Auf der Ostautobahn (A4) hat sich eine Flüchtlingstragödie ereignet. 20 bis 50 Leichen wurden in einem abgestellten Lastwagen gefunden. Die Bergung der Toten wird bis Freitagvormittag dauern.
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Eisenstadt - Der 7,5 Tonnen schwere Lkw, in dem die Leichen gefunden wurden, war bereits seit Mittwoch in einer Pannenbucht zwischen Neusiedl und Parndorf geparkt. Aus dem Kühltransporter trat beim Eintreffen der Polizei bereits Verwesungsflüssigkeit aus. Die Flüchtlinge dürften demnach schon ein bis zwei Tage lang tot gewesen sein, hieß es bei einer Pressekonferenz am Abend.

Um wie viele Opfer es sich genau handle, konnte man auch zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, da die Bergung noch bis Freitag andauern werde. Diesbezüglich soll es morgen, Freitag, Klarheit geben. Man werde "die Nacht durcharbeiten". Die neuen Erkenntnisse werden die Ermittlungsbehörden um 11.00 Uhr auf einer weiteren Pressekonferenz bekannt geben.

Bei den Verstorbenen handelt es sich "mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit" um Flüchtlinge. Dass Frauen und Kinder unter den Opfern sind, sei anzunehmen.

Bergung der Leichen in Halle

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Die Bergung der bei einem Schleppertransport zu Tode gekommenen Flüchtlinge wird unweit vom Auffindungsort der Leichen erfolgen. Am späten Donnerstagnachmittag traf am Tatort ein Abschleppwagen ein. Das Fahrzeug wurde vorerst in eine von der Asfinag zur Verfügung gestellte Halle gebracht.

Mittlerweile ist der Lastwagen in Nickelsdorf in eine ehemalige Veterinärgrenzdienststelle eingetroffen. Dort seien die Bedingungen für die Leichenbergung, gegeben, sagte Burgenlands Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil.

Man werde nun genau sichten, wie viele Leichen in den Lkw sind, berichtete Doskozil am Freitagabend in einer Pressekonferenz in Eisenstadt. Der Landespolizeidirektor ging davon aus, dass die Zahl von 20 "überstiegen wird".

Leichen werden nach Wien überstellt

Am Donnerstagabend ist damit begonnen worden, die in einem 7,5 Tonnen schweren Lkw ums Leben gekommenen Flüchtlinge aus dem Kühltransporter zu bergen. Wie Johann Fuchs, der Leiter der Staatsanwaltschaft Eisenstadt erklärte, sollen die Toten gleich im Anschluss nach Wien überstellt werden.

"Der Transport ist bereits in die Wege geleitet", berichtete Fuchs, der persönlich bei den Bergungsarbeiten anwesend war. Das Wiener gerichtsmedizinische Institut habe den staatsanwaltschaftlichen Obduktionsauftrag übernommen. Wie viele Experten dazu herangezogen werden, "ist sicher auch eine Kapazitätsfrage. Es handelt sich zweifellos um eine einzigartige Aufgabenstellung", räumte Fuchs ein.

Seit zwei Tagen tot

Unter Berücksichtigung der Auffindungsumstände und der aktuellen Wetterlage geht die Polizei davon aus, dass die auf der A4 entdeckten toten Flüchtlinge bereits vor eineinhalb bis zwei Tagen ums Leben gekommen sein dürften. Es spreche auch vieles dafür, das sie schon tot waren, als der Lkw die Grenze passierte, sagte der Doskozil am Donnerstagabend.

Der 7,5 Tonnen schwere Lkw sei am Mittwoch in den frühen Morgenstunden bei Budapest in Ungarn gestartet. In der Nacht auf Donnerstag dürfte, so die Ermittlungen der Polizei, das Fahrzeug nach Österreich gerollt sein. Der Kühltransporter, laut Doskozil "kein schleppertypischer Lkw" - hatte sich nach polizeilichen Erkenntnissen am Mittwoch um 9.00 Uhr noch in Ungarn unmittelbar vor der ungarisch-österreichischen Grenze befunden.

Während der folgenden Nacht erfolgte der Grenzübertritt. Am frühen Donnerstagmorgen - gegen 5.00 oder 6.00 Uhr - wurde der Lkw von Zeugen in einer Pannenbucht auf der A4 zwischen Neusiedl und Parndorf wahrgenommen, berichtete Doskozil.

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Die Fahrerkabine des Lkw war nicht abgesperrt. Die fünf Meter lange Ladebordwand hätte sich von den einschreitenden, von der Asfinag alarmierten Polizeibeamten von außen öffnen lassen, gab Doskozil bekannt. Den Beamten hätte sich ein Bild geboten, bei dem unverzüglich klar wurde, "dass es zu 1000 Prozent keine Überlebenden im Fahrzeug gibt".

"Intensive Erstermittlungsphase"

"Wir befinden uns in der intensiven Erstermittlungsphase", erläuterte Behördenleiter Johann Fuchs am Donnerstagnachmittag im Gespräch. Er geht davon aus, dass sich in dem in einer Pannenbucht abgestellten Lkw "zumindest 20 Tote" befinden. Fragen zur Nationalität, dem Alter und dem möglichen Todeszeitpunkt konnte der Leiter der Staatsanwaltschaft nicht beantworten.

Die Staatsanwaltschaft hat auch schon Kontakt zu den ungarischen Strafverfolgungsbehörden aufgenommen - der 7,5 Tonnen schwere Lkw weist ein ungarisches Kennzeichen auf. Vom Fahrer, der sich abgesetzt hat, fehlt bisher jede Spur. "Wir werden nichts unversucht lassen, den Fahrer und seine Hintermänner auszuforschen und das Verbrechen aufzuklären", versicherte Fuchs.

Das Nummernschild des Lkw war von einem Rumänen in der mittel-ost-ungarischen Stadt Kecskemet beantragt worden. Das sagte Janos Lazar, Stabschef von Premier Viktor Orban, bei einer Pressekonferenz in Budapest.

Lazar zufolge soll das Fahrzeug dem Mann auch gehören. Der Kanzleiminister wies auf die Zusammenarbeit zwischen österreichischer und ungarischer Polizei hin.

Weitere Flüchtlinge erwartet

Die Polizei erwartet für das Wochenende einen weiteren Anstieg bei den Grenzübertritten von Flüchtlingen. Die Beamten im Burgenland werden deshalb verstärkt von Kollegen aus Kärnten und der Steiermark, sagte Burgenlands Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil.

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Am Montag soll mit einem Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom (19.00) Uhr der zu Tode gekommenen Flüchtlinge gedacht werden. Geleitet wird die Messe von Kardinal Christoph Schönborn, der alle Kirchen bat, zu diesem Zeitpunkt die Glocken läuten zu lassen. Schönborn sowie der Eisenstädter Bischof Ägidius Zisfkovics zeigten sich erschüttert.

Für Amnesty "vorhersehbar"

"Wer immer hier von Tragödie spricht, ist ein Heuchler. Das ist ein vorhersehbarer und bei all jenen, die krampfhaft an einem nicht mehr funktionierenden Dublin-System festhalten, auch fahrlässig in Kauf genommener, grauenhafter Kollateralschaden", reagierte der Generalsekretär von Amnesty International (ai) Österreich, Heinz Patzelt, auf die Flüchtlingstragödie im Burgenland.

"Das wird nicht die einzige Katastrophe bleiben", meinte Patzelt. Das Entsetzen setze immer erst dann ein, "wenn diese Dinge vor unseren Augen passieren. Dabei waren die 1.000 Toten im Mittelmeer und die ungezählten Toten auf der Balkan-Route die Ankündigung dazu".

Abgesehen davon betonte Patzelt, jene, die Schlepper-Transporte durchführen, seien "Verbrecher, die festgenommen und vor Gericht gestellt werden müssen".

apa