Wer ständig nur an das eine denkt und sein Leben danach ausrichtet, könnte an einer sogenannten Hypersexualität leiden. In der Wissenschaft ist über dieses Phänomen nur wenig bekannt. Einigen Forscher ist es gelungen, Sexsüchtige im Hirnscanner zu untersuchen. Sie haben dabei Parallelen zu Drogenabhängigen festgestellt. Meist versteckt sich dahinter eine tiefgreifende Depression.
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© Photographee.eu – fotoliaSex kann zu einer Sucht werden und viele sind davon betroffen, wobei die Hypersexualisierung unserer Gesellschaft es noch schwieriger macht, davon loszukommen.
US-Golf-Profi Tiger Woods und Schauspieler Michael Douglas: Sie und viele andere Prominente sollen sexsüchtig sein. Auch in TV-Serien wie „Californication“ oder zuletzt durch Lars von Trier mit „Nymphomaniac“ wurde die Sexsucht in Szene gesetzt. Vor allem in der Boulevard Presse taucht das Thema immer wieder auf. Viele Menschen meinen, es handle sich dabei lediglich um einen Mythos, um die Untreue der Stars mit einer Sucht zu begründen. Doch die Sexsucht gibt es tatsächlich, wird allerdings von Experten, wie Psychologen oder Therapeuten, als Hypersexualität bezeichnet. Auch wenn sich bereits zahlreiche Prominente deswegen behandeln haben lassen, ist noch immer wenig über die Störung bekannt.

Verschiedenste Ursachen

Die Forschung geht davon aus, dass etwa einer von 25 Menschen an Hypersexualität leidet. Betroffene sind dem Bericht zufolge süchtig nach sexuellen Handlungen und vernachlässigen ihren Alltag häufig, um ihr gesteigertes Verlangen zu befriedigen. Auch wenn die Datenlage zum Krankheitsbild nicht sonderlich gut sei, hätten Mediziner, Psychologen, Sexualwissenschaftler und Psychotherapeuten verschiedenste Ursachen für diese Störung ins Feld geführt. So ist oft eine manifestierte Depression Hintergrund der Krankheit. Betroffene versuchen dann ihre Depression mit dem Kick der Befriedigung durch Sex zu kompensieren. Außerdem könnte es sein, dass neben emotionalem, körperlichem oder psychischem Missbrauch in der frühen Kindheit Sexsucht auch durch die zunehmende Verfügbarkeit von Sex und Pornografie beeinflusst wird.

Dies ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Sexsucht in den letzten Jahren weiter zugenommen hat, wie der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychiatrie in Bad Herrenalb, Kornelius Roth, schreibt. Der Experte beschäftigt sich bereits seit Jahren mit dem Thema und hat auch schon einen Ratgeber für Betroffene und Angehörige geschrieben. Da Pornografie durch das Internet einfach und anonym verfügbar ist, könnten heute viele junge Männer an der Störung erkranken. Mit dem Phänomen haben sich nun auch britische Hirnforscher beschäftigt und haben neunzehn Männer, die unter Hypersexualität litten, und neunzehn gesunde Männer untersucht. Das Team um Valerie Voon von der University of Cambridge berichtet darüber im Fachjournal PLOS ONE.

Wissenschaftliche Tests mit Videos

„Die Patienten in unserem Versuch waren Männer, die substanzielle Schwierigkeiten dabei hatten, ihr Sexualverhalten zu kontrollieren“, erklärte Voon. „Es hatte signifikante Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Beziehungen.“ Die Probanden hätten in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeit zu Drogenabhängigen gezeigt. „Wir wollten deshalb sehen, ob sich diese Ähnlichkeit auch im Gehirn darstellen lässt.“ Dafür zeigten die Wissenschaftler den Versuchsteilnehmern ein paar kurze Sport- oder Pornovideos und überwachten gleichzeitig die Hirnaktivität der Probanden im funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRI). Die Forscher konnten eindeutig zeigen, dass drei Hirnregionen bei Sexsüchtigen aktiver waren als bei den gesunden Versuchsteilnehmern.

Keine Befriedigung beim Geschlechtsakt

Auch bei Drogensüchtigen, die Bilder ihrer Droge sehen, werden diese drei Regionen, das ventrale Striatum, die Amygdala und der anteriore ciguläre Cortex, stark aktiviert. Die Amygdala ist eine Hirnregion, in der die Relevanz von Emotionen und Ereignissen eingeordnet wird, im ventralen Striatum werden Verlangen sowie Motivation und im anterioren cingulären Cortex Süchte und Verlangen eingeordnet. Die Studienteilnehmer wurden während der Video-Session auch nach dem Grad ihres sexuellen Verlangens beim Betrachten der Bilder und danach, wie ihnen die Videos gefallen haben, befragt. Es sei bekannt, dass Drogenabhängige unbedingt ihren Suchtstoff haben wollen und der Genuss dabei nicht unbedingt im Vordergrund steht. Bei Sexsüchtigen scheint dies ebenso zu sein. Offenbar ziehen sie aus dem Geschlechtsakt keine wirkliche Befriedigung. Auch wenn ihnen beide Videoarten gleich gut gefallen hätten, sagten die Sexsüchtigen erwartungsgemäß, dass sie ein stärkeres Verlangen bei den Pornos empfunden hätten als bei den Sportvideos. Das höhere Verlangen spiegelte sich in der erhöhten Aktivität im Gehirn der Patienten wider.

Erklärung in der Entwicklungsbiologie des Gehirns

Die Wissenschaftler konnten zudem erkennen, dass die Aktivität im Ventralen Striatum beim Betrachten von Filmen umso höher war, je jünger die Hypersexuellen waren. In der Entwicklungsbiologie des Gehirns finde sich dafür eine Erklärung. Denn bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei die Impulskontrolle, die durch die Großhirnrinde gesteuert wird, noch nicht völlig ausgereift. Möglicherweise reagieren bei jungen Sexsüchtigen die Hirnregionen beim Anblick von erotischen Filmen deshalb so stark, weil die Kontrollregionen ihres Gehirns noch nicht perfekt funktionieren.

Unterschiede ähneln denen von Drogenabhängigen

„Wir konnten klare Unterschiede zwischen der Hirnaktivität von Patienten mit Hypersexualität und ohne diese Störung erkennen“, so die Forscher. „Diese Unterschiede ähneln denen, die wir von Drogenabhängigen kennen.“ Doch die Wissenschaftler betonten, dass man aus ihrer kleinen Studie nicht zu weitgehende Schlüsse ziehen sollte. „Unsere Ergebnisse sind interessant, aber sie können nicht dazu benutzt werden, Hypersexualität zu diagnostizieren. Wir können auch nicht sicher belegen, dass die Betroffenen wirklich süchtig nach Pornos sind, oder gar, das Pornografie süchtig machen kann.“

Zwangsstörungen besser verstehen

Das Team um Voon betonte, dass die Ähnlichkeiten zwischen Drogenabhängigen und Sexsüchtigen weiter untersucht werden müssten. Der Leiter der Neurowissenschaften und Männergesundheit vom „Wellcome Trust“, John Williams, sagte: „Zwangsstörungen, wie etwa das exzessive Betrachten von Pornos, übermäßiges Essen oder Spielen werden immer häufiger. Diese Studie hilft uns, ein wenig zu verstehen, warum manche Menschen Verhaltensweisen ständig wiederholen, obwohl sie wissen, dass sie möglicherweise schädlich sind. Ob sie nun Sexsucht, Drogenkonsum oder Essstörungen nehmen - es ist wichtig, zu wissen, wann und wie man den Kreislauf der Sucht am besten unterbrechen kann.“

Fachklinken und Selbsthilfegruppen

Unklar sei noch, ob es eine genetische Prädisposition für Hypersexualität gibt. Klar ist hingegen, dass die Folgen einer Sexsucht fatal sein können. Partnerschaften und Ehe gehen in die Brüche, Patienten verschulden sich massiv, da sie immer mehr Geld für ihre Sucht ausgeben und letztendlich über ihre Verhältnisse leben. In den USA existieren schon seit längerem Fachkliniken, die sich auf die Behandlung von Hypersexualität spezialisiert haben. In Deutschland bieten Selbsthilfegruppen wie die „Anonymen Sexaholiker“ oder „Anonyme Sex- und Liebessüchtige“ Betroffenen eine erste Anlaufstelle.

(ag)