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© dpaEine Karte zeigt das Epizentrum des Erdebens von vergangenem Freitag.
In der Nacht bebte es unter dem Meeresboden vor Chile. Vor ein paar Tagen wurden die Menschen in Los Angeles daran erinnert, dass auch sie auf einer extrem schaukeligen Gesteinsformation leben. Experten warnen nun vor "The Big One" in Kalifornien.

Der Baseball-Moderator Vincent Scully reagierte sehr kalifornisch. Mitten im Spiel der Los Angeles Dodgers rüttelte ein Erdbeben so sehr an der Kamera, dass einem beim Anblick der Fernsehbilder schwindlig wurde. "Eine kleine Erschütterung hier im Stadion", bemerkte Scully, als trage er die neueste Wurfstatistik vor. "Ich weiß nicht, ob es die Leute gemerkt haben; wir auf der Pressetribüne haben es deutlich gespürt. Eine Erschütterung, sonst nichts. Gott sei Dank."

Erdbeben Seismograph
Erdbeben erschüttert Teile Kaliforniens
Das kleine geologische Ereignis am vergangenen Freitagabend war immerhin ein Erdbeben der Stärke 5,1 auf der Richterskala, das Epizentrum lag im Osten von Los Angeles, nicht weit entfernt vom Zentrum der zweitgrößten amerikanischen Stadt. Erst Mitte März hatte ein Beben der Stärke 4,4 daran erinnert, dass Südkalifornien auf einigen der schaukeligsten Gesteinsformationen der Erde liegt. Nun erklären Experten, dass sich die Bewohner der US-Westküste womöglich wieder daran gewöhnen müssen: Die jüngsten Erschütterungen könnten nicht nur eine neue, unruhige Routine einläuten, sondern Vorboten der nächsten schweren Katastrophe sein.

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© REUTERSDas Beben der Stärke 5,1 verursachte in kalifornischen Supermärkten Chaos.
Erdbeben gehören zum kalifornischen Leben wie das gute Wetter, schon in der Grundschule lernen Kinder, sich unter den Tischen zu verstecken. Es gilt hier als Gewissheit, dass "The Big One" eines Tages kommen wird, das ganz große Ding. Dann werden sich Spannungen entlang der San-Andreas-Verwerfung lösen, wo die Nordamerikanische auf die Pazifische Erdplatte trifft, und an der Oberfläche wird man - wie schon so oft - vieles neu aufbauen müssen. Studien zeigen sogar, dass der Boden Kaliforniens noch stärker von Bruchstellen durchzogen ist als vermutet. Neu entdeckt hat man etwa die "Whittier Verwerfung", die das Beben vom Freitag ausgelöst hat und die der Stadt noch gefährlich werden könnte.

Angst vor dem großen Kollaps

Doch zuletzt war die Erde friedlich wie selten; es könnte eine gefährliche, weil trügerische Ruhe gewesen sein. "Die vergangenen 17 Jahre waren die ruhigste Zeit, die wir je erlebt haben", sagte Lucile Jones, eine Seismologin der US-Regierung. Tatsächlich liegen tödliche Beben lange zurück: 1994 starben in Los Angeles 60 Menschen, 1987 starben acht. Jones vermutet, dass jetzt eine Rückkehr bevorsteht zu "normaleren Werten", der friedliche Ausnahmezustand also dürfte enden.

Etliche Kalifornier haben es in dieser Zeit offenbar versäumt, sich besser zu rüsten. Im Herbst veröffentlichte die Los Angeles Times eine Studie, wonach bis zu tausend Betonbauten in Stadt und Umland einsturzgefährdet seien beim überfälligen Großbeben. Dazu gehörten Wohnungen, Büros und Fabriken. Sie würden starken Seitwärtsbewegungen nicht standhalten, weil zu wenig Stahl die Betonstruktur festige. Als gefährdet gelten ferner Wasser- und Telefonleitungen.

Nach Jahrzehnten behördlicher Lethargie hat nun immerhin der neue Bürgermeister von Los Angeles, Eric Garcetti, die alte Gefahr wiederentdeckt. Im Januar verpflichtete er die Seismologin Lucile Jones als Beraterin. "Wir müssen bereit sein für das nächste Beben", sagte Garcetti - eine Erkenntnis, für die sich die Stadt zwanzig Jahre Zeit gelassen hat. Kalifornische Entspanntheit kann zuweilen auch eine Schwäche sein.