Beide Menschenarten siedelten gleichzeitig auf der gleichen Fluss-Terrasse

Neandertaler - Schädel
Der Neandertaler (Schädelrekonstruktion im Vordergrund) ist dem modernen Menschen im heutigen Grenzgebiet von Ober- und Niederösterreich begegnet. Wie das Zusammentreffen abgelaufen ist, darüber lässt sich heut nur mehr spekulieren.
Linz - Die genauen Umstände bleiben im Dunkeln der Urgeschichte verborgen, doch das wenige, was über diese spezielle zwischen-menschliche Begegnung im heutigen Grenzgebiet von Ober- und Niederösterreich aus den Funden geschlossen werden kann, ist spannend genug: Material- und Geländestudien des deutschen Geoarchäologen Alexander Binsteiner weisen darauf hin, dass Neandertaler und der moderne Homo sapiens vor rund 40.000 Jahren im Donau-Enns-Delta aufeinandergetroffen sind. Wie die beiden Menschen-Spezies miteinander umgegangen sind, ob es zu gewalttätige Auseinandersetzungen, zu Kooperation oder gar zur gemeinsamen Fortpflanzung gekommen ist, bleibt allerdings Spekulation.

Die Region, wo die Enns in die Donau mündet, sah vor 40.000 Jahren freilich anders aus als heute, nämlich wie eine Tundra. Nördlich und südlich befanden sich Gletscher. Rentiere und Mammuts weideten auf den Wiesen entlang der Flüsse. Dorthin folgten ihnen die Menschen und siedelten sich schließlich am Wasser in Lagern mit Zelten und Hütten aus Leder und Buschwerk an, die mit Steinen befestigt wurden. Von dort aus gingen sie auf die Jagd und fischten. Die Archäologen haben in den vergangenen Jahrzehnten Reste von mehreren Siedlungen sowohl vom Neandertaler als auch Homo sapiens entdeckt, die nur wenige Kilometern von einander entfernt lagen.

Zwei Siedler auf einer Fluss-Terrasse

Seit rund fünf Jahren läuft in Linz ein Projekt zur Erforschung der Steinzeitfunde, um unter anderem Verbindungen zu anderen Kulturen zu untersuchen, berichtete der Stadtarchäologe Erwin Ruprechtsberger. Der freiberufliche Geoarchäologe Binsteiner hat dabei festgestellt, dass die Siedlungen der beiden Menschentypen auf der gleichen Fluss-Terrasse lagen, somit gleichzeitig nebeneinander bestanden.

Obendrein hat die Analyse von rund 15.000 Feuersteingeräten aus drei Fundstellen - unter anderem Lanzenspitzen - Hinweise auf eine Art Technologietransfer zwischen ihnen ergeben. Rund vier Prozent der Neandertaler-Werkzeuge waren in einer Technik hergestellt, die dem modernen Menschen zugeordnet wird.

Binsteiner geht davon aus, dass Homo sapiens durch den Donaukorridor eingewandert und bei der Enns auf den ansässigen Neandertaler getroffen ist. Er fragt sich, ob das Zusammentreffen der beiden Menschenarten friedlich verlaufen ist oder von Gewalt geprägt war. Der Wissenschafter stellt einen Vergleich mit dem konfliktreichen Aufeinandertreffen des weißen Mannes mit den Ureinwohnern in Amerika, Afrika und Australien an, wo jeweils die Ureinwohner verdrängt wurden. Fest steht jedenfalls, dass der Neandertaler später verschwunden war und nur zu einem geringen Prozentsatz genetisch im modernen Menschen aufgegangen ist.