In ihrer Dissertation hat sich die Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth mit dem sogenannten Exorzismus von Klingenberg auseinandergesetzt und diese Doktorarbeit nun auch in Buchform publiziert. In ihrem Werk "Der Fall Anneliese Michel - Kirche, Justiz, Presse" kommt die Historikerin zu dem Schluss, dass die Todesursache und damit einhergehend auch die Schuldfrage bislang in der Öffentlichkeit größtenteils falsch dargestellt wurde und die Berichterstattung der Presse über den Fall fiel nicht so vorverurteilend ausgefallen war, wie in Kirchenkreisen damals befürchtet. Nachweislich neu entfacht hatte der Exorzismus allerdings die Diskussion über die Realexistenz des Bösen.
Anneliese Michel
Anneliese Michel (1952 - 1976)
Würzburg (Deutschland) - Für die "erstmalige wissenschaftliche Aufarbeitung des Exorzismus von Klingenberg" hatte Petra Ney-Hellmuth vom Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg zusammen mit ihrem Doktorvater Professor Wolfgang Altgeld eigens Sondergenehmigungen zur Eröffnung der Akten des Staatsarchivs und des Diözesanarchivs Würzburg erteilt bekommen.

Ein Ergebnis der Arbeit ist die Erkenntnis, dass gleich "mehrere Details des Falls wurden bisher in der Öffentlichkeit falsch dargestellt" wurden. So wurde beispielsweise der Exorzismus mit der Todesursache gleichgesetzt - für Ney-Hellmuth der größte Fehler in der öffentlichen Darstellung.

"Der Exorzismus ist ein Gebet in einer seelsorglichen Betreuungssituation", so die Forscherin und führt weiter präzisierend aus. "Gestorben sei die epilepsiekranke junge Frau, über die zwischen September 1975 und Juni 1976 der Große Exorzismus gesprochen worden war, jedoch an Unterernährung."

Der damalige Bischof Josef Stangl habe den Großen Exorzismus genehmigt und den beiden Priestern, Anneliese Michels "Seelenführer" Ernst Alt und dem Exorzisten Pater Arnold Renz, vertraut, die später wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wurden. Michel selbst und deren Familie hatten ärztliche Hilfe verweigert und auf eine spirituelle Lösung gesetzt. "Das Fehlen einer ärztlichen Begleitung ist nicht Stangl anzulasten; die Schuldfrage ist spekulativ", so die Historikerin.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: "Die Presseberichterstattung über die Klingenberger Ereignisse fiel nicht so vorverurteilend aus wie in Kirchenkreisen befürchtet und von der Verteidigung der angeklagten Alt und Renz bemängelt."

Nachweislich neu entfacht hatte der Exorzismus allerdings die Diskussion über die Realexistenz des Bösen. Eine Folge der Ereignisse war laut Ney-Hellmuth, dass der Exorzismus-Ritus überarbeitet wurde, dass seitdem beim Exorzismus auch ein Arzt miteinbezogen werden muss und dass letztlich in Deutschland und vor allem in der Diözese Würzburg der Exorzismus ein sehr tabuisiertes Thema ist. Von konservativ-traditionalistischen Kreisen werde dagegen noch heute der Fall Michel instrumentalisiert, um gegen die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils vorzugehen.

Wolfgang Altgeld sieht in der nun vorgestellten Dissertation eher eine zeitgeschichtliche und keine kirchen- und theologiegeschichtliche Arbeit.

"Bei der Entwicklung der Idee zu dieser Doktorarbeit sei es zunächst allein darum gegangen, anhand von knapp 4000 Zeitungsartikeln die öffentliche Resonanz der Vorkommnisse von Klingenberg zu untersuchen und in die zeitgeschichtlich auffällige soziokulturelle und politische Umbruchphase der späteren 1970er-Jahre einzuordnen", so die Pressemitteilung der Universität. "Die Auseinandersetzung um die terroristische Rote-Armee-Fraktion RAF, die Debatte um die Zwangsernährung von hungerstreikenden RAF-Häftlingen, die Nato-Nachrüstung sowie die schnellen Papstwechsel nannte er als Beispiele für diese Umbruchszeit, in der die öffentliche Meinung unsicher geworden sei. Ihm sei es bei der Begleitung der Arbeit darum gegangen, den Fall Klingenberg vor diesem Hintergrund besser zu verstehen.
Vertrauen bei Archiven aufgebaut"

Dass den Forschern die eigentlich noch lange gesperrte Archivalien eröffnet wurden, sei die Leistung von Ney-Hellmuth gewesen, Vertrauen bei den zuständigen Archiven aufzubauen, um die Akten des Staatsarchivs und des Diözesanarchivs Würzburg für die wissenschaftliche Forschung vorzeitig zu eröffnen, unterstrich Altgeld.

Der Fall Anneliese Michel
© Bernhard Schweßinger, POWBei der Vorstellung des Buches "Der Fall Anneliese Michel – Kirche, Justiz, Presse" (v.l.): Ingrid Heeg-Engelhart (Staatsarchiv Würzburg), Generalvikar Karl Hillenbrand, Petra Ney-Hellmuth, Prof. Wolfgang Altgeld und Prof. Johannes Merz, Direktor des Diözesanarchivs Würzburg.
Mit Hilfe dieser Akten hätten dann das tatsächliche Geschehen von Klingenberg, die Vorkommnisse um die leidende Anneliese Michel, aufgezeigt und bisherige Veröffentlichungen teils richtig gestellt werden können - "auch vieles zum Verhalten des damaligen Bischofs Josef Stangl".

Ausdrücklich betont Altgeld, dass es keinerlei Beeinflussung durch die betroffenen Akteure gegeben habe. Zugleich legte der Wissenschaftler auch Wert auf die Tatsache, dass weder er noch die Autorin katholisch seien. Entstanden ist nach den Worten Altgelds "eine sorgfältige Darstellung des Falls selbst und der öffentlichen Resonanz."

Archivdirektor Professor Johannes Merz vom Diözesanarchiv Würzburg wertet die Eröffnung der kirchlichen Akten für die wissenschaftliche Forschung als einen "Beleg für einen Wandel der Kirchenleitungen, als Zeichen der Professionalisierung des kirchlichen Archivwesens. Es sei ein Glücksfall, dass Professor Altgeld den Fall Klingenberg aufgegriffen und als Dissertationsthema vergeben habe. "Eine geschichtswissenschaftlich seriöse Aufarbeitung erschien überfällig."

- Die Hintergründe des Exorzismus-Falls der Anneliese Michel werden hier übersichtlich und ausgewogen zusammengefasst.

Quelle: uni-wuerzburg.de