Immer mehr Beschäftigte in Deutschland nehmen Medikamente, um im Job leistungsfähiger zu sein. Was sind das für Menschen und was kann das für Folgen für die Gesellschaft haben?
doping, ich bin gedopt
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Bis zu fünf Millionen Beschäftigte haben sich nach Expertenschätzungen schon mit verschreibungspflichtiger Arznei gedopt, um im Job leistungsfähiger oder besser gegen Stress gewappnet zu sein. Im Vergleich zu 2008 habe ihre Zahl damit um mehr als 40 Prozent zugenommen, heißt es im aktuellen Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK. Deren Vorstandschef Herbert Rebscher nennt diese Befunde „ein Alarmsignal“.


Kommentar: Das Alarmsignal - Stress - existiert schon seit vielen, vielen Jahren und wie so oft, wird nichts dagegen getan. Warum? Denn das würde die Produktionsleistung senken und das möchten Psychopathen in Führungspositionen nicht - außerdem sollen Menschen nicht zum nachdenken kommen, deshalb ist das Hamsterrad Arbeitsplatz ein Mittel zum Zweck.


Wie verbreitet ist der Missbrauch von Medikamenten zum Hirndoping in Deutschland?

Regelmäßig - das heißt mindestens zweimal im Monat - konsumieren sie der Studie zufolge knapp eine Million Beschäftigte.

Wobei die absolute Zahl aus Expertensicht nicht so problematisch ist wie die dahinter stehende Entwicklung: Seit der letzten Erfassung vor sechs Jahren erhöhte sich die Zahl der Arbeitnehmer, die solche Arznei nach eigenen Angaben schon zum Doping verwendet haben, von 4,7 auf 6,7 Prozent - das ist eine Steigerung um 42,5 Prozent. 3,2 Prozent gaben an, die Substanzen im vergangenen Jahr konsumiert zu haben, regelmäßigen Missbrauch räumten 1,9 Prozent ein. Da sich viele nur ungern selbst bezichtigen, ist aus Expertensicht von einer fast doppelt so hohen Zahl auszugehen. Die Dunkelziffer liege bei bis zu zwölf Prozent. Und von denen, die bisher noch nicht zu solchen Mitteln gegriffen haben, schließt dies auch jeder Zehnte für die Zukunft nicht aus. Besonders verbreitet ist so genanntes Hirndoping übrigens an den Universitäten. Schätzungen zufolge behilft sich jeder fünfte Studierende mit Medikamenten zur Leistungssteigerung. Zugrunde liegen der Analyse die Arzneimitteldaten von 2,6 Millionen Versicherten, zudem wurden 5000 Berufstätige zwischen 20 und 50 befragt.


Welche Beschäftigten nehmen solche Mittel und aus welchen Gründen tun sie das?

Sie reagieren damit auf Leistungsdruck, Stress und Überlastung. Dabei geht es nicht nur ums körperliche Durchhalten, etwa bei Nacht- und Schichtarbeit, sondern zunehmend auch um kognitive und psychische Anforderungen. Und neben objektiv messbarer Arbeitsverdichtung und verlangter Dauerverfügbarkeit spielt auch der Druck, den sich die Beschäftigten selber machen, eine wesentliche Rolle. Vor allem Männer äußerten die Hoffnung, mit Hilfe solcher Medikamente besser Karriere machen zu können - und nach der Arbeit auch noch genug Energie für Freizeit und Partner zu haben. Frauen werfen eher Pillen ein, damit ihnen die Arbeit „leichter von der Hand“ geht und sie emotional belastbarer sind. Am häufigsten greifen dabei zwei Gruppen zu Psychopharmaka: Beschäftigte, die an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten und solche, die viel mit Kunden zu tun haben. Und die meisten Doper, nämlich vier von zehn, gaben an, die Helferchen aus der Apotheke vor allem bei konkreten Anlässen einzuwerfen - vor Prüfungen, Präsentationen, schwierigen Verhandlungen oder Gesprächen. Das Klischee vom dopenden Topmanager und Super-Kreativen allerdings wurde nicht bestätigt. Im Gegenteil: Je unsicherer der Job und je einfacher das Tätigkeitsniveau, desto schneller der Griff in den Medizinschrank. Von den Beschäftigten mit einfacher Tätigkeit gaben 8,5 Prozent an, sich damit schon mal beholfen zu haben, von den hochqualifizierten Führungskräften waren es nur 5,1 Prozent. „Je höher die Hierarchie, desto geringer das Problem“, sagt Rebscher.


Um welche Substanzen geht es und was bewirken sie?

Vor allem kommen fünf Arzneigruppen zum Einsatz. Am häufigsten geschluckt, ohne medizinisch notwendig zu sein, werden Wirkstoffe gegen Angst, Nervosität und Unruhe (60,6 Prozent) und gegen Depressionen (34 Prozent). Jeder achte Doper versucht, mit Tabletten seine Schläfrigkeit zu bekämpfen, gut elf Prozent wappnen sich mit Betablockern für Herzerkrankungen vor Stress und Lampenfieber. Allerdings dämpfen Arzneiexperten die Erwartungen. „Eine Wunderpille gibt es nicht“, stellt Klaus Lieb, Psychiater und Psychotherapeut an der Uni-Klinik Mainz, klar. Oft zeigten die Medikamente „nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit“. Und dieser kleine Nutzen wiege die gesundheitlichen Risiken nicht auf. Sie reichten von körperlichen Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Nervosität und Schlafstörungen bis hin zu psychischen Störungen, Persönlichkeitsveränderungen und Medikamentenabhängigkeit. Alternativen wären aus Expertensicht unter anderem Sport, Meditation, bessere Arbeitsorganisation und genug Schlaf.

Wie kommt man an solche Medikamente?

In den meisten Fällen direkt über den Arzt. 53,8 Prozent der Doper besorgen sich die verschreibungspflichtigen Medikamente mit gewöhnlichem Rezept aus der Apotheke. Offenbar sind viele Mediziner bereit, ihren Patienten auch ohne einschlägige Erkrankung mit solchen Mitteln bei Berufsstress oder Prüfungsangst zu helfen. Die mit Abstand meisten Verordnungen ohne nachvollziehbare Diagnose, nämlich 82,6 Prozent, gibt es für den Wirkstoff Piracetam, der gewöhnlich gegen Demenz und hirnorganisch bedingte Leistungsstörungen verschrieben wird. Auch Modafinil und Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, gibt es häufig ohne medizinische Notwendigkeit auf Rezept - Mittel , die vor allem zur Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung ADHS gedacht sind. 14,1 Prozent der Konsumenten bekommen die Leistungssteigerer und Stimmungsverbesserer aber auch über Kollegen, Freunde oder Familienmitglieder, fast ebenso viele beziehen sie über Privatrezepte. Der Rest wird über Versandapotheken, Muster vom Arzt oder sonstige graue Kanäle bezogen - zunehmend vor allem übers Internet.

Welche Folgen hat das Hirndoping für Arbeitswelt und Gesellschaft? Geht es bald gar nicht mehr ohne?

Dazu wurden Experten aus Medizin, Bioethik, Suchtforschung und Sozialwissenschaften befragt. Und aus ihrer Sicht besteht tatsächlich die Gefahr einer „pharmakologischen Aufrüstung“. Wenn immer mehr Menschen ihre Leistungsfähigkeit so zu steigern versuchten, könne auch der Einzelne, der mithalten wolle, kaum noch darauf verzichten. Allerdings sei dies nur zu befürchten, wenn die Wirksamkeit der verwendeten Substanzen steige. Die Konsumenten drohten in eine „Leistungssteigerungsspirale“ mit negativen Folgen für die Lebenszufriedenheit zu geraten, warnt etwa der Freiburger Medizinethiker Joachim Boldt. Und gesamtgesellschaftlich sei zu befürchten, dass man ihnen immer effizientere und kostengünstigere Arbeitsabläufe abverlange, statt sich „an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten“. Die Idee, bestimmten Berufsgruppen (etwa Kampffliegern im Militär) die Verwendung zu erlauben, halten die befragten Experten für abwegig, weil dies gegen Gesundheits- und Arbeitsschutz verstoße. Doping- Verbote mit gezielten Kontrollen etwa an Schulen und Universitäten seien jedoch kaum durchsetzbar.