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Keine Tier- oder Pflanzenart existiert für immer. Dass Arten aussterben, ist ein natürlicher Vorgang der Evolution. Jenseits dieser normalen Prozesse kommt es von Zeit zu Zeit jedoch zu einem regelrechten Kahlschlag auf unserem Planeten. Zuletzt fielen einem solchen Massenaussterben unter anderem die Dinosaurier zum Opfer. Wie Forscher nun warnen, ist die nächste große Extinktion bereits heute im Gange: auch nach konservativsten Berechnungen sehe es für die Artenvielfalt äußerst düster aus.

Wenn in einem geologisch gesehen relativ kurzen Zeitraum von einigen zehn- bis hunderttausend Jahren überdurchschnittlich viele Arten von der Erde verschwinden, nennt man das ein Massenaussterben. Im Verlauf der Erdgeschichte hat es immer wieder einmal solche großen Artensterben gegeben, fünf davon waren besonders gravierend. Wissenschaftler bezeichnen sie deshalb als die „Big Five" und Paläontologen gliedern sogar die Erdgeschichte nach ihnen. Die fünfte und bisher letzte große Massenextinktion hat vor circa 66 Millionen Jahren die Dinosaurier dahingerafft. Mit ihnen starben damals 70 Prozent der damals lebenden Tier- und Pflanzenarten aus.

Derzeit erlebt die Erde wieder einen vergleichbar großen Artenschwund. Das zumindest prophezeien Wissenschaftler, die den durch den Menschen verursachten globalen Rückgang der Artenvielfalt mit einem sechsten Massenaussterben gleichsetzen. So geht die Weltnaturschutzunion IUCN etwa davon aus, dass die Tierarten 1.000- bis 10.000-fach schneller aussterben, als sie es durch natürliche Prozesse tun würden. Nach den Berechnungen der Organisation verschwinden jeden Tag ungefähr 100 Arten unwiederbringlich.

Realistische Prognose oder Schwarzmalerei?

Doch wie realistisch solche Aussagen wirklich sind, darüber streitet sich die Fachwelt. Manche Berechnungen überschätzen einigen Kritikern zufolge die Schwere des aktuellen Artensterbens. Denn dass Arten kommen und gehen ist völlig normal. Experten sprechen bei diesem Prozess vom sogenannten Hintergrundsterben - also dem natürlichen Artensterben, das auch ohne menschliche Einflüsse stattfinden würde.

Um den Disput um das sechste Massenaussterben endgültig zu klären, hat sich ein Team um den Ökologen Gerardo Ceballos von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko nun an einer erneuten Prognose versucht - und dabei bewusst auf äußerst konservative Annahmen gesetzt. Die Forscher verglichen die tatsächlichen Aussterberaten von Wirbeltieren mit einer zuvor berechneten Rate für das natürliche Hintergrundsterben. Je niedriger diese Rate definiert wird, desto dramatischer erscheinen im Vergleich dazu aktuelle Aussterberaten. Aus diesem Grund wählte das Team eine relativ hohe Rate: zwei ausgestorbene Säugetierarten pro 10.000 Arten in 100 Jahren. Das ist doppelt so hoch wie der Wert, der den meisten bisherigen Berechnungen zugrunde liegt.

Menschengemachte Katastrophe

Trotz dieses optimistischen Parameters ist die Differenz zwischen dem angenommenen Normalfall und der tatsächlichen Situation erschreckend. Verglichen mit der Anzahl der Wirbeltierarten, die nach der aktuellen Roten Liste der IUCN in jüngerer Vergangenheit ausgestorben sind, erscheint der Wert für das natürliche Hintergrundsterben verschwindend gering. Die durchschnittliche Artenschwund-Rate während des letzten Jahrhunderts ist demnach bis zu 114-fach höher ausgefallen, als sie ohne menschliches Zutun zu erwarten gewesen wäre. Die Zahl der in diesem kurzen Zeitraum ausgestorbenen Arten wäre nach dem angenommenen Hintergrundsterben je nach Art erst innerhalb von 800 bis 10.000 Jahren erreicht gewesen, anstatt innerhalb von 100 Jahren, schreiben die Forscher.

Für Ceballos und seine Kollegen ist damit klar: die sechste Massenextinktion ist bereits im Gange - und sie ist menschengemacht. Dennoch glauben sie, dass die große Katastrophe noch verhindert werden kann. Dafür seien jedoch schnell intensive Erhaltungsmaßnahmen nötig, insbesondere für bereits gefährdete Arten. Scheitert der Schutz der Artenvielfalt, sprechen intelligente Lebewesen nach uns womöglich von den „Big Six".

Originalarbeit der Forscher:
Ceballos, Gerardo (Nationale Autonome Universität von Mexiko) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.1400253