Auf den höchsten Bergen der Anden haben die Inkas Kinder geopfert. 500 Jahre nach den Ritualmorden werden nun die Hintergründe erforscht. Sogar die Herkunft der Kinder können Wissenschaftler bestimmen.

Der Inka-Junge wurde bei einer religiösen Zeremonie getötet.
© Scientific Reports & Gómez-Carballa et al./University of Cuyo Publisher/dpa Der Junge von Aconcagua war etwa sieben Jahre alt und wurde vor 500 Jahren den Göttern geopfert. Links sieht man ein Stück der herauspräparierten Lunge
Mit 6962 Meter ist der Aconcagua der höchste Berg Amerikas, der sich in Argentinien an der Grenze zu Chile aus den Anden erhebt. Nur in Asien strecken sich Gipfel weiter in die Höhe. Seine Gipfel sind weiß, vom Schnee bedeckt. Der Berg ist aber nicht nur für Bergsteiger interessant, sondern hat eine mythische Vergangenheit: Den Inkas galt er als heiliger Berg. An seinen Hängen haben die Menschen der untergegangenen Kultur Kultstätten eingerichtet.

In manchen Fällen sind diese Stätten ein wenig gruselig, denn die Inka brachten am Berg auch Menschenopfer dar. Es wurden bereits Dutzende Stätten gefunden, an denen Kinder offenbar geopfert worden waren. Wissenschaftler interessieren sich sehr für diese Mumien, die in der Kälte des Berges relativ gut erhalten sind. So auch für den Jungen vom Aconcagua.

1985 entdeckten Bergsteiger in einer Höhe von 5167 Meter eine Kultanlage von unschätzbarem historischen Wert: Innerhalb von Steinmauern lagen hier die Überreste eines siebenjährigen Kindes, gebettet auf Gras, Stoff und Federn. Der Junge war im Rahmen eines religiösen Rituals getötet worden, Figuren und Kokablätter waren ihm als Opfergabe beigelegt worden.

Mütterliche Erblinie

Nun berichten Wissenschaftler im Journal "Scientific Reports", dass sie die mitochondriale DNA (mDNA) des Jungen entschlüsselt habe. Die mDNA ist Erbgut, das nicht im Zellkern liegt, sondern in den Mitochondrien. Sie wird über die Eizelle der Mutter weitergegeben. Deshalb können Wissenschaftler die mütterliche Abstammungslinie gut nachvollziehen. Die Proben des mumifizierten Kindes wurden vor etwa 20 Jahren genommen und lagern seither in einer Gefrierkammer des Argentinischen Teams für Forensische Anthropologie (EAAF) in Córdoba (Argentinien).

Das Geheimnis der Kindermumien

Die Wissenschaftler um Antonio Salas von der Universität in Santiago de Compostela in Spanien hatten die Erlaubnis erhalten, die Proben genauer zu analysieren. Sie berichten, dass sie nun die Herkunft des vor 500 Jahren verstorbenen Kindes nun dank der mDNA-Analyse entschlüsseln konnten.

Das internationale Team um Antonio Salas schreibt: "Es ist die erste genetische Studie einer Anden-Mumie." Ihren Erkenntnissen nach stamme das Kind aus einer Bevölkerungsgruppe, die vor 14.300 Jahren in Peru aufgetaucht sei. Mithilfe von Gendatenbanken fanden die Forscher heraus, dass Menschen mit verwandtem Erbgut heute in Bolivien und Peru leben.

Besonders hübsche Kinder

Auch für die EAAF sind die Ergebnisse wichtig. Sie ist die führende wissenschaftliche Forschergruppe, die sich der Identifizierung von vermissten Opfern der argentinischen Militärdiktatur (1976 - 1983) widmet. EAAF-Forscher Carlos Vullo, der an der Erbgutanalyse der Mumie beteiligt war, sagte: "Die Feststellung, dass wir aus einer so alten Gewebeprobe Ergebnisse gewonnen haben, die mit archäologischen Befunden übereinstimmen, erweitert die Perspektive der Beweisaufnahme von forensischen Untersuchungen stark degradierter Leichname."

In den Anden wurden bislang über ein Dutzend Opferstätten mit Kindermumien gefunden. Die Opfer sind nach heutigem Erkenntnisstand besonders hübsche Kinder gewesen. Haaranalysen von zwei Mädchen- und einer Jungenmumie, die 1999 in der Nähe des 6730 Meter hohen Andengipfels Llullaillaco entdeckt worden waren, haben mehr über die Rituale offenbart.

Demnach war es bei den Inka üblich, den zu opfernden Kindern Maiswein und Koka zu geben. Die drei Kinder der Llullaiaco haben es vermutlich kaum mitbekommen, dass sie lebendig in ihrem Grab eingemauert wurden. Sie starben vermutlich ohne Bewusstsein an Unterkühlung.

Kinder wurden zum Opfer auserkoren

Die langen Haare des älteren, etwa 13 Jahre alten Mädchens ermöglichten es damals auch, die Ernährungsgewohnheiten des Kindes in seinen letzten Lebensjahren zu entschlüsseln. Die Wissenschaftler um Andrew Wilson von der University of Bradford konnten zeigen, dass das Kind ein Jahr vor seinem Tod plötzlich wesentlich besser ernährt war.

Mais und Maisprodukte, die viele Nährstoffe enthalten, gehörten dann auf einmal zur Standardnahrung. Auch Coca und Alkohol nahm das Mädchen ein Jahr vor seinem Tod häufiger zu sich. Das deutet darauf hin, so die Wissenschaftler, dass die Kinder lange vor der Opferung ausgesucht und dann bevorzugt behandelt wurden.

Sowohl bei den Kindern vom Andenvulkan Llullaillaco als auch beim dem Jungen vom Aconcagua wurden Grabbeigaben gefunden. Bei dem Jungen lagen drei kleine Lama- und drei menschliche Figuren aus Gold und Silber im Grab.

Heute ist die Aconcagua-Mumie im Besitz der Universidad Nacional de Cuyo (UNC) in Mendoza (Argentinien). "Die Aconcagua-Mumie befindet sich in einem Zustand, in dem sie nicht zur öffentlichen Ausstellung geeignet ist", sagt Roberto Bárcena, Leiter des Ethnologischen Instituts der UNC. Es gebe zudem eine internationale Debatte über ethische Vorbehalte gegen die Ausstellung von Mumien oder anderen menschlichen Überresten.

Einige der Bergsteiger, die die Mumie entdeckten, befürworteten dieses Jahr die Errichtung einer Erinnerungsstätte im Hochgebirge, in der der getötete Siebenjährige wieder bestattet werden könnte.

Die Inka lebten ursprünglich im heutigen Peru. Dann breiteten sie sich um 1500 bis nach Westargentinien aus. 1533 wurde der letzte Inka-Herrscher, Atahualpa von spanischen Konquistadoren getötet. Damit nahm das Inkareich sein Ende.