Unser Tagesgestirn ist faul geworden. Auf seiner Oberfläche brodelt's kaum mehr. Forscher streiten, ob die stille Sonne sogar die Erderwärmung aufhält. Droht uns deshalb eine kleine Eiszeit?
Eiszeit 1
Die Sonne scheint zu ruhen, auf ihrer Oberfläche ist kaum etwas los. Dabei sollte es auf unserem Zentralgestirn brodeln. Denn vor Kurzem hat sein aktueller Aktivitätszyklus ein Maximum erreicht. Doch es entstanden gerade halb so viele Sonnenflecken wie auf dem Höhepunkt des vorangegangenen Zyklus. Die dunklen Magnetwirbel sind ein Maß für die solare Aktivität.

Dabei war die Sonne in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über mehrere Zyklen noch ungewöhnlich aktiv. Solarphysiker nennen solche Phasen „Große Maxima“.

Die derzeitige geringe Aktivität des kosmischen Glutofens hat für die Erde womöglich dramatische Folgen: Unser Planet könnte abkühlen. Vielleicht steckt die matte Sonne auch hinter einem anderen Phänomen, über das die Wissenschaftler seit Längerem rätseln: Etwa um das Jahr 2000 kam die globale Erwärmung zum Stillstand.


Tatsächlich glauben manche Klimatologen, dass der wahre Antreiber des Klimawandels unser Tagesgestirn ist. Einige warnen sogar vor einer neuen Kleinen Eiszeit. In dieser Kaltphase, die vom 15. bis ins 19. Jahrhundert auf der Erde das Regiment führte, froren in den Wintern regelmäßig die Gewässer zu, zweimal sogar die Ostsee.

Bislang war unklar, warum sich die Sonnenaktivität so sehr verändert. Jetzt fand eine internationale Arbeitsgruppe um den Geophysiker Ilya Usoskin von der finnischen Universität Oulu eine Erklärung. Die Forscher rekonstruierten den Aktivitätsverlauf der vergangenen 3000 Jahre. „Wie sich zeigte, arbeitet die Sonne in bestimmten Zuständen: einem normalen Modus, einem Modus für Große Minima und möglicherweise einem für Große Maxima“, schreiben sie in ihrer Studie.

Meist verharrt unser Zentralgestirn im normalen Modus.

In Großen Minima verbringt es ein Sechstel der Zeit, dabei ist es praktisch nicht aktiv. Ein weiterer Modus treibt die Großen Maxima an, doch er ist statistisch noch nicht gesichert. Tatsächlich trat er in der betrachteten Periode nur einmal auf, nämlich von 1950 bis 2009. Diese Phase könnte also ein Ausreißer sein, womöglich fällt die Sonne jetzt mit dem schwachen Zyklus in den Normalmodus zurück.

Usoskin vermeidet zwar Rückschlüsse auf die Entwicklung des Erdklimas. Auffällig ist aber, dass die globale Temperatur, die sich bereits seit über 100 Jahren erhöht, von 1975 bis 2000 am stärksten anstieg. Laut dem Weltklimarat IPCC war die 30-Jahres-Periode von 1983 bis 2012 auf der Nordhalbkugel die wärmste seit 1400 Jahren. Grob gerechnet, fällt dies mit dem jüngsten Großen Maximum zusammen.

Für die Physiker Zhao Xin Hua und Feng Xue Shang vom Center for Space Science and Applied Research der chinesischen Akademie der Wissenschaften ist dies kein Zufall. Sie entdeckten, dass die Erdtemperatur zyklisch solaren Einflussfaktoren wie der Fleckenzahl und der Einstrahlung von Sonnenlicht folgt. „Dies macht deutlich, dass die solare Aktivität eine nicht zu vernachlässigende treibende Kraft für die globale Erwärmung darstellt“, resümieren Zhao und Feng.

Dieses Ergebnis zeige, dass der Temperaturanstieg die natürlichen Klimafluktuationen nicht übersteigt, verlautbart dazu die Akademie. Die Modelle des IPCC würden den Einfluss natürlicher Faktoren unterschätzen, den der menschlichen Aktivitäten dagegen übertreiben.

Damit treffen die Chinesen einen wunden Punkt der Klimaforschung.

Denn seit der Jahrtausendwende steigt die Erdtemperatur kaum mehr an. Dabei sollte sich unser Planet den IPCC-Klimamodellen zufolge kontinuierlich weiter erwärmen, schließlich gelangen immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre.

Noch können die Klimatologen den Stillstand nicht schlüssig erklären. Allerdings weisen einige Analysen den Ozeanen eine Schlüsselrolle zu. So ergaben Messungen, dass sich unser Planet durchaus weiter erwärmt. Nur heizt die zusätzliche Energie nicht mehr seine Oberfläche, sondern wird von den Ozeanen aufgenommen. Die Ursache sind heftigere Passatwinde, die Meeresströme verändern, wodurch sich die Umwälzung der Wassermassen verstärkt. Warmes Oberflächenwasser gelangt dabei in die Tiefe.

Wieso die Passatwinde stärker wehen,ermittelten Klimatologen der australischen University of New South Wales. Ihrem Modell zufolge löst eine rapide Erwärmung des Atlantischen Ozeans große Luftdruckunterschiede zwischen Atlantik und Pazifik aus, die den Passat am Äquator beschleunigen. Die stärkeren Winde kühlen den tropischen Ostpazifik ab, was sich auch auf die Globaltemperatur auswirkt.

Andere Forscher machen einen erhöhten Salzgehalt im Nordatlantik und im Südpolarmeer für den Erwärmungsstillstand verantwortlich. Das schwere salzreiche Wasser sinkt beschleunigt ab. Dadurch strömt mehr warmes Wasser aus den Tropen heran, das dann ebenfalls in den Polargebieten absinkt. Dabei verfrachtet es die Wärme in tiefere Schichten.

Die neuen Studien dürften die Kontroverse um die Ursachen der globalen Erwärmung verschärfen. Denn sie relativieren die Rolle der Treibhausgase im Klimageschehen. Damit sind längst nicht alle Forscher einverstanden.

Der Astronom Sami Solanki etwa erklärt, auch eine verringerte Sonnenaktivität könne den von den Treibhausgasen verursachten Temperaturanstieg nicht stoppen. „Selbst bei Verhältnissen wie in den kältesten Phasen der Kleinen Eiszeit dürfte die Sonnenhelligkeit um nur 0,15 Prozent sinken.“ Dadurch steige die Erdtemperatur zunächst langsamer an, dann aber ebenso schnell wie bei einer normal hellen Sonne. In diesem Fall wären die Treibhausgas-Emissionen sogar ein Segen, denn sie könnten zumindest verhindern, dass sich eine neue Kaltzeit einstellt.