompetitiv, sagt der Virologe, der unter anderem in Harvard studierte. «Aber die Kommunikation wird offener.»

Mittlerweile ist ResearchGate auch auf den Radar von Investoren aus Silicon Valley gekommen. Kapitalgeber sind Firmen, die schon Facebook oder Twitter finanziell unterstützt haben. Umsätze erwirtschaftet das Forscherforum über eine Stellenbörse und über Social-Network-Plattformen, die für Universitäten oder andere Forschungsinstitute bereitgestellt werden. Das Netzwerk wächst. Aktuell sind mehr als 800 000 Mitglieder weltweit registriert, täglich melden sich 2500 neue an, sagt Madisch. Vertreten sind Bereiche wie Biologie, Physik oder Informatik aber auch Psychologie, Geschichte oder Jura. Alle kommunizieren auf Englisch miteinander.

In einzelnen Gruppen können die Fachbereiche Diskussionen führen. Zum Beispiel darüber, ob Quantenmechanik ein Bereich der Physik ist oder nicht. Oder wie bestimmte chemische Lösungen aufbewahrt werden sollen. In einem Forum wird über die Philosophie des Verstands diskutiert und einige Mitglieder werden gerügt, wenn sie nicht weiter als Descartes denken. Es gibt darüber hinaus aber auch Sparten, die fachübergreifend sind. Wie die Methodikgruppe, bei der sich Wissenschaftler über Abläufe ihrer Experimente unterhalten sollen.

Madisch findet nämlich, dass zu wenig über die Misserfolge in der Wissenschaft geredet wird. «Man forscht sehr sehr viel und 50 Prozent aller Dinge klappen nicht. Aber darüber wird kaum gesprochen.» Das soll in der Methodikgruppe deshalb anders praktiziert werden. Und siehe da - manchmal kann der Kollege aus dem Pflanzenbereich besser helfen als der Virologe aus dem eigenen Fach. Der 30-Jährige hofft, dass sein Netzwerk eines Tages dazu führt, die Wissenschaft noch schneller und effizienter zu machen. «Wenn sich schneller Probleme identifizieren lassen, wird nicht so viel Geld unsinnigerweise ausgegeben.»

Die Mehrheit der Mitglieder bei ResearchGate sind Postdoc- oder PhD-Studenten im Alter von 26 bis 35 Jahren. Und ein Blick auf die Herkunft der Mitglieder offenbart: Fachlich miteinander diskutieren will jeder auf allen Kontinenten. Die allermeisten Mitglieder kommen immer noch aus den USA. Auf Platz zwei folgen die Deutschen, Briten und die Inder. China kommt erst auf Platz 9.

Momentan wird auch der Stellenmarkt über das Netzwerk ausgebaut. In dem Bereich «Jobs» sind etwa Assistenzprofessur-Stellen im Max-Planck-Institut gelistet oder in Stanford. Aber auch Ratingagenturen wie Standard & Poor's nutzen die Seite und suchen Mathematik-affine Einsteiger als Analysten.

Am Ende des Tages kann das Online-Netzwerk aber auch helfen, schnell mal die Hausaufgaben zu erledigen. Ein Mitglied im Chemieforum fragte mitten in der Nacht einmal: «Weiß jemand, wie man die Anzahl der Atome von Si (Silizium) und Au (Gold) berechnet?» Die Antwort kam zwei Stunden später: «Ja, Du verwendest die Methode SIMS, XPS oder SDX.»