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© CorbisZwei gegen einen: Leider keine untypische Situation in Schulen
Gewalt gegen Kinder bekämpfen wir zu Recht. Womöglich wird dabei aber ein Faktor unterschätzt: Verletzungen, die sich Kinder gegenseitig zufügen. Eine neue Studie zeigt, wie schlimm die Folgen von Mobbing sein können.

Was ist eine schöne Kindheit? Das fragen sich Eltern heutzutage eigentlich ständig - und eine Sache wird dabei fast immer erwähnt: Kinder sollen ohne Gewalt aufwachsen. Ganz egal ob es dabei um Prügelstrafen geht, andere Arten von Misshandlungen oder gar sexuellen Missbrauch.

Doch laut einer nun im Fachblatt Lancet publizierten Studie muss die Umschreibung der erstrebenswerten Kindheit wohl erweitert werden. Zu den Grundvoraussetzungen gehört demnach auch, dass Kinder und Jugendliche von Gleichaltrigen nicht gemobbt werden, berichten Dieter Wolke und seine Kollegen von der University of Warwick bei Coventry, England.

Die Psychologen untersuchten, welche Auswirkungen Misshandlungen durch Erwachsende und Mobbing zwischen Gleichaltrigen auf die mentale Gesundheit Heranwachsender haben. Sie fanden heraus, dass Mobbing offenbar folgenschwerer für die Psyche ist. Die Wahrscheinlichkeit, im Alter von 18 Jahren eine Depression zu entwickeln oder sich selbst zu verletzen, sei bei Mobbingopfern größer als bei Misshandlungsopfern, berichten die Forscher.

Problem Mobbing angehen

"Bislang fokussieren sich Behörden viel stärker auf Misshandlungen in der Familie als auf Mobbing", sagt Wolke. Dabei wisse man aus diversen Studien, dass jedes dritte Kind weltweit Mobbing erlebe und dass dies später im Leben ebenfalls zu psychischen Problemen führen kann. Der ungleiche Umgang mit Gewalt im Elternhaus und Gewalt unter Gleichaltrigen müsse beendet werden, fordert der Psychologe. "Es ist unerlässlich, dass Schulen, Gesundheitsämter und andere Behörden eng zusammenarbeiten, um das Problem Mobbing anzugehen."

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© imagoPrügelei auf Schulhof (Archivbild): "Mobbing wurde sicher lange unterschätzt"
Die neue Untersuchung basiert auf zwei Langzeitstudien mit fast 5500 Kindern und Jugendlichen in Großbritannien und den USA. Die britische Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) umfasst 4026 Kinder. Bei ALSPAC wurden auch die Eltern zu möglichen Misshandlungen ihrer Kinder befragt. Die Kinder wiederum mussten im Alter von 8, 10 und 13 einen Standardfragebogen über Mobbing ausfüllen. Die 1420 Teilnehmer der Great Smoky Mountain Studies (GSMS) in den USA waren im Alter von 9 und 16 Jahren über erfahrene Misshandlungen und erlebtes Mobbing befragt worden.

Um die mentale Gesundheit der 5500 Studienteilnehmer zu bestimmen, werteten die Forscher alle verfügbaren ärztlichen Informationen über psychische Probleme und Erkrankungen im Alter von 18 Jahren aus. Dazu gehörten Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und Suizidgefahr.

Wahrscheinlichkeit für Angststörung 10 Prozent

"Die Studie macht deutlich, welche Bedeutung Mobbing für Jugendliche hat", sagt Ingo Schäfer von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. "Das Thema Mobbing wurde sicher lange unterschätzt." Sein starker negativer Einfluss auf die Psyche sei allerdings in Studien vergangener Jahre immer deutlicher geworden.

Die Daten der Probanden haben die gleiche Tendenz - doch scheint der Einfluss von Mobbing auf das Seelenheil 18-Jähriger in den USA größer zu sein als in Großbritannien. Ein Beispiel: Bei den britischen Jugendlichen lag die Wahrscheinlichkeit für eine Angststörung bei 10 Prozent, wenn der Betroffene Misshandlungen erlebt hatte, aber kein Mobbing. Bei Mobbingopfern ohne Misshandlungen hingegen betrug die Wahrscheinlichkeit 13 Prozent. Deutlich größer waren die Unterschiede in den USA: Die Angststörungsquoten lagen bei 8 Prozent (nur Misshandelte) versus 25,5 Prozent (nur Gemobbte).

Schlussfolgerungen verfrüht

Die teils eklatanten Unterschiede haben wahrscheinlich auch mit den unterschiedlichen Befragungszeitpunkten zu tun. In den USA waren die Jugendlichen 16 Jahre alt. In Großbritannien wurden Kinder zuletzt im Alter von 13 Jahren nach Mobbing befragt. Später erfahrene Drangsalierungen wurden bei ihnen so nicht erfasst. Diese könnten jedoch die mentale Gesundheit beeinflussen, welche die Forscher im Alter von 18 Jahren bewerteten.

"Man muss vorsichtig sein mit den Interpretationen", sagt Schäfer. Die Schlussfolgerung, dass Mobbing weitreichendere Folgen hat als Misshandlungen, hält Schäfer für verfrüht. "Die Erhebung zur mentalen Gesundheit wurde im Alter von 18 Jahren gemacht - ein Zeitpunkt, zu dem Erlebnisse aus der Schule sehr präsent sind." Im Alter von 30 oder 40 Jahren könne das schon wieder ganz anders aussehen.

Am Fazit der Kollegen von der University of Warwick hat Schäfer allerdings nichts auszusetzen: Mobbing sei ein Thema, mit dem sich Lehrer, Erzieher und Psychologen noch viel intensiver beschäftigen müssten.

Zusammengefasst: Eine Studie mit fast 5500 Teilnehmern hat ergeben, dass Mobbing für die Psyche 18-Jähriger offenbar schlimmer ist als Misshandlungen durch Erwachsene. Die Wahrscheinlichkeiten für Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und Suizidgefahr waren größer. Doch die Daten müssen nicht bedeuten, dass Misshandlungen weniger schlimm sind als Mobbing. Die Erhebung erfasst die Situation der Betroffenen im Alter von 18 Jahren, wie sich ihr Empfinden im Laufe des Lebens verändert, bleibt offen. Einig sind sich Psychologen aber darüber, dass das Thema Mobbing immer noch unterschätzt wird.