Es passiert im Kongo, es passiert im Irak und im Südsudan. Es passierte auf dem Balkan und im Zweiten Weltkrieg. Die massenhafte Vergewaltigung von Frauen gehört seit jeher zur finsteren Realität von Kriegen. Doch meistens wird dieser Teil der Barbarei verschwiegen. Und manchmal - so wie am Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland − wird nur ein Teil davon erzählt, wenn überhaupt.
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Es ist der »korrekte Teil« sozusagen, in diesem Fall die von »animalischen Rotarmisten« in der späteren sowjetischen Besatzungszone begangenen Massenvergewaltigungen. Die Wahrheit ist: In den drei westlichen Zonen fanden solche Vergewaltigungen einmarschierender Truppen an deutschen Frauen ebenfalls statt.

Manchmal sogar tage- oder wochenlang, wie die Historikerin und Journalistin Miriam Gebhardt in ihrem Buch Als die Soldaten kamen auf einfühlsame Weise bedrückend darlegt.

»Die Linse, durch die wir auf diese Zeit schauen, muss mal dringend geputzt werden«, stellt die Autorin in dem fesselnd geschriebenen Buch auf Basis ebenso geduldiger wie akribischer Archiv-Recherche fest. Dokumente zu den Gräueln an Frauen im und nach dem Krieg sind rar, musste Gebhardt feststellen. Und kaum jemand ist davon überrascht.

Doch Gebhardt hat herausgefunden, dass es vor allem Pfarrer waren, die in ihren Notizen am Ende des Zweiten Weltkrieges die Vergewaltigungen deutscher Frauen aufzeichneten. Denn viele der Opfer wandten sich damals an die Kirche und suchten in deren Räumen Unterschlupf.

Gebhardt fragt sich am Anfang ihres Buches, wie es kam, dass sie 70 Jahre nach dem Ende des Weltkriegs solches Interesse daran entwickelte, in dieses »finstere Tal hinabzusteigen« und den Vorwurf zu riskieren, sie rechne die Verbrechen der Nazis mit den Taten der Alliierten auf.

Frühere Versuche, das Thema Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Krieges aufzuarbeiten, hätten zudem gezeigt, dass in vielen Fällen der Glaubwürdigkeit der Opfer misstraut wurde.

Der wichtigste Grund für Gebhardt, dieses unterdrückte und verschwiegene Thema anzupacken, ist ihre Erkenntnis, »dass ein erheblicher Teil der Betroffenen überhaupt nie als Opfer anerkannt worden ist«. Das Ausmaß der sexuellen Verbrechen an Frauen zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist gewaltig. Es könnte unter Einbeziehung von Dunkelziffern in die Millionen gehen.

Nach Gebhardts Berechnungen »wurden mindestens 860 000 Frauen (und auch etliche Männer) im Nachkrieg vergewaltigt«. Mit 190 000 davon ist laut Schätzung der Autorin fast jede vierte Frau Opfer einer sexuellen Gewalttat durch amerikanische Soldaten geworden. − Von den Opfern sei jedoch nie gesprochen worden.

Aus Gründen, die man nicht gutheißen, aber nachvollziehen kann: In der damaligen DDR kehrte das Regime die »Untaten des ›Großen Bruders‹ gezielt unter den Teppich«. Im Westen Deutschlands wurde gleichzeitig über das Treiben der »Befreier«, die den Massenmord der Nazisbeendeten − und den Vernichtungskrieg stoppten − tunlichst hinweggesehen.

Schlimmer noch: Vielen Frauen in der englischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone wurde unterstellt, den westlichen Soldaten zugetan gewesen zu sein und »fraternisiert« zu haben. Frauen, so wurde unterstellt, seien in der Armut und dem Elend nach dem Krieg leicht zu haben gewesen, oft für eine Tafel Schokolade.

Die meisten Deutschen glauben heute, so Gebhardt, »die kriegsbedingte sexuelle Gewalt sei ein Problem der Sowjetsoldaten gewesen, während die anderen Alliierten eher vor liebestollen deutschen Frauen geschützt werden mussten«.

Mitverantwortlich für diese völlig an der Realität vorbeigehende Sichtweise sind aber nicht nur Ideologie und einseitige Aufarbeitung − begünstigt durch eine miserable Dokumentenlage - erklärt Gebhardt. Eine Mitschuld trage auch das Fehlen systematischer Aufarbeitungsversuche mit einem größeren Publikum.

Demnach gab es bisher mit dem Tagebuch Anonyma sowie einem Problemaufriss der Feministin und Filmemacherin Helke Sander aus den 90er-Jahren nur zwei Aufarbeitungsversuche, die ein größeres Publikum erreichen konnten.

Miriam Gebhardts Buch hat es definitiv verdient, den noch fehlenden Durchbruch zu schaffen und diese gravierende historische Lücke zu schließen. Ohne reißerisch zu sein oder einseitig zu wirken, dokumentiert die Autorin über lange Strecken nach Besatzungszonen gegliedert schier unvorstellbare Grausamkeiten. Sie wird dabei nie voyeuristisch.

Im zweiten Kapitel über Berlin und den Osten schildert sie, wie sowjetische Truppen im Januar 1945 im westpreußischen Elbing in einer lokalen Volksschule eigens Zimmer für Vergewaltigungen einrichteten und zwei Mal am Tag Frauen in diese »Höllenräume« mitnahmen, um sie zu vergewaltigen.

Nach der bestialischen Orgie wurden 800 Männer und Frauen aus dem Ort zu einem »Todesmarsch« in die 21 Kilometer entfernte Stadt getrieben. Auf dem Weg dorthin kamen drei Viertel von ihnen ums Leben.

In einem anderen Teil des lesenswerten Buches mit der Überschrift »Niemandszeit« schildert Gebhardt, wie am Kriegsende die amerikanischen Truppen Moosburg an der Isar einnahmen. Das Städtchen liegt unweit des heutigen Flughafens am Erdinger Moos.

Eine friedliche Übergabe der Stadt durch den Bürgermeister wurde durch die Waffen-SS sabotiert. Während die Einwohner in den Kellern kauerten, begannen die Amerikaner sich zu rächen.

Sie plünderten systematisch die ganze Stadt. Beim Pfarrer liefen umgehend die ersten Berichte von Vergewaltigungen ein. Die Militärregierung befahl damals, Listen mit Namen und Alter aller Hausbewohner an den Eingängen anzubringen. Es war eine offene Einladung an die Soldaten, sich die Frauen zu holen, wie sich sehr bald zeigte.

Miriam Gebhardt nimmt mit diesem Buch nicht nur kunstvoll die Perspektive der Opfer ein, sie widmet auch ein ganzes Kapitel den Folgen, die die sexuellen Gewalttaten am Ende des Krieges hatten. Sie beschreibt eindrücklich, wie die vergewaltigten Frauen in späteren Jahren immer wieder zu Opfern wurden: von Ärzten, die Abtreibungen willkürlich befürworteten oder ablehnten, von Sozialfürsorgern, die Schwangere in Heime steckten, von Juristen, die Entschädigungen verweigerten. Und kollektiv auch von einer ganzen Gesellschaft, die bis in unsere Tage die massenhaft verübten Verbrechen am liebsten verschweigen und verdrängen würde.

Miriam Gebhardt hat diese fortgesetzte Unterdrückung der Wahrheit mit dem bewegenden und fabelhaft recherchierten Buch beendet.

Miriam Gebhardt; Als die Soldaten kamen; Gebunden, 350 Seiten