In der Nacht zum 1. Mai tanzen der Legende nach die Hexen. Was heute als Event gefeiert wird, brachte vor 400 Jahren Tausende auf die Scheiterhaufen - darunter auch viele Kinder.

Hexensabbat als Parodie auf die christliche Messe.
© Hulton Archive/Getty ImagesEine Darstellung aus dem Jahr 1650 beschreibt einen Hexensabbat als Parodie auf die christliche Messe.
Sie tanzen wieder. Die Hexen. In der Nacht zum Freitag ist vor allem im Harz der Teufel los. Für den Tourismus des Mittelgebirges ist es die wichtigste Nacht im ganzen Jahr. Thale veranstaltet eine "Teufelsshow", Schierke lädt zu drei Tagen "voller Mystik und mittelalterlicher Klänge", der Marktplatz von Goslar soll sich in einen "Hexenkessel" verwandeln.

Nicht zuletzt Goethes "Faust" hat die "Walpurgisnacht" als ein wildes Spektakel ins Bewusstsein gerückt, bei dem auf dem Blocksberg - dem literarischen Synonym für den höchsten Berg im Harz, den "Brocken" - wilde Orgien gefeiert werden. Die Walpurgisnacht wurde zum Inbegriff des Enthemmten, das dem Frühling innewohnt, wenn alles wieder zu blühen beginnt.

Was die Natur kann, kann der Mensch schon lange. So beflügelte die Walpurgisnacht Schriftsteller und Komponisten ebenso wie bildende Künstler zur Darstellung abgründiger sexueller Fantasien.

Tatsächlich erinnert die Walpurgisnacht aber auch an Ereignisse, die alles andere als lebensbejahend sind. Während der Hetzjagden, die in der Frühen Neuzeit auf vermeintliche Zauberinnen und Zauberer veranstaltet wurden, war es gerade der angebliche Hexentanz in der Nacht zum 1. Mai, der Tausende auf den Scheiterhaufen brachte. Die Frage nach der Teilnahme am "Hexensabbat" in der Walpurgisnacht stand ebenso auf der Liste der Hexenrichter wie die nach der "Teufelsbuhlschaft". Und unter den unsäglichen Schmerzen der Tortur gestanden die meisten die absurdesten Unterstellungen.

Folter Mittelalter
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Die 14-jährige Agatha Gatter aus Freiburg hat gleich alles gestanden - aus Angst vor der bevorstehenden Folter. Wie die Untersuchungsprotokolle dokumentieren, soll das Mädchen, deren Mutter kurz zuvor als Hexe hingerichtet worden war, gestanden haben, "daß es nit allein zum zehenden mal bey Hexenzusammenkünfften mit gedachter seyner Mutter gewäsen, sondern auch sich Gottes und seyner Heiligen verläugnet und vom bösen Geist zu 2 underschidlichen malen beschlaffen worden" sei. Wahrscheinlich hatte das Mädchen keine Hoffnung, dass irgendjemand ihm glauben würde, wenn es geleugnet hätte. Da tauchte der Theologe Johannes Pistorius auf. Er ließ das Mädchen auf seine Jungfräulichkeit untersuchen und bewirkte seinen Freispruch.

Die Geschichte der "Hexenkinder" ist noch wenig erforscht

Hexenverbrennung mit Kind witch
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Agatha Gatter ist nur eine von zahllosen "Hexenkindern", deren Verfolgung noch wenig erforschtes Kapitel deutscher Geschichte ist. Wenig ist über das ganze Ausmaß bekannt. Zeitgenössische Briefe belegen allerdings, dass Agatha Gatter großes Glück gehabt hat. Sie belegen, dass die Gerichte auch bei Kindern keine Gnade kannten - und sie zum Tode verurteilten.

Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts waren es vor allem Frauen, die der Hexerei verdächtigt wurden. Kinder waren Opfer, die beispielsweise durch angeblichen Schadenzauber krank wurden oder starben. Mancher "Hexe" wurde nachgesagt, dass sie sich vom Blut eines tot geborenen Babys ernähren würde. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts kippte die Stimmung. Im Zuge der großen Verfolgungswellen richtete sich der Verdacht gegen jeden: Frauen, Männer, Mädchen, Jungen.

"Es geht gewiß die halbe Stadt drauf", beschrieb Pfarrer Hilger Düren dem Grafen Werner von Salm aus Bonn, der Residenz des Kölner Kurfürsten, die Auswirkungen des Hexenwahns um 1630: "Kinder von drei bis vier Jahren haben ihren Buhlteufel. Studenten und Edelknaben von neun bis vierzehn Jahren sind hier verbrannt."

Zwischen 1623 und 1633 fielen in Würzburg rund 900 Menschen dem Aberglauben zum Opfer. Auch unter ihnen sollen zahlreiche Kinder gewesen sein. So schrieb ein Lokalpolitiker 1629 an seinen auswärtigen Bekannten: "... dua sind dreihundert Kinder von drei oder vier Jahren, die mit dem Teufel gebuhlt haben sollen. Ich habe Kinder von sieben Jahren gewaltsam sterben sehen und tapfere Schüler von zehn, zwölf, vierzehn und fünfzehn Jahren ..."

In Köln wurde eine Zwölfjährige enthauptet

Witch Hexenverbrennung Drache Comet
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Entgen Lenarts war erst zehn Jahre alt, als sie mit ihren zwei Geschwistern bettelnd durch Köln zog. Der Vater war erschossen worden, die Mutter weg. Die Kinder waren auf sich gestellt. Vielleicht wollte sich Entgen nur ein bisschen wichtig machen. Vielleicht ist ihre Fantasie mit ihr durchgegangen. Das Kind brachte sich selbst als Geliebte des Teufels ins Gespräch.

Sie wurde in den Gefängnisturm gesperrt und am 7. Mai 1653 verhört. Dabei erzählte sie nicht nur, dass sie ihren Bruder verzaubert hätte, sondern auch, dass sie sich mit anderen Hexen zum Tanzen getroffen hätte. Zwei Jahre saß sie im Gefängnisturm, bevor sie am 18. Februar 1655 verurteilt und kurze Zeit später enthauptet und verbrannt wurde. Da war sie zwölf.

Christine Teipel löste mit ihrer Aussage im Patrimonialgericht Oberkirchen im Sauerland gleich eine ganze Verfolgungswelle aus. 1630 wurde die Neunjährige verhört. Den Protokollen zufolge erzählte sie von einem Johann, der sie in einer Backstube die Zauberei gelehrt hätte - und vom Hexentanz. Dabei hätte sie mehrfach Geschlechtsverkehr mit dem Teufel gehabt.

Das Leiden der "Hexenkinder" in Afrika

Antwortete sie auf suggestiv gestellte Fragen? Erinnerte sie sich an einen sexuellen Missbrauch? Es bleibt ein Rätsel. Belegt ist, dass im Zuge der folgenden Prozesse 58 Menschen zum Tode verurteilt wurden, darunter zwei Kinder. Christine Teipel war eine von ihnen. Sie wurde am 4. Mai 1630 hingerichtet.

Sogenannte Hexenkinder in Afrika witch
© BICE Deutschland Sogenannte Hexenkinder in Afrika
Fast 400 Jahre liegt das zurück. Zu Ende ist das Kapitel der Verfolgung angeblicher "Hexenkinder" nicht. Um die Jahrtausendwende ist in vielen afrikanischen Ländern wie dem Kongo oder Nigeria ein regelrechter Kinderhexenwahn ausgebrochen, der bis heute anhält. Allein in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo, leben Zehntausende Kinder als Ausgestoßene, weil Priester oder Schamane sie zu Hexen erklärten.

Die zu Hexenkindern erklärten Mädchen und Jungen, werden von ihren Eltern verstoßen, weil sie mit ihren angeblichen magischen Kräften die Familie in Armut gebracht oder einen Angehörigen mit Aids infiziert haben soll. Diese Kinder, die am Rand der Gesellschaft dahinvegetieren, müssen jederzeit mit ihrer Tötung durch Killertrupps oder auch durch die eigenen Eltern rechnen. Manches "Hexenkind" ist erst zwei.