Das Risiko, dass das Ebolavirus von Afrika überspringt, "besteht durchaus". Liberia erwägt, Dörfer unter Quarantäne zu stellen - notfalls mit Gewalt. Das Virus gerät mehr denn je außer Kontrolle.
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© ReutersUm die zunehmende Verbreitung der Ebola einzudämmen, schickt die WHO nun Experten nach Westafrika. Sie sollen Personen, mit denen der erste Ebola-Tote in Lagos zu tun hatte, aufspüren.
Patrick Sawyer fühlte sich nicht wohl, als er in das Flugzeug stieg. Die Reise von Liberia in Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos dauert nur ein paar Stunden, ein Routinetrip für den Mitarbeiter des liberianischen Finanzministeriums. Eine Konferenz stand an, ein Flug für einen angenehmeren Anlass war auch schon geplant. Er sollte ihn im August in die USA zu seiner Familie nach Minnesota bringen. Zwei Töchter haben Geburtstag.

Doch an Bord musste sich Sawyer übergeben, er bekam hohes Fieber - Verdacht auf Ebola. Noch in Lagos wurde Sawyer in Quarantäne genommen. Behandlungsmethoden gibt es außer der Stärkung des Immunsystems keine, über 50 Prozent der Infizierten sterben. Das sind inzwischen laut offiziellen Zahlen 729. Seit dem vergangenen Freitag ist auch Sawyer, der aus den USA nach Liberia zurückkehrte, um die dortige Wirtschaft zu fördern, Teil dieser grausamen Statistik. Er wurde nur 40 Jahre alt.

Nach diesem ersten Todesfall, der nach einem internationalen Flug bekannt wurde, wächst die Angst vor einer Ausbreitung des Virus weiter. Sawyer machte auf seiner Reise nach Nigeria Zwischenstopps in Ghana und Togo, er übergab sich mindestens einmal an Bord. Für eine Infektion ist direkter Kontakt mit Körperflüssigkeiten nötig; es ist nicht auszuschließen, das sich jemand an Bord infiziert hat. Die Behörden versuchen deshalb, die Passagiere ausfindig zu machen, um sie bis zum Ende der möglichen Inkubationszeit von bis zu drei Wochen zu beobachten.

Krankenhaus muss überwacht werden

Es handelt sich dabei um ein ebenso kompliziertes Unterfangen wie die Überwachung des Krankenhauses in Lagos, in dem Sawyer behandelt wurde. Es wurde unter Quarantäne gestellt. 27 Millionen Menschen leben in der Stadt - das Chaos und die Enge der Metropole liefern die ungünstigsten Bedingungen, um gegen eine Verbreitung vorzugehen. Ohnehin dürfte die Dunkelziffer der Ebolatoten weit höher liegen als die offizielle Zahl von 729. Längst nicht alle an der Krankheit Verstorbenen können registriert werden.

Die togolesische Fluggesellschaft "Asky", mit der Sawyer geflogen war, hat inzwischen alle Flüge von oder nach Liberia und Sierra Leone als "vorsorgliche Maßnahme" gestrichen. In Liberia wurden viele Schulen geschlossen. Die Regierung überlegt sogar, ganze Dörfer und Gemeinden unter Quarantäne zu stellen, um die schlimmste Ebolaepidemie der Geschichte einzudämmen.

In diesem Fall dürften lediglich Gesundheitsarbeiter die betroffenen Gegenden betreten oder verlassen. "Wir hoffen, dass es dafür ein gewisses Verständnis gibt", sagte Liberias Informationsminister Lewis Brown. Und wenn nicht? "Wir hoffen, dass es keine Notwendigkeit für außergewöhnlichen Zwang gibt."

Isolation mit Gewalt durchsetzen

Nähere Erläuterungen gab er nicht, nach der wiederholten Flucht von Infizierten aus Krankenhäusern könnte die Isolation also künftig mit Gewalt durchgesetzt werden. Es sind die bislang radikalsten Maßnahmen gegen die tödliche Krankheit. Schon seit Wochen sind viele Grenzposten zu den Nachbarländern geschlossen, soweit das angesichts ihrer Durchlässigkeit denn möglich ist.

Doch der Gegner wirkt übermächtig. Längst hat die Krankheit Gesichter, und zwar nicht nur die von anonymen Dorfbewohnern, die elendig innerlich und äußerlich verbluten. Neben dem von Sawyer, der auf alten Fotos liebevoll mit seinen beiden kleinen Töchtern schmust, zählt dazu vor allem das des Arztes Sheik Umar Khan aus Sierra Leone.

Er galt als "nationaler Held", weil er über 100 Ebolapatienten behandelte. "Ich fürchte um mein Leben, muss ich sagen, ich wertschätze es sehr", sagte Khan im Juni in einem Interview mit der Nachrichtenagentur "Reuters". Gesundheitsarbeiter seien besonders gefährdet, warnte er: "Selbst mit der vollen Schutzkleidung besteht noch immer ein Risiko." Vor einigen Tagen starb auch er an Ebola, genau wie drei Krankenschwestern, mit denen er zusammengearbeitet hatte. Das gleiche Schicksal ereilte einen prominenten Arzt in Liberia.

Risiko der Ausbreitung des Virus

Noch immer betont die Weltgesundheitsorganisation, dass die Ausbreitung des tödlichen Virus auf Industrienationen unwahrscheinlich ist. Doch die geplante USA-Reise von Sawyer lässt dieses Szenario doch nicht mehr ganz so abwegig erscheinen, auch wenn es in derart hoch entwickelten Gesellschaften deutlich einfacher fallen würde, die Patienten zu isolieren. Wurden die ersten Erkrankten noch überwiegend in ländlichen Gegenden ausgemacht, gab es inzwischen in allen drei Hauptstädten von Sierra Leone, Liberia und Guinea Fälle.

In Hongkong herrschte große Aufregung, als bekannt wurde, dass ein Bürger nach einer Afrikareise ebolaähnliche Symptome entwickelt hatte. Zu ihnen zählen Muskelschmerzen, Durchfall, Erbrechen, hohes Fieber und Blutungen. Er wurde negativ getestet. In England gab es den Verdacht, dass sich ein Mann bei einer Nigeriareise infiziert haben könnte. Auch dieser Test war negativ, die Regierung aber traf sich am Mittwoch zu einer Ebolakrisensitzung. Alle Ärzte des Landes sind angewiesen, explizit auf Ebolasymptome zu achten und sie umgehend zu melden.

Kaum möglich, alle Menschen mit Kontakt zu finden

"Es gab bislang keine Fälle außerhalb von Afrika, diese Gefahr besteht aber durchaus", sagte Unni Krishnan vom Kinderhilfswerk "Plan International". Logistisch ist es kaum möglich, alle Menschen, die mit Erkrankten in Berührung gekommen sind, zu finden. In Liberia sind die Krankenhäuser derart überfüllt, dass viele Patienten in ihren Häusern behandelt werden müssen. Schon in normalen Zeiten ist das Personal knapp, nun bleiben viele Ärzte und Krankenschwestern aus Angst vor einer Infektion oder aus Protest gegen den geringen Lohn zu Hause. So ist es kaum absehbar, wann die Epidemie eingedämmt werden könnte.

Für die Hilfsorganisationen wird die Arbeit immer schwerer. Zum einen wegen der unmittelbaren Gefahr: In Liberia haben sich ein amerikanischer Doktor und eine Missionarin infiziert, sie werden behandelt. Das Friedenskorps, ein Freiwilligenprogramm der USA, zieht seine insgesamt 340 Mitarbeiter aus den betroffenen Ländern ab. Zwei Mitarbeiter in Liberia waren mit einem Infizierten in Kontakt gekommen, der später starb. Sie entwickelten bislang keine Symptome, befinden sich aber vorerst in Isolationsbehandlung.

Proteste gegen neue Isolationszentren

Neben der Krankheit stellen auch die Vorurteile weiterhin ein Problem dar. In Sierra Leone wurde ein Behandlungszentrum teilweise niedergebrannt, weil die Bewohner die dort gelagerte Medizin für die Ursache der Krankheit hielten. Immer wieder werden Mitarbeiter in ihrer futuristisch anmutenden, Körper und Gesicht abdeckenden Schutzkleidung attackiert.

In Liberias Hauptstadt Monrovia gab es Proteste gegen die Errichtung eines neuen Isolationszentrums. Die Region zählt zu den am wenigsten entwickelten der Welt, viele Menschen in den Dörfern können weder lesen noch schreiben. Gemeindemitarbeiter lehren deshalb Lieder wie dieses: "Es gibt keine Heilung, aber wir können diese Krankheit vermeiden. Lasst sie uns gemeinsam bekämpfen. Lasst uns unser Leben schützen, unsere Familien und unsere Nation."