Festnahme Weiweis
© reutersMarkiert eine neue Stufe der Verfolgung von Regierungskritikern in China: Die Festnahme Weiweis.
PEKING taz | Ai Weiwei bleibt verschwunden. Zwei Tage nachdem Polizisten den Künstler am Pekinger Flughafen abgeführt hatten, wussten seine Familie und seine Freunde am Dienstag immer noch nichts über sein Schicksal. Als "extrem ernst" bezeichnete seine Frau Lu Qing die Situation gegenüber Journalisten. Die Polizei weigere sich, irgendetwas darüber zu sagen, wo Ai Weiwei sei und was dem 53-Jährigen vorgeworfen werde.

Die Festnahme Weiweis markiert eine neue Stufe der Verfolgung von Regierungskritikern in China. Bislang schien es so, als ob Ai Weiwei sich mehr erlauben könnte als andere. Er gehört zu einer prominenten Familie aus dem revolutionären China, sein Vater war der von vielen Chinesen verehrte Dichter Ai Qing, der in den fünfziger und sechziger Jahren wie so viele chinesische Intellektuelle in die Mühlen ideologischer Kampagnen geriet. Bei den Fraktionskämpfen in der Kommunistischen Partei fiel der frühere Vertraute Mao Tse-tungs in Ungnade.

Ai Weiwei begleitete den Vater in die Verbannung. Als die Pekinger Partei Ai Qing schließlich wieder aufnahm und die KP die Exzesse der Kulturrevolution als "historischen Irrtum" entschuldigte, nutzte der Sohn die Gelegenheit, ins Ausland zu gehen. 1981 zog er nach New York und schlug sich als Künstler und Gelegenheitsarbeiter durch.

In den neunziger Jahren kehrte er nach Peking zurück an die Seite seines schwerkranken Vaters, der 1996 starb. Mit seinen respektlosen Kunstaktionen erregte der Heimkehrer bald Aufsehen im In- und Ausland - und schaffte es seither immer wieder, seine Umgebung in Verwirrung zu stürzen: Bis heute gibt es wohl kaum eine öffentliche Person in China, die so viel Zustimmung und Ablehnung zugleich auf sich zieht.

Propagandaschau der Regierung

Entsetzt schauten viele Landsleute auf Werke wie das "Fallenlassen eines Gefäßes aus der Han-Dynastie": mehrere Fotos, die den kräftig gebauten Ai Weiwei zeigen, wie er eine zweitausend Jahre alte Vase ungerührt zu Boden krachen lässt. Wertvolle Ming-Vasen versah er mit dem Coca-Cola-Namenszug. Die Fotosammlung "Studie von Perspektiven" zeigt seine ausgestreckte Hand mit dem Stinkefinger vor Sehenswürdigkeiten wie dem Tiananmen-Platz.

Gemeinsam mit Kollegen in Peking und Schanghai gründete er mehrere Künstlerkommunen. Er entwarf auch Ateliers, Villen und Museen in seiner Heimat und im Ausland und beteiligte sich an der Seite der Baseler Architekten Herzog und de Meuron an einem großen Projekt, das zum Wahrzeichen des stolzen und aufstrebenden China werden sollte: an dem "Vogelnest" genannten Pekinger Olympiastadion. Bis zum Beginn der Olympischen Spiele 2008 änderte Ai Weiwei freilich seine Haltung: Er lehnte die Veranstaltung als große Propagandaschau der Regierung öffentlich ab.

In Deutschland wurde er 2007 durch "Template" und "Fairytale", zwei Beiträge zur Documenta 12, bekannt. Er brachte 1001 Chinesen aus dem ganzen Land nach Kassel und errichtete außerdem eine Skulptur aus Tempeltüren und -fenstern. In China selbst sind es vor allem politische Aktionen, die ihm Respekt oder Ablehnung eintragen.

Das Beben von Sichuan

An der Wand seines Studios in Peking hängen die Namen der Kinder, die er und andere Aktivisten nach dem schweren Erdbeben von 2008 dem Vergessen entrissen. Bei der Katastrophe in Sichuan waren viele Schulen eingestürzt, weil beim Bau gepfuscht worden war. Die Regierung versuchte, die Zahl der verschütteten Schüler zu vertuschen. Als Tan Zuoren, einer der Aktivisten, 2009 vor Gericht gestellt wurde, reiste Ai Weiwei zur Verhandlung. Polizisten schlugen ihn zusammen, in München musste er wegen eines Blutgerinnsels im Gehirn operiert werden.

Diese Erfahrung erschütterte ihn schwer, wie er in einem Interview sagte. Dennoch hörte er nicht auf, sich für mehr Freiheiten in China zu engagieren. Auch beim Prozess gegen den späteren Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo Weihnachten 2009 tauchte Ai Weiwei demonstrativ vor dem Gerichtsgebäude auf. Er machte nie einen Hehl aus seiner Ablehnung der KP.

Für seinen Mut wurde er zuletzt immer häufiger schikaniert. Polizisten bauten Kameras vor seinem Haus auf. Sein Atelier in Schanghai wurde jüngst abgerissen. In der vorigen Woche gab er bekannt, dass er sich in Berlin ein neues Studio errichten und ein "zweites Standbein" schaffen wolle, da er in Peking nicht mehr ungestört arbeiten könne. Ins Exil wolle er aber nicht gehen.