Ein neuer Mega-Skandal erschüttert die Republik: Die Amerikaner haben seit Jahren dem BND in Bad Aibling eine gewaltige Liste - angeblich 4,6 Millionen - von sogenannten Selektoren geliefert - Suchbegriffe, nach denen der gesamte Internetverkehr der BRD gefiltert und an die NSA geliefert wird. Das Wort »Hochverrat« macht die Runde.


Kommentar: Der eigentliche Mega-Skandal ist die Politische Ponerologie:
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© SOTTPolitische Ponerologie: Eine Wissenschaft über das Wesen des Bösen und ihre Anwendung für politische Zwecke

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Selektoren und Anti-Selektoren

Die von der NSA gelieferten Selektoren enthalten z.B. allgemeine Suchbegriffe, IP-Adressen, Domain-Endungen wie ».diplo« oder ».gov«, Telefonnummern und mehr. Die Liste der Selektoren ist mit Millionen von Datensätzen gewaltig. Da sie derzeit beim BND noch unter Verschluss gehalten wird, ist bislang auch vollkommen unklar, was sie genau enthält.

Auch die Liste der Anti-Selektoren, also Selektoren, die vom BND von der Selektorenliste gestrichen wurden, wird derzeit nicht veröffentlicht. Wir wissen zurzeit lediglich, dass die Negativliste »nur« etwa 40 000 Begriffe enthielt, im Vergleich zu den 4,6 Millionen Selektoren also relativ übersichtlich ist - geradezu ein Feigenblatt. Von 4,6 Millionen Selektoren wurden gerade einmal mickrige 0,87 Prozent ausgefiltert - über 99,1 Prozent nicht! Mittlerweile ist durch Zeugenaussagen auch klar, dass die Selektorenliste vom BND nicht sonderlich gut kontrolliert wurde - dem Anschein nach geschah dies eher sporadisch und unmotiviert.

Mangelhafte Kontrolle beim BND

Die Aussage des Zeugen »Dr. T.« vor dem NSA-Untersuchungsausschuss ist symptomatisch. Bei »Dr. T.« handelt es sich um einen BND-Sachbearbeiter, der nach kurzer, vierwöchiger Suche in Eigenregie alleine 2000 kritische Selektoren identifizierte und seinem Chef meldete. Dies macht deutlich, wie armselig und unkoordiniert die Kontrolle des BND über die Selektorenliste über all die Jahre war.

Man muss sich das wirklich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein (!) einzelner Sachbearbeiter überprüft Millionen (!) der teilweise kryptischen Einträge - dies auch noch, ohne dafür einen Auftrag zu haben - und findet »durch Zufall«, wie er sagt - auf Anhieb tausende kritische Selektoren.

BND-Präsident Gerhard Schindler erfährt davon aber angeblich erst im März 2015. Schlamperei, Inkompetenz oder bewusstes Wegschauen? Wahrscheinlich war es dem BND und seinem Präsidenten einfach egal. Eine ernsthafte Kontrolle fand jedenfalls offensichtlich nicht statt.

Alleine die Millionenanzahl der Selektoren ist im Übrigen so atemberaubend, dass man davon ausgehen kann, dass diese über einen Algorithmus im Kontext von Massenüberwachung erzeugt wurden, also das Ergebnis früherer Auswertungen der gelieferten Daten selbst sind.

»Datenschutz« in der Praxis

Diese automatisch erzeugten Selektoren wurden dann noch händisch durch NSA-Mitarbeiter angereichert. Die dürfen das, und zwar ganz ohne großes Genehmigungsverfahren, wie uns Edward Snowden wissen ließ. Wenn einen NSA Mitarbeiter der gesamte Datenverkehr einer IP-Adresse, z.B. der eines Bundestagsabgeordneten, interessierte, gab er diese Adresse einfach ein - und der BND lieferte alles. So also sieht Datenschutz in der Praxis aus, könnte man mit zynischer Ernüchterung anmerken. Echter Datenschutz ist damit in Deutschland eine reine Illusion.

Bestreiten, Abwimmeln und gespielte Überraschung

Das Ergebnis dieser Filterungen, eine gewaltige Datenmenge, wurde dann vom BND an die Amerikaner geliefert - wohlgemerkt über Jahre hinweg und natürlich ohne, dass diese Kooperation von der Politik an die Bevölkerung kommuniziert wurde. Im Gegenteil: Diese Praxis wurde jahrelang bestritten, obwohl der Whistleblower Edward Snowden bereits 2013 das erste Mal offen von einer solchen Kooperation zwischen BND und NSA im Kontext von Industriespionage sprach. Vor Edward Snowden war all das sogar offiziell eine reine »Verschwörungstheorie« von paranoiden USA-Hassern.

Erst jetzt, im Jahr 2015, wo diese Praxis überhaupt nicht mehr zu verheimlichen ist, kommt sie endlich auf den Tisch, und alle beteiligten Protagonisten - einschließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesinnenminister Thomas de Maizière und BND-Präsident Gerhard Schindler - tun überrascht und täuschen Unwissenheit vor.

Das Einzige, was BND-Präsident Schindler derzeit zum Besten gibt, ist, dass er nicht rekonstruieren könne, welche Daten von seiner Behörde an die NSA geliefert wurden. Das ist nicht nur vollkommen unglaubwürdig, sondern ein Armutszeugnis sondergleichen.

Wer soll auf diese Laiendarsteller und ihre Lügenmärchen eigentlich noch hereinfallen? Zum Mitschreiben: Es soll eine Riesenschnittstelle vom BND zur NSA geben, aber der Präsident hat keinen Schimmer, wie diese funktioniert und was sie liefert oder geliefert hat. »Herr Ober, bitte die Gabel zum Kitzeln!«

Verrat und Chuzpe

Die Spitzen der Regierung, einschließlich der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des Innenministers Thomas de Maizière, waren höchstwahrscheinlich auch über diese Ausspähung von Bürgern, Unternehmen und letztlich sogar der Politik selbst informiert, zieren sich aber sogar - und das ist an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten - wenigstens die Millionen an Selektoren oder wenigstens die 40 000 Anti-Selektoren offenzulegen. Nein, Frau Merkel weigert sich und möchte das erst mit den amerikanischen »Partnern« abstimmen. Offenbar ist das die Sprachregelung dafür, dass sich »die mächtigste Frau Europas« erst einmal in Washington neue Befehle abholen muss.

Es riecht nach Hochverrat, gepaart mit kaltschnäuziger Chuzpe im ganz großen Stil. Wo hat es das je gegeben, dass ein potentieller Verräter wie Frau Merkel sich weigert, Details über den Verrat preiszugeben, weil es eventuell die Interessen dessen verletzen würde, der vom Verrat profitiert hat? Immerhin hat sie sich mittlerweile gnädig dazu bereit erklärt, vor dem NSA-Untersuchungsausschuss auszusagen.

So etwas ist geschichtlich einmalig und grenzt politisch und rechtlich an absurdes Theater. Im Grunde zeigt das aber deutlicher als je zuvor, dass Frau Merkel eine Art von Stadthalterin des US-Imperiums ist, die über dem Gesetz dieser nicht souveränen BRD-Provinz steht. Anders ist ein solcher Vorgang nicht mehr zu erklären.

Angela Merkel will selbst bestimmen, was von ihrem Verrat im NSA-Untersuchungsausschuss an Fakten diskutiert werden darf. »Bananenrepublik, ahoi!« Müsste es nicht genau umgekehrt sein? So sitzt der NSA-Untersuchungsausschuss derzeit auf dem Trockenen und hat nicht einmal die elementarsten Fakten auf dem Tisch. Wie effizient kann wohl ein Ausschuss arbeiten, bei dem es um Datenlieferungen geht, der aber selbst nur von hoher Hand vorgefilterte Daten erhält?

Spekulationen gefällig?

Über den Grund für diese Geheimniskrämerei können wir dann ja wenigstens spekulieren, wenn man uns schon so dreist und kaltschnäuzig hinhält. Sind vielleicht schon die Anti-Selektoren so brisant? Teile der Selektoren selbst dürften es ohnehin sein. Von den damit gefilterten und gelieferten Daten, die die kühnsten Fantasien übersteigen könnten, wollen wir ja noch gar nicht reden.

Enthalten die Selektoren vielleicht sogar Suchbegriffe wie »Bundestag« oder die IP-Adressen und Telefonnummern von europäischen oder deutschen Geheimnisträgern, Politikern, Journalisten, Wirtschaftsbossen und Prominenten? Geht es vielleicht gar nicht primär um Wirtschaftsspionage, sondern um politische und gesamtgesellschaftliche Spionage zum Zwecke der Generierung von Erpressungsmaterial für politisches Wohlverhalten in allen möglichen Zielen, die die USA gerne realisiert haben wollen?

Nur passives Abschöpfen oder aktive, gezielte Angriffe?

Wurden die IP-Adressen vielleicht nicht nur zum Abschöpfen von Daten aus dem Internetverkehr, sondern auch für gezielte Angriffe der NSA auf die Rechner der Ausspionierten mittels Malware und Trojanern wie »Berserker«, »Barnfire« oder »Regin« verwendet?

Der monströse »Regin« wurde bereits auf mindestens einem Rechner des Bundeskanzleramtes entdeckt. Ein Einzelfall? Ein Zufall womöglich? Eher nicht, denn solche Zufälle kann es gar nicht geben. Wo einer ist, müssen mehr erwartet werden.

Die Frage ist, ob sich die NSA damit zufrieden gibt, was im Internet übertragen wird, oder ob diese Behörde einfach alles wissen will, was auf einem Rechner und in dessen Umfeld passiert. Dank Mikrofon und Kamera ist ein Computer heute eine ultimative Wanze. Das Gleiche gilt natürlich auch für Mobiltelefone, deren Nummern bezeichnenderweise und natürlich nicht zufällig ebenfalls in der Selektionsliste auftauchten.

Wenn die NSA z.B. wissen will, was ein Politiker auf seinem Laptop schreibt, aber nicht über das Internet versendet, sondern beispielsweise nur lokal ausdruckt, muss die NSA den Rechner mittels der IP-Adresse angreifen und mit einem Tojaner infizieren - ein technisches Kinderspiel für die NSA-Profis, die die herkömmlichen Virenscanner belächeln.

Man kann getrost davon ausgehen, dass die NSA diese aktive Taktik anwendet, man muss es zumindest untersuchen. Es sei denn, man glaubt, dass die NSA unsere »Freunde« wären, was mittlerweile eher eine Art von notorischer Realitätsverweigerung ist.

Nur Wirtschaftsspionage oder Politik?

Dieser Gedanke ist beunruhigend, da er implizieren würde, dass im »worst case scenario« die gesamte Regierung suspekt ist, da sie vielleicht durch die gestohlenen Daten kompromittierbar wäre. BRD-Geheimnisse dürften ebenfalls zu großen Teilen suspekt sein.

Es ist ja durchaus anzunehmen, dass Politiker wie Bundestagsabgeordnete ein lohnendes Ziel für die NSA sind, z.B. zur Erpressung in außenpolitischen Fragen wie der Ukraine oder dem »Freihandelsabkommen« TTIP. Sollte es Widerstand geben, weiß man, welche Karte man ziehen muss. Tatsächlich muss man wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Politiker sogar die wichtigste Zielgruppe der Spionage sind. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Anders ausgedrückt haben die Politiker sich wahrscheinlich mit der von ihnen abgesegneten Totalüberwachung selber überwachen lassen. Wer andern eine Grube gräbt ...

Vielleicht wäre dies auch eine Erklärung für die Motivation des teilweise äußerst seltsamen Verhaltens mancher Politiker, wenn diese z.B. Themen wie »TTIP« oder »ESM« gegen den Willen der Bevölkerung durchpeitschen, oder wirres Zeug wie »Deutschland wird am Hindukusch verteidigt« von sich geben.

Vorsicht Kamera

Wer weiß schon, was unsere Volksvertreter vor ihrem Rechner so treiben, wenn sie sich unbeobachtet fühlen? Wer kann auch nur abschätzen, wie peinlich das alles wäre, wenn es durch ein gezieltes Leak an die Öffentlichkeit käme? Da uns die Selektoren und IP-Listen vorenthaltenwerden, kann man das Ausmaß der Katastrophe leider nur abschätzen. Man müsste es aber ganz genau wissen.

Trojaner wie »Regin« können z.B. die Tastatureingaben komplett loggen (inkl. Passwörter). Andere können den Bildschirm übertragen oder das Mikrofon und die Kamera einschalten. Die Ergebnisse können sie temporär speichern und bei Internetzugriff zeitversetzt übertragen.

Das sollten Politiker zumindest in Betracht ziehen, wenn sie mal »Material« runterladen, das peinlich wäre. Sebastian Edathy ist ein schönes Beispiel für das Ergebnis von allzu unbedachtem Umgang mit seinem Laptop - er ist mittlerweile total diskreditiert, geradezu vernichtet. Gerade vor dem Hintergrund dieses Falls, kann man sich leicht vorstellen, dass ein Verantwortungsträger alles tut, damit das, was er mit dem Laptop so alles getrieben hat, diskret bleibt.

Ein einziger Sumpf

Wer bisher glaubte, dass die NSU-Staatsaffäre nicht zu überbieten sei, der sollte sich mit der Möglichkeit beschäftigen, dass der Sumpf aus Geheimdiensten, Regierungskreisen, Presse, Gerichten und Untersuchungsausschüssen in der Praxis noch viel grenzenloser ist. Dieses System scheint irreparabel geschädigt zu sein. Selbst eine Vertrauensfrage von Einzelpersonen wie der Bundeskanzlerin wird daran nichts mehr ändern können.

Die daraus resultierenden Verwerfungen und Peinlichkeiten dürften höchst interessant werden. Die Folgen aus diesem Verrat sind jedenfalls noch nicht mal ansatzweise überschau- und prognostizierbar. Sicher wird diese Staatsaffäre das NSU-Prozess-Theater am OLG München weit überbieten und vielleicht auch noch etwas für Freunde des skurrilen Humors sein. Ist es ja jetzt schon. Aber am Ende wird das sehr viel mehr als ein schaler Witz sein, denn wir werden über diesen millionenfachen Verrat und Vertrauensbruch nicht lachen, sondern bitter weinen.