Zwei neue Enthüllungen zeigen die enge Verflechtung zwischen US-Geheimdiensten und deutschen Behörden. Demokratische und rechtliche Standards spielen in der „transatlantischen Partnerschaft“ keine Rolle -

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Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND hat, so berichtet das Nachrichtenmagazin Spiegel, offenbar über mehrere Jahre im Auftrag der US-amerikanischen NSA rechtswidrig Ziele in Deutschland und Europa ausspioniert. Diese Praxis habe so funktioniert: Der US-Geheimdienst lieferte für die Aufklärung „Selektoren“, die in die Systeme des Bundesnachrichtendienstes eingespeist wurden und Ziele, über die Daten gesammelt werden sollten, markierten. „Mindestens seit 2008“, so der Spiegel, sei dabei dem Bundesnachrichtendienst aufgefallen, dass einige dieser Selektoren nicht durch die rechtlichen Grundlagen, die die Zusammenarbeit mit „befreundeten“ Diensten regeln, abgedeckt seien. In den Fokus geraten seien Ziele, die bei noch so weiter Auslegung nichts mit der Terrorismusbekämpfung, die als Deckmantel dieser Kooperation fungiert, zu tun haben: Europäische Rüstungskonzerne wie EADS und Eurocopter, französische Behörden, Politiker. (1) Insgesamt soll es um 40 000 Fälle gehen, bei denen Daten ohne jeden Bezug zur Terrorbekämpfung auf Ansuchen der NSA abgefragt wurden.

Obwohl der Bundesnachrichtendienst zumindest bei einigen Selektoren seit längerem wusste, dass sie von keiner rechtlichen Grundlage gedeckt sind, wurde, soweit das bis dato einsehbar ist, nicht die mit der Aufsicht des Geheimdienstes betraute Behörde, also nicht das Bundeskanzleramt, sondern die NSA selbst konsultiert. Zwar behauptet der Leiter der Behörde, Gerhard Schindler, erst im März 2015 von den Abfragen erfahren zu haben, die Glaubwürdigkeit dieser Beteuerung kann man aber mit gutem Grund in Zweifel ziehen.

Ermittlungen wegen Landesverrat gefordert

Will der BND uns für dumm verkaufen? Dass bei 40.000 Suchbegriffen niemand mehr die Übersicht darüber hat, dass alles streng nach Recht und Gesetz vor sich geht, liegt doch auf der Hand“, kritisiert die Linkspartei-Abgeordnete Ulla Jelpke gegenüber Hintergrund die Stellungnahmen seitens der Behörde. „Private Hacker wären schon längst im Knast, würden sie bei solchen Machenschaften erwischt, wie sie jetzt dem BND nachgewiesen wurden. Es zeigt sich, dass Deutschland keineswegs Opfer der NSA-Spionage ist: Es ist vielmehr Komplize dieses Anschlags auf die Bürgerrechte.“ Der Bundesnachrichtendienst sei „eine kriminelle Vereinigung, die man schnellstmöglich ausschalten muss.“

Ähnlich äußerte sich der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi. Was nun bekannt wurde, sei ein „ein einzigartiger Skandal“. „Endlich muss dem Treiben der NSA in Deutschland und dieser Art der Zusammenarbeit ein Ende gesetzt und das Duckmäusertum gegenüber der US-Administration aufgegeben werden.“ Der Linke-Politiker forderte die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens, die Beweissicherung müsse „sofort“ erfolgen. „Ich sage es noch einmal: Es geht um Landesverrat. Es geht um geheimdienstliche Tätigkeit, möglicherweise gegen deutsche Interessen, gegen deutsche Unternehmen, zumindest Unternehmen mit deutscher Beteiligung, gegen befreundete Politikerinnen und Politiker.“

Die Generalbundesanwaltschaft, so berichtete am heutigen Freitag die Bild-Zeitung, habe bereits begonnen, eine „Prüfvorgang“ einzuleiten. „Mit Blick auf eine umfassende Sachverhaltsaufklärung“ beabsichtige die Behörde „im Rahmen dieses Prüfvorgangs auch die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages einzubeziehen”, zitiert das Blatt eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. (2)

Dass derartige Ermittlungen, so richtig sie sein mögen, zu einem Ende der höchst dubiosen Kooperation von deutschen und US-Diensten jenseits jeglicher rechtlicher sowie moralischer Maßstäbe führen würden, ist nicht wahrscheinlich. Der Kern des Problems ist kein juristischer, sondern ein politischer. Solange die „transatlantische Partnerschaft“ als das in jedem Fall zu wahrende höchste Gut deutscher Außenpolitik gilt, hat die Bundesregierung keinerlei Druckmittel, um ein Ende dieser Spionagetätigkeit zu erzwingen - wenn sie das überhaupt will und die öffentlichen Bekundungen, wie schockiert man nun sei, nicht ohnehin nur Heuchelei sind.

Beihilfe zum Mord in Ramstein

Wie wenig an tatsächlichen Konsequenzen zu erwarten ist, verdeutlicht ein kleiner Ort nahe Kaiserslautern: Der US-Militärflugplatz Ramstein. Dieser bildet die Kulisse des zweiten jüngsten Skandals transatlantischer Provenienz. Wie das unter anderem von Glenn Greenwald betriebene Enthüllungsportal "The Intercept" kürzlich nachwies, ist die auf deutschem Territorium gelegene Einrichtung sämtlichen Beschwichtigungen deutscher wie amerikanischer Stellen zum Trotz essentiell für die weltweiten Drohnenoperationen der Washingtoner Regierung. Wie geleakte Geheimdienst-Dokumente zeigen, könnte ohne Ramstein jener global geführte Krieg ohne Ramstein kaum stattfinden. „Ramstein vermittelt das Signal, das der Drohne sagt, was sie tun soll und schickt die Anzeige, was die Drohne sieht, zurück. Ohne Ramstein könnten die Drohnen nicht funktionieren, zumindest nicht, wie sie es jetzt tun“, kommentiert eine anonyme Quelle mit Kenntnissen zum US-Drohnenprogramm gegenüber "The Intercept". (3)

Auch hier lässt sich eine Praxis beobachten, die, hält man sich an deutsches Recht, eigentlich nicht sein dürfte. Den gezielten Tötungen mittels unbemannter Flugobjekte, von der USA massenhaft im angeblichen „Krieg gegen den Terror“ eingesetzt, fallen nicht nur tausende Zivilisten zum Opfer, sie sind auch klar völkerrechtswidrig, wenn von ihnen außerhalb von Kriegsgebieten gebrauch gemacht wird. „Das ist schlicht Mord“, konstatierte Björn Schiffbauer vom Institut für Völkerrecht der Universität Köln vor kurzem im Gespräch mit dem Spiegel. Da in den Vereinigten Staaten keine Strafverfolgung stattfinden wird, müssten deutsche Behörden tätig werden: „In diesem Fall darf nicht nur ein deutscher Staatsanwalt tätig werden, er muss es sogar.“ (4)

Dass auch hier keine wirklichen Konsequenzen zu erwarten sind, legte schon die Reaktion der Bundesregierung nahe, als die Rolle Ramsteins für den Drohnenkrieg im Mai 2013 von ARD und Süddeutscher Zeitung thematisiert wurde. Damals lagen die nun zugänglichen Geheimdokumente nicht vor, man konnte also beschwichtigen, herunterspielen und dementieren, wie es geboten schien. Diese Strategie scheint man auch nach den neuesten Erkenntnissen weiter verfolgen zu wollen. Regierungssprecher Steffen Seibert wiederholte das Mantra, die US-Administration habe versichert, „dass von amerikanischen Stützpunkten in Deutschland aus Einsätze bewaffneter ferngesteuerter Luftfahrzeuge weder geflogen noch befehligt werden“. „Anderlautende Erkenntnisse“ liegen der Bundesregierung nicht vor, und offenkundig reicht auch die Beteuerung der Täter, um der Geschichte nicht weiter auf den Grund gehen zu müssen. „Mit dem Abwiegeln bleibt Berlin sich treu“, stellte der Spiegel fest. (5)

Konsequenzen? Keine.

Der jüngste BND-Skandal ist nicht der erste dieser Art. Die Kooperation in Sachen Drohnenkrieg ist nicht die einzige dieser Art. Werden die Enthüllungen dieses Mal Folgen zeitigen? Wohl kaum. Den kaum zu übersehenden Grund formulierte Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst anlässlich der Debatte um Waffenlieferungen in die Ukraine: „Das ist eine Partnerschaft, die über allen anderen Partnerschaften steht. Die transatlantische Partnerschaft ist für Deutschland unverzichtbar, und ich glaube, ich darf das auch für die Europäer sagen.“

Diese „Partnerschaft“ schließt auf geheimdienstlicher Ebene seit der unmittelbaren Nachkriegszeit Stellen ein, die sich seit langem jeder demokratischen Kontrollmöglichkeit entledigt haben. BND wie NSA sind Staaten im Staat, die sich, so gut es geht, jeder externen Kontrolle entziehen. „In der NSA pflegte man zu sagen: Regierungen kommen und gehen, selbst unsere Direktoren kommen und gehen, aber wir sind immer noch da. Das geht über alle Beschränkungen, die den Diensten durch die Regierungen oder die Verfassung auferlegt werden. Es geht darum, die Fähigkeit, so ungehindert wie möglich zu operieren, aufrechtzuerhalten. Und all das wird im Geheimen gemacht“, erklärte der Whistleblower und frühere NSA-Mitarbeiter Thomas Drake gegenüber . Ähnlich handelt auch der BND. Um ein undemokratisches und rechtswidriges Verhalten von Institutionen dieser Art zu verhindern, reichen weder öffentliche Empörungsgesten von Regierungspolitikern, noch die Entfernung einzelner Repräsentanten der jeweiligen Behörde. Es gäbe nur einen Weg: Diese Institutionen müssten aufgelöst werden. (6)