Trümmer in Japan
© AP (Hiro Komae)
Robert Geller, Erdkundler an der Universität von Tokio, kritisiert Japans Regierung heftig: Sie stütze Prognosen auf Pseudowissenschaft und wiege große Teile der Bevölkerung in falscher Sicherheit.

Anno 869 erschütterte ein Erdbeben Nordostjapan, der folgende Tsunami überflutete die Sendai-Ebene - sie liegt etwas nördlich von Fukushima - , zerstörte die Festung Jogan und tötete tausend Menschen, so berichtet es eine Quelle aus dem Jahr 901. 1100 Jahre später fand Geologe Koji Mioura (Sendai) die Sedimente des Tsunamis tief im Landesinneren, er schätzte die Stärke des Bebens auf 8,3. Und er vermutete, dass die Gefahr alle tausend Jahre droht. „Die Möglichkeit, dass ein großer Tsunami die Sendai-Ebene trifft, ist hoch“, publizierte er 2001 im Journal of Natural Desaster Science.

Viel Beachtung fand es nicht: „Wir haben versucht, den Befund zu kommunizieren, wir haben es nicht rechtzeitig geschafft“, bedauert Yukinou Okamura (Tsukuba), der die Tsunami-Sedimente auch analysierte und vor allem eine Gelegenheit zur praktischen Umsetzung des Funds nutzen wollte: 2008 beriet ein Expertenrat über die seismische Sicherheit des Atomkraftwerks Fukushima: Das wurde 1971 gebaut und für einen 5,7 Meter hohen Tsunami ausgelegt. Okamura warnte vor einem höheren - der kam, war 14 Meter hoch - , er fand kein Gehör, den anderen Experten ging es eher um die Bebengefahr (Science, 332, S.22).

Und um die Vorhersage. Als das große Beben am 11. März kam, wurde es rasch als „unvorhersehbar“ eingestuft. Gibt es auch vorhersehbare? Japans Regierung geht davon aus, sie publiziert jedes Jahr eine „seismische Risiko-Karte“. Dafür erhält sie nun scharfe Kritik: Robert Geller, Erdkundler an der Universität von Tokio, verurteilt die Bebenvorhersage als Pseudowissenschaft, die Teile der Bevölkerung in falscher Sicherheit wiegt.

Sind Kurzfristprognosen möglich?

Denn die Prognose steht auf zwei wackligen Beinen. Zum einen geht sie davon aus, dass man Beben kurzfristig sehen kommen kann, Tage oder Stunden vorher, wenn man eine Region nur gut genug überwacht. Das galt unter Seismologen lange als unmöglich, aber in den 70er-Jahren kam Zuversicht: Russische Forscher hatten „Vorläufer“ gefunden - Veränderungen in der Geschwindigkeit, in der Wellen durch die Erdkruste laufen - US-Forscher bestätigten sie. Aber 1976 forderte ein Beben in China 240.000 Opfer, es hatte keinen „Vorläufer“, und bei näherer Überprüfung erwiesen sich die früheren als Artefakte. Die meisten Forscher kamen von kurzfristigen Prognosen wieder ab.

Die regierungsoffiziellen in Japan nicht. Und sie kombinierten die Kurzfrist-Überwachung mit Langfrist-Prognosen, die sich auf „seismische Lücken“ stützen: Dort, wo Erdplatten sich verschieben und Beben erwartbar, aber lange nicht gekommen sind, ist die Gefahr besonders groß. In Japan ist das seit den 70er-Jahren die Region Tokai - fast nur sie - , dort installierte der Meteorologendienst in den 70ern ein dichtes Messnetz, seit 1978 gibt es gar ein eigenes Gesetz: Fällt den Meteorologen etwas auf, alarmieren sie den Premierminister, der ruft den Notstand in Tokai aus. „Das führte in der Öffentlichkeit zu dem Irrglauben, in der Region Tokai lauere in naher Zukunft ein Erdbeben der Stärke acht“, erklärt Geller (Nature, 13.4.). Aber ausgerechnet dort bebte die Erde seit 1975 nicht. Stattdessen gab es zehn Beben in Regionen mit angeblich geringerem Risiko.

Die japanische Regierung sollte der Bevölkerung offen sagen, dass man Erdbeben nicht vorhersehen kann“, schließt Geller. „Ganz Japan ist bedroht, und der Stand der Wissenschaft erlaubt es uns nicht, Zonen mit größerem oder geringerem Risiko auszuweisen.“ Was erlaubt der Stand der Wissenschaft dann? Die schwersten fünf Beben der letzten 100 Jahre ereigneten sich in „Subduktionszonen“, wo sich eine Erdplatte unter die andere schiebt. Wo die sind, ist bekannt, dort müsste man in die historische Tiefe graben - so wie bei den Tsunami-Sedimenten - , um Gefahren zu konkretisieren.