Langsam, aber sicher dämmert es Europa, dass es unter den Folgen der westlichen wirtschaftlichen und finanziellen Blockade Russlands selbst am meisten zu leiden hat. Und nachdem Deutschland dies nun Ende 2014 einräumte, als seine Wirtschaft an Kraft einbüßte und das Land nun am Rande einer Rezession steht, stimmen nun auch andere Länder in diesen Chor ein.

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Eines der jüngsten Beispiele: Der frühere EU-Kommissionschef und ehemalige italienische Ministerpräsident Romano Prodi erklärte am 4. Januar in einem Kommentar in der Zeitung Il Mesaggero, eine schwache russische Wirtschaft sei für Italien »höchst unprofitabel«. Die niedrigeren Preise auf den internationalen Energiemärkten hätten zwar für die italienischen Verbraucher auch positive Effekte, da sie nun weniger Geld für Treibstoffe und Heizöl ausgeben müssten, aber dies sei nur kurzfristig der Fall.

Auf lange Sicht würde sich die aufgrund der niedrigen Erdöl- und Erdgaspreise schlechtere Wirtschaftsentwicklung in den Ländern, die zu den Energierohstofflieferanten gehörten - insbesondere Russland - , als höchst unprofitabel für Italien erweisen, so Prodi, und weiter:
»Der Absturz der Öl- und Gaspreise trifft mit den Auswirkungen der Sanktionen zusammen, die die EU infolge der Krise in der Ukraine gegen Russland verhängt hat. Das russische Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr um etwa fünf Prozent sinken, was zu einem Einbruch der italienischen Exporte nach Russland um 50 Prozent führen wird. Ohne darauf eingehen zu wollen, ob die Sanktionen nützlich oder notwendig waren, sollte betont werden, dass die Sanktionen asymmetrisch ausfielen und trotz einer fast 50-prozentigen Abwertung des Rubel gegenüber dem Dollar die amerikanischen Exporte nach Russland immer noch steigen, ganz im Gegensatz zu jenen aus Europa.«
Die Welt beginnt mit anderen Worten, wenn auch nur langsam, das Entscheidende zu verstehen: Es geht nicht um das westliche finanzielle Engagement in Russland oder die Gefahr einer »Ansteckung«, sollte Russland in eine schwerere Rezession oder Schlimmeres eintreten - es geht um etwas sehr viel Einfacheres, das den europäischen Ländern den größten Schaden zufügen wird: den Einbruch des Handels.

Die Zentralbanken können zwar praktisch unbegrenzt »Geld schöpfen«, was in der Vergangenheit [Quantitative Lockerung] zu einer beispiellosen Vermögensblase führte, die, wenn auch nur zeitweilig, das Vertrauen der Anleger und Verbraucher steigen ließ, aber sie können keinen Handel »schöpfen«, der doch der wichtigste Wachstumsmotor in einer globalisierten Welt bleibt. Und das schon war, lange bevor die Zentralbanken dazu übergingen, mehr als eine Billion Dollar alljährlich zu »schöpfen«, um die Tatsache zu verschleiern, dass sich die Weltwirtschaft in einer weltweiten Depression befindet.

Aus diesem Grund haben wir auch mit großem Interesse gestern auf der Internetseite Deutsche Wirtschaftsnachrichtenden Artikel »Schachzug gegen die USA: Russland rät EU zum Ausstieg ausdem TTIP« zur Kenntnis genommen, weil er genau das Wesentliche erfasst. Im Kern geht es dabei darum, dass Russland Europa den alles andere als gemäßigten Vorschlag unterbreitet: Steigt aus dem Handel mit den USA aus, die dazu aufrufen, Russland müsse für seine Politik »bezahlen«. Die Kosten allerdings schlagen für Europa mit einem weiteren Jahr eines sinkenden Wirtschaftswachstums zu Buche. Schließt euch doch stattdessen der Eurasischen Wirtschaftsunion an! In dem Artikel heißt es weiter:
»Russland hat einen überraschenden Vorschlag zur Überwindung der Spannungen mit der EU präsentiert: Die EU solle auf das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA verzichten und stattdessen eine Partnerschaft mit der neu geschaffenen Eurasischen Wirtschaftsunion eingehen. Eine Freihandelszone mit den Nachbarn sei sinnvoller als ein Deal mit den USA.«
Das wäre mit Sicherheit der Fall, aber wie soll dann Europa [in Zukunft] Verärgerung vortäuschen, wenn die NSA wieder einmal dabei erwischt wird, die »engsten Handelspartner« der USA auszuspionieren? Die Internetseite EUObserver schreibt in diesem Zusammenhang:
»Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow erklärte gegenüber EuObserver: ›Wir schlagen vor, so rasch wie möglich offizielle Kontakte zwischen der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) aufzubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich dazu vor nicht allzu langer Zeit bereits geäußert. Die EU-Sanktionen gegen Russland stellen in diesem Zusammenhang keine Behinderung dar. Der gesunde Menschenverstand rät uns dazu, die Möglichkeit eines gemeinsamen Wirtschaftsraums in Eurasien in Erwägung zu ziehen. Dies schließt die wichtigsten Länder der Östlichen Partnerschaft diese Politik der EU zielt auf engere Beziehungen zu Armenien, Aserbeidschan, Weißrussland, Georgien, Moldawien und die Ukraine ab mit ein.

Wir können uns sogar eine Freihandelszone vorstellen, die alle interessierten Länder in Eurasien umfasst.‹

Er bezeichnete den neuen, von Russland angeführten Block als einen besseren Partner für die EU als die USA und leistete sich einen Seitenhieb auf die Gesundheitsstandards der amerikanischen Nahrungsmittelindustrie. ›Halten Sie es für vernünftig, so viel politische Energie auf eine Freihandelszone mit den USA zu ver(sch)wenden, wenn es doch in Ihrer Nachbarschaft einen sehr viel natürlicheren Partner gibt? Zudem gibt es bei uns keine Chlorhühnchen‹, sagte der Botschafter.

Der Vertrag zur Errichtung einer Eurasischen Wirtschaftsunion trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Ihr gehören Armenien, Weißrussland, Kasachstan und Russland an. Kirgisistan wird im Mai dazu stoßen.

Nach dem Vorbild der EU verfügt die Union über ein Exekutivorgan, die Eurasische Wirtschaftskommission mit Sitz in Moskau, und eine politische Körperschaft, den Obersten Eurasischen Wirtschaftsrat, in dem die Staatschefs der Mitgliedsstaaten auf der Grundlage der Einstimmigkeit Entscheidungen treffen.

Innerhalb der Wirtschaftsunion herrschen Freizügigkeit für Arbeitnehmer und ein Binnenmarkt für die Bereiche Bauwesen, Einzelhandel und Tourismus. Im Verlauf der nächsten zehn Jahre soll in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein Gerichtshof und in der kasachischen Hauptstadt Astana eine Finanzregulierungsbehörde eingerichtet werden. Möglicherweise sollen Niederlassungen der Eurasischen Wirtschaftskommission in Astana, in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, in Minsk und in der armenischen Hauptstadt Jerewan eröffnet werden.

Darüber hinaus ist freier Verkehr von Kapital, Gütern und Dienstleistungen geplant, und der Binnenmarkt soll auf 40 weitere Wirtschaftsbereiche ausgedehnt werden. Als nächstes wird 2016 der Markt für pharmazeutische Produkte vereinheitlicht werden.«
Nur zur Erinnerung: Die Eurasische Wirtschaftsunion, ein Handelsblock früherer Teilrepubliken der Sowjetunion, schließt seit Freitag auch Armenien mit ein, nachdem die EAWU mit Russland,Weißrussland und Kasachstan formell am 1. Januar ihre Arbeit aufnahm.

Jetzt liegt es an Dir, Europa: Wird es zu einer so genannten Tripple-Dip-Rezession (einer Aufeinanderfolge von Rezession und kurzem Aufschwung auf immer niedrigerem Niveau) und später vielleicht sogar zu einer Quadruple-Rezession (man nehme das Beispiel Japan) kommen, in der die von Goldman kontrollierten europäischen Zentralbanken auch noch das Allerletzte aus dem verbliebenen Wohlstand des Mittelstandes herauspressen und dabei Stein und Bein schwören, dass in diesem Jahr mit Sicherheit und diesmal wirklich die wirtschaftliche Wende kommen wird - oder aber wird Europa zu dem Schluss kommen, dass es diesmal endgültig genug hat, und seinen strategischen und Handels-Schwerpunkt vom Westen (im Zusammenhang mit dem TTIP erklärte der deutsche Gesundheitsminister Hermann Gröhe kürzlich, man könne nicht jede Wurst schützen) in Richtung Osten verlagern?

Bedenken wir noch kurz, wessen Interessen die demokratisch nicht legitimierten Bürokraten in Brüssel tatsächlich vertreten, so sollte uns die Antwort nicht überraschen.