refugee camp kreuzlingen undercover
Shams Ul-Haq ist Journalist pakistanischer Herkunft. Als 15-Jähriger war er selbst mit Schleusern nach Europa gelangt, mittlerweile ist er deutscher Staatsbürger.

Haq hat sich als Terrorismusexperte für deutsche Medien einen Namen gemacht. Er hat sich in Deutschland mehrfach undercover in Asylzentren eingeschlichen und danach über das Erlebte berichtet.

Am Samstag vor einer Woche hat Haq nun im thurgauischen Kreuzlingen unter falschem Namen Asyl beantragt. «Ich berichte wahrheitsgetreu, was ich ab dann im Kreuzlinger Erstaufnahmezentrum erlebt, gesehen und gehört habe.»

Sowenig wie die Neuankömmlinge in einer Schweizer Asylunterkunft die Behauptungen anderer Asylsuchender überprüfen können, sowenig hat Shams Ul-Haq den Anspruch, deren Schilderungen zu verifizieren.

Mit der Wiedergabe der Berichte der Asylsuchenden zeichnet Haq nach, welches Bild die Flüchtlinge vom Schweizer Asylwesen bekommen.

Haq will so mit seinen Undercover-Einsätzen im Sinne des deutschen Investigativjournalisten Günter Wallraff die Öffentlichkeit über Positives, aber auch die Missstände im Asylwesen informieren.

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Der Undercover-Reporter Shams Ul-Haq in der Asylunterkunft in Kreuzlingen TG.
1. Tag

Samstag, 9. Januar 2016

Um 16.50 Uhr komme ich am Samstag ohne Ausweispapiere am Bahnhof Kreuzlingen an. Ich hatte mir die Adresse des dortigen Flüchtlingsheims auf einem Zeitungsabschnitt notiert.

Um als Asylbewerber durchzugehen, habe ich mir einen Dreitagebart wachsen lassen und alte Kleider angezogen. Sonst habe ich nur ein bisschen Bargeld dabei.

Ich frage einen Taxifahrer auf Englisch, wie ich zum Kreuzlinger Asylheim komme. Ab sofort darf ich mich nicht mehr deutschsprachig unterhalten. Der Taxifahrer fragt sofort: «Camp?» Ich nicke: «Yes!» Er erklärt mir den Weg.

Rechts von mir geht es zur schweizerisch-deutschen Grenze, ich überquere die Strasse und sehe zwei Grenzbeamte, die aus einem VW-Bus steigen. Ich gehe auf die beiden zu und frage: «Where is the camp? I need asylum!» Dann zeige ich ihnen den Zettel mit der Adresse des Empfangs- und Verfahrenszentrums Kreuzlingen.

Einer der Beamten sagt: «Ach du Scheisse. Noch so einer.» Der andere meint: «Komm, schicken wir ihn zum Flughafen zum Asylverfahren. Dann wird er schnell abgeschoben.» Der erste wieder: «Ach, das ist mir zu viel Arbeit, wir bringen ihn zum Camp, oder warte, ich ruf mal kurz an.»

Nach fünf Minuten kommen drei weitere Grenzbeamte, einer von ihnen spricht. Die gesamten Gespräche finden auf Englisch statt. Ein Beamter fragt: «From which count­ry you are?» Ich: «From Pakistan.» Dann sagt er: «Pakistan hat kein Asylrecht in der Schweiz. Du wirst sehen, dass du innerhalb von vier Wochen abgeschoben wirst, und wir bezahlen deinen Aufenthalt hier mit unseren Steuern.»

Die Hände hoch und komplett nackt, muss ich mich um die eigene Achse drehen.

Darauf befiehlt der andere Beamte: «Komplett ausziehen!» Ich entkleide mich bis auf die Unterhose, Schuhe und Socken. Darauf der Beamte: «Komplett, alles ausziehen.» «Auch Unterhose?», frage ich. «Ja, auch die», lacht er.

Ich ziehe die Unterhose aus. Dann auch die Schuhe und Socken. Ich muss auf Anweisung des Beamten beides ausschütteln. Die Hände hoch und komplett nackt, muss ich mich um die eigene Achse drehen.

So erniedrigt habe ich mich in der Schweiz noch nie gefühlt.

Nach dieser Leibesvisitation bekomme ich ein gelbes Armband mit einer 11-stelligen Nummer. Einer der Beamten sagt: «Das ist ein Souvenir von mir für dich.» Ich denke, ich hätte mich verhört und frage: «Sorry, Sir?» Und er wiederholt laut: «SOUVENIR VON MIR FÜR DICH!»

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Dann nehmen mir die Beamten die Fingerabdrücke meiner Daumen ab. Ich nenne ihnen einen fiktiven Namen und ein falsches Geburtsdatum und unterschreibe das Formular. Danach bringen mich zwei zum Flüchtlingscamp.

Dort kommt es nochmals zur Durchsuchung, nur muss ich die Unterhose nicht mehr ausziehen.

Dafür muss ich mein Handy abgeben und mir wird ausdrücklich gesagt, dass es im EVZ Kreuzlingen ein Handyverbot gebe. Wer sich nicht daran halte, bekomme richtig Ärger.

Das Gebäude des Empfangszentrums, in dem ich zuerst bin, ist hochmodern mit neuer Technik ausgestattet. So ein modernes Camp ist mir zuvor noch nie untergekommen.

Man ruft mich anfänglich nicht bei meinem Namen, sondern mit «Hey Mister». Erst nach rund zwei Stunden höre ich zum ersten Mal den von mir angegebenen Namen Mr. Jamal, ganz laut und mit einem Zischen: «Pschpsch.»

Man ruft mich so, wie man einen Hund mit Armbewegungen heranruft.

Der Beamte bringt mich aus dem Camp in ein weiteres, kleineres Asylheim. Es sind eigentlich Büroräume einer Firma mit der Aufschrift «Office». Zwei Zimmer links und zwei rechts vom Flur.

Ich frage den Sicherheitsbeamten, warum ich nicht im gut ausgestatteten Camp bleiben könne. Er antwortet, jenes Gebäude sei nur für Familien und Minderjährige.

Etwa 90 Männer und Jugendliche unterschiedlicher Nationalitäten befinden sich in diesem zweiten Büro, die meisten davon Afghanen, Iraker und Iraner. Ich bin der einzige Pakistani.

Da ich schon Undercover in mehreren Flüchtlingsheimen in Deutschland unterwegs war, weiss ich genau, wie ich mich verhalten muss, um nicht aufzufallen und gleichzeitig Freunde zu gewinnen.

Ich brauche ein, zwei Personen, denen ich nach ein bis zwei Tagen eröffnen kann, wer ich bin und warum ich hier bin. In kürzester Zeit gelingt es mir, Vertraute zu finden.

Die Asylsuchenden empfinden es als grosses Problem, dass sie nicht zu Hause anrufen können, um den Verwandten mitzuteilen, dass sie noch am Leben sind.

Ein Afghane erzählt mir auf Urdu, dass die Sicherheitsbeamten sehr unfreundlich seien und uns schlagen würden. Ich frage in einer kleinen Gruppe, welche Probleme auf mich zukommen könnten. «Du kannst vergessen, dass Du heute Abend in Ruhe schlafen kannst», heisst es. «Warum?», frage ich. «Weil wir jeden Abend in einem Kriegsbunker schlafen.»

Das schockt mich, obwohl ich in Europa schon viele Flüchtlingsheime besucht habe.

Wenn sich einer verspätet, wird er angeschrien.

Um 19.30 Uhr steht ein Bus bereit, um uns abzuholen. Wir passen nicht alle hinein. Die Sicherheitskräfte drücken uns aber hinein, damit es doch geht.

Nach rund 20 Minuten Fahrt kommen wir bei der Feuerwehr der Stadt Kreuzlingen an. Am Hintereingang gibt es tatsächlich einen Bunker. Jeder wird nochmals kontrolliert.

Man darf bis zum nächsten Morgen nichts im Bunker essen und trinken, das steht überall und wird allen Neuankömmlingen ausdrücklich gesagt.

Jeder macht sich frisch, aber es gibt keine Dusche, sondern nur Waschbecken. Manche haben die Möglichkeit, bis 22 Uhr einen Film zu gucken.

Pünktlich wie beim Militär bringen die Beamten dann alle ins Bett. Wenn einer sich verspätet, wird er angeschrien. Der Flüchtlingsausweis muss vorne am Bett hängen, bis 23 Uhr ist das Licht noch an und die Leute unterhalten sich. Danach wird komplett abgedunkelt.

Zwei Sicherheitsbeamte schauen noch einen Film. Dieser ist so laut, dass zumindest ich lange nicht schlafen kann.

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2. Tag

Sonntag, 10. Januar

Punkt 6 Uhr ruft jemand: «Wake up, wake up, wake up!» Wir haben 30 Minuten Zeit, um uns fertig zu machen, aufzuräumen, das Bett zu machen und für den Bus bereit zu sein.

Um etwa 07.20 Uhr sind wir wieder im «Office Camp». Alle müssen anpacken, um das Frühstück vorzubereiten. Ich frage einen Kollegen, wie es mit meinem Asylverfahren läuft, weil ich auf meinem Dokument noch kein Foto habe, die meisten anderen aber schon.

Es heisst, dass Samstag und Sonntag die Migrationsbehörden nicht arbeiten würden. Am Montag bekäme ich ein Foto, und mir würden von allen Fingern Abdrücke genommen. Dann dürfe ich auch zweimal am Tag rausgehen.

Mir gelingt es, einen Sicherheitsbeamten von meiner Undercover-Arbeit zu überzeugen.

Den kompletten Sonntag verbringe ich damit, vertrauenswürdige Personen zu finden und so viel Informationen über das Camp zu sammeln wie möglich.

Mir gelingt es, einen Sicherheitsbeamten von meiner Undercover-Arbeit zu überzeugen. Ich sage ihm meinen richtigen Namen. Nachdem er mich gegoogelt hat, ist er positiv überrascht.

Natürlich ist es ein Risiko, den Beamten einzuweihen, aber ich vertraue ihm, weil er mir erzählt hat, dass er die Sicherheitsfirma verlassen werde, da er es für unmenschlich halte, was hier gemacht werde.

«Aber wenn wir die Regeln hier nicht einhalten, bekommen wir einen Riesenanschiss vom Chef», sagt er. Er versorgt mich mit wichtigen Informationen für meine Undercover-Arbeit.

Mittags werde ich positiv überrascht: So ein gutes Mittagessen hatte ich bis dahin noch in keinem Asylheim. Zudem sehe ich, dass es draussen vor dem Camp einen kleinen Hof mit Tischtennis und Tischkicker gibt, wo wir relaxen können.

Das Schlimmste für mich ist immer, abends in den Bunker zu müssen. Der Tagesablauf ist immer der gleiche.

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3. Tag

Montag, 11. Januar

Am Montagmorgen betrete ich wieder das moderne Camp, in dem nur Minderjährige und Familien untergebracht sind. Hier werde ich fotografiert, und von jedem meiner Finger wird ein Abdruck genommen. Zwei sehr freundliche Frauen machen das.

Ab diesem Tag fange ich auch an, Deutsch zu sprechen. So kann ich schneller das Vertrauen der Mitarbeiter gewinnen.
Wenn mich jemand mich fragt, wo ich denn so gut Deutsch gelernt habe, sagt ich: «Im Goethe-Institut in Islamabad.»

Auf Deutsch kann ich einen deutschen Sicherheitsmann fragen, wie schlimm es sei, dass meine Fingerabdrücke abgenommen wurden, denn ich wolle nach Deutschland, weil da meine Familie angekommen sei.

Der Kerl lässt das kleine Kontrollfenster am Empfang auf meinen Nacken niedersausen.

Der Mann ist sehr freundlich. Neben ihm sitzt ein Schweizer Beamter. Er sagt: «Die Schweiz ist doch auch gut, warum willst du deine Familie nicht hierherholen?» Da antworte ich provozierend: «Nein, Deutschland ist besser als Schweiz.»

Der deutsche Beamte gibt mir die Hand und lacht. Der Schweizer aber ist richtig sauer. Er sagt mir, ich solle zum Fenster kommen und mal hinauslehnen.

Der Kerl lässt das kleine Kontrollfenster am Empfang auf meinen Nacken niedersausen. Ich bleibe ruhig, weil ich hier ein anderes Ziel habe, als Streit anzufangen.

Dann erkundige ich mich bei einem Einwanderungsbeamten über den Ablauf meines Asylverfahrens. Mir wird gesagt, dass dies hier nur ein Empfangscamp sei. Nach einem kleinen Interview in den nächsten Tagen würde man mich zu einem anderen Camp transportieren. Aber wie lange es bis dahin dauere, könne er nicht sagen.

Bis es so weit ist, will ich aber in das grosse moderne Camp hineinkommen, um zu sehen, wie es Familien und Minderjährigen geht.

Das gelingt mir mit einem Trick: Ich melde mich krank. Begleitet von einem Sozialmitarbeiter, werde ich ins moderne Camp gebracht. Hier gibt es vor dem Arztzimmer eine lange Schlange. Mir ist klar, dass es drei bis vier Stunden dauern würde, bis ich drankomme.

Ich kann mir also das grosse Camp von oben bis unten anschauen. Ich spreche ein afghanisches Mädchen an, das gut Englisch spricht, und esse mit ihr zusammen sehr gut und in modernem Ambiente. Dabei frage ich sie über die Probleme des Camps aus.

Sie berichtet, es seien hier viele Kinder ohne Eltern.

Sie erzählt, dass das Asylverfahren nur sehr langsam laufe und sie bereits einen Monat warte und es hier teilweise so voll sei, dass die Leute auf dem Boden schlafen müssten. Zudem gebe es für die Kinder und Minderjährigen, die ohne Eltern in die Schweiz kommen, kein Unterhaltungsprogramm. Sie würden sich langweilen und darüber ärgern, manchmal drei bis vier Stunden Schlange stehen zu müssen, um das Zentrum verlassen zu können.

Sie sagt auch, dass die Sicherheitsbeamten hier noch extremer mit den Leuten umgehen würden als im kleinen Camp.

Es gebe einen Raum, in den Sicherheitsleute Flüchtlinge mitnähmen, um sie zusammenschlagen. Ich zweifle. Das Mädchen sagt, es sei ihr egal, wenn ich ihr nicht glaube.

Weiter berichtet sie, es seien hier viele Kinder ohne Eltern. Diese stünden oft unter grossem Stress. Sie müssten betreut werden, weil sie psychisch krank seien.

Sie erzählt von einem 9-jährigen afghanischen Mädchen, das mit einem 2-jährigem Kind aus der Türkei hergekommen ist. Das afghanische Mädchen erzählt mir weiter, dass viele an Keuchhusten leiden würden und viele Familien Angst vor Tuberkulose hätten. Eine Krankenschwester bestätigt mir, dass es dieses Problem geben könne.

Eigentlich soll ich bereits heute den Ausweis mit dem Foto erhalten, aber es ist so viel los, dass ich den Ausweis erst Dienstag bekomme. Es ist ein weisses A4-Papier, das man immer an der Pforte abgibt, um einen orangenen Ausweis mit Foto zu bekommen, mit dem man das Asylzentrum verlassen kann.

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Zudem kann man das Blatt draussen vorweisen, wenn man von einem Polizisten kontrolliert wird.

Der Ausgang ist geregelt: Man darf von Montag bis Freitag jeweils drei Stunden vormittags und fünf Stunden nachmittags das Camp verlassen. Am Wochenende darf man komplett draussen bleiben.

Nach drei Tagen habe ich zu vielen Beamten schon ein gutes Vertrauensverhältnis, da ich für sie auch oft übersetze. Ich lerne einen Türken kennen, der ebenfalls gut deutsch kann, dies aber nicht vor den Beamten gezeigt hat.

2000 Euro pro Person will er von mir haben, um die Familie nach Westeuropa zu bringen.

Er gehört zu einer Schleuserorganisation und hat immer abends telefoniert. Man hat aus seinen Gesprächen gemerkt, dass er den Leuten in verschiedenen Flüchtlingsheimen hinterherläuft, wenn jemand aus der Türkei gekommen ist und nicht zahlte.

Ich mache mich mit ihm vertraut und frage ihn, wie er das alles mache, weil es ja gar nicht möglich sei, in verschiedenen Flüchtlingsheimen unterzukommen, wegen der Finderabdrücke.

Er behauptet, es sei möglich, verschiedene Fingerabdrücke abzugeben. Es gebe irgendwelche Chemikalien, aber mehr will er nicht verraten. Ich kann sein Vertrauen nur gewinnen, weil ich ihm sage, meine Familie sitze in einem Camp in Istanbul fest und ich wolle sie da rausholen. Ob er mir helfen könne.

2000 Euro pro Person will er von mir haben, um die Familie nach Westeuropa zu bringen. Die genaue Route will er nicht bekanntgeben. Er fragt mich nur nach meiner Handynummer. Natürlich habe ich eine falsche Nummer angegeben, denn mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben.

Ich sehe, wie der Beamte ihm zwei Ohrfeigen gibt.

Man darf vom Camp aus zu bestimmten Zeiten mit einem alten Samsung-Handy ohne Kamera telefonieren, aber man muss eine eigene Sim-Karte haben.

Am Montagnachmittag gibt es eine Auseinandersetzung im Hof zwischen einem Sicherheitsbeamten und einem Flüchtling. Ich sehe, wie der Beamte ihm zwei Ohrfeigen verpasst und ihn schubst. Später erfahre ich, dass der Flüchtling vom Beamten gerufen wurde und er nicht reagiert hatte.

Dieser Umgang der Beamten mit den Asylsuchenden ist besorgniserregend. Ich komme mit einer sehr vertrauenswürdigen Person ins Gespräch, die über ein Jahr dort gearbeitet hat.

Auch diese Person erzählte, dass hier die Flüchtlinge von Beamten zusammengeschlagen würden. Der Mann erinnert sich an einen Fall vor drei Wochen. Da sei ein Flüchtling krankenhausreif geschlagen worden.

Natürlich ist meine Frage sofort, warum nichts unternommen wurde. Der Mann behauptet, die Chefs der Sicherheitsfirma steckten mit der Polizei und der Schweizer Regierung unter einer Decke.

Der Flüchtling habe Anzeige erstattet, aber es sei nichts passiert. Der Mann bestätigt auch, dass es im modernen Gebäude einen Raum gebe, in dem Flüchtlinge von Sicherheitsbeamten zusammengeschlagen werden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten.

Ich erlebe aber auch immer wieder schöne Momente. Beispielsweise gibt es neben dem Camp eine kleine Küche, in der man am Radio Musik aus dem Heimatland hören kann.

Zudem werden am schwarzen Brett filigrane Zeichnungen und Sprüche der Flüchtlinge gezeigt, die sehr schön anzuschauen sind und die Kunstfertigkeit der Asylanten demonstrieren. Mit diesen Zeichnungen können die Flüchtlinge ihren Stress herauslassen und sich entspannen.

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Ein Bild hat mich besonders interessiert: ein vollbärtiger Mann, dessen Gesicht in rot eingerahmt und durchgestrichen ist, und daneben stand: Not ISIS.

Als Terrorismusexperte interessiert mich immer wieder, wie der IS in Flüchtlingsheimen einen Nährboden findet.

In Kreuzlingen haben mir die Leute Verschwörungstheorien vorgetragen. Die Behandlung, die Unterbringung und das Verschleppen des Asylverfahrens sei mit Absicht so schlecht.

Ein Unsinn, der leicht unter Menschen kursiert, die nichts zu tun haben.

Ein Kinderspiel für den IS, besonders jungen Männern den Floh ins Ohr zu setzen, dass Gebetsräume fehlten, weil die Schweizer wollten, dass sie konvertieren.

Den Neuankömmlingen ist eine Gesellschaft, in der die eigene Religion keine Rolle spielt, fremd. Der Mumpitz lässt sich deshalb schwer als solcher erkennen.

Doch längst zündeln die Islamisten in den Heimen, etwa über soziale Netzwerke wie WhatsApp. Die Fanatiker beten das Mantra, die Schweizer würden ihnen nur helfen, um ihre Kinder später fürs Christentum zu gewinnen.

Die Krawalle und Schlägereien in den Unterkünften sollte die Schweiz nicht nur als Ausdruck von Lagerkoller deuten, sondern auch als Menetekel für weit Schlimmeres.

Mein Bettnachbar redet im Schlaf. Arabische Worte wie Mudschaheddin.

Die Gründe, einander ans Leder zu gehen, sind gänzlich irrational. Ein Beispiel: Syrische Flüchtlinge werfen ihren irakischen Flurnachbarn vor, dass der IS-Chef Ibrahim al-Badri aus dem irakischen Samara stamme. Der Irak trage deshalb am Krieg in Syrien die Schuld. Hört sich irre an, ist es auch.

Am Montagabend bekomme ich einen neuen Nachbarn im Bunkerbett. Er hat im Schlaf geredet, arabische Worte wie Mudschaheddin und Allah-Akbar.

Es ist für mich klar, dass ich herausfinden muss, woher er kam und was mit ihm los ist. Ich bekomme heraus, dass dieser junge Mann aus dem Irak stammt und für eine islamistische Gruppierung gekämpft hat.

Ob es IS war oder eine andere Organisation, kann ich nicht feststellen.
Wenn es in Schweizer Flüchtlingsheimen so weitergeht, würde es mich nicht wundern, dass Leute zu Extremisten werden. Der Grund ist der schlechte Umgang mit den Flüchtlingen. Man kann das verhindern, indem die syrischen und irakischen Flüchtlinge beim Eintreffen sofort getrennt werden. Zudem müsste man den Geheimdienst des betreffenden Landes innerhalb von ein bis zwei Tagen kontaktieren, um herauszufinden, ob jemand als Krieger oder Terrorist aufgefallen ist.

Nur so kann verhindert werden, dass ausgebildete Kämpfer sich hier niederlassen. Zur Zeit kommen viele islamistische Kämpfer, zumeist vom IS, nach Europa.

Hier in Keuzlingen ist mir ein Mann aufgefallen, von dem ich aufgrund des Verhaltens sagen kann, dass er entweder früher einmal für eine terroristische Organisation gearbeitet hat oder gar hier als aktives Mitglied untergetaucht ist.

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4. Tag

Dienstag, 12 Januar

Am Dienstag darf ich endlich raus aus dem Asylzentrum, denn ich habe meinen Ausweis mit Foto erhalten.

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Nach vier Nächten im Bunker fühlte ich mich draussen wie ein freier Mensch. In Kreuzlingen gehe ich in die Cafeteria Mama Africa, weil ich gehört habe, dass das eine gute Einrichtung für Asylsuchende sei.

Und tatsächlich, alle Flüchtlinge, Erwachsene, Kinder, Familien, Frauen, sitzen zusammen im Mama Africa und eine Schweizer Band spielt Musik. Man kann kostenlos Getränke bekommen, eine Kleinigkeit zu Essen erhalten und für einen Franken darf man 25 Minuten das Internet benutzen.

So können die Flüchtlinge über Skype oder soziale Netzwerke mit ihren Familien Kontakt aufnehmen. Eine solch tolle Einrichtung habe ich in Deutschland nie gesehen.

Am Dienstagabend, gegen 19 Uhr, ist wieder etwas Schreckliches passiert. Ein Flüchtling kommt betrunken ins Heim und legt sich mit einem anderen Flüchtling an.

Der Beamte schlägt ihn und wirft ihn aus dem Flüchtlingsheim.

Danach werden beide vom Sicherheitsbeamten angehört und ich muss übersetzen. Der Betrunkene verteidigt sich natürlich und gibt die ganze Schuld dem anderen. Natürlich ist er auch nicht in der Lage, sich zu beherrschen vor Trunkenheit und wird von einem Beamten zwei- , dreimal ins Gesicht geschlagen und aus dem Flüchtlingsheim geworfen.

Draussen ist es kalt und stürmisch und der Flüchtling schreit nochmals. Der andere Beamte schlägt ihn draussen nochmals und sagt, dass er abhauen und nicht mehr ins Heim zurückkehren soll.

Es ist bald 19.30 Uhr, als der Bus bereit steht und wir zum Bunker gebracht werden sollen. Es interessierte mich, wo der Flüchtling ist.

Ein sehr netter Schweizer Sicherheitsbeamter geht auf die Suche. Er sagt mir, er würde ihn gleich holen.

Ich muss betonen, es gab auch sehr nette Schweizer Sicherheitsbeamte, aber diese hatten leider keinen Einfluss auf die schlechten, brutalen Vorgehensweisen ihrer Kollegen.

Der nette Sicherheitsbeamte erzählt mir, dass der Flüchtling nicht mehr in den Bunker mit den anderen gehen möchte, da er sauer sei und sich nicht beherrschen könne. Den Flüchtling habe ich danach nicht wieder gesehen. Sehr wahrscheinlich ist er abgehauen.

Die Sicherheitsleute sind nicht dafür ausgebildet, wie man mit Muslimen umzugehen hat. Es sollte auch einen Gebetsraum geben, damit die Muslime fünfmal täglich beten können und so zur seelischen Ruhe kommen. Das wäre für die Atmosphäre im Asylheim sehr wichtig.

Zudem müssten mehr Sozialarbeiter angestellt werden. Derzeit sind nur 20 Prozent des Personals Betreuer, der Rest besteht aus Sicherheitspersonal.

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5. Tag

Mittwoch, 13. Januar

Am Morgen des fünften Tags habe ich endgültig genug. Noch eine Nacht im Bunker halte ich nicht aus. Ich habe mich bereits informiert, wie ich herauskommen könnte. Wenn ich sage, dass ich nach Deutschland will, werde man mich sofort gehen lassen, hat man mir erklärt.

Und man helfe mir sogar mit Tipps, wie man nach Deutschland komme.

Genauso mache ich es dann auch: Nach dem Frühstück sage ich den Sicherheitsbeamten, dass ich nach Deutschland wolle und deshalb das Handy zurück möchte.

Der Beamte entgegnet, das sei kein Problem und ich solle nur warten, bis der Chef des Immigrationsbüros sein ok gebe.

Ein Flüchtling berichtet mir, wie man von Deutschland aus Drogengeschäfte in der Schweiz macht.

Und tatsächlich: Gegen Mittag darf ich das Camp verlassen. Wir sind insgesamt sechs Leute, die aus dem EVZ Kreuzlingen weggehen.

Dabei ist ein Flüchtling, der mir berichtet, wie man von Deutschland aus in der Schweiz Drogengeschäfte macht. Weil in der Schweiz Drogen viel teurer als in Deutschland sind, lohne es sich, Drogen hierher zu bringen. Es lohne sich schon, einmal jährlich eine Tasche voller Drogen zu schmuggeln.

Die Grenze sei kein Problem für solche Geschäfte. Man käme problemlos von Kreuzlingen nach Konstanz, ohne kontrolliert zu werden.

Und wenn man in der Schweiz merke, dass man hier schon einmal Asyl beantragt hat, müsste man halt 800 Franken Strafe zahlen. Das sei alles kein Problem, solange er nicht mit den Drogen erwischt werde.

Langsam dämmert es mir, weshalb mit mir weitere Personen das Asylzentrum verlassen und das Asylverfahren abbrechen wollen.

Drei der Männer waren stets gut angezogen und die letzten Tage morgens früh gegangen und spät erst wieder gekommen. Sie waren wohl ihren Drogengeschäften nachgegangen. Aber weil sie die Regeln des Asylzentrums verletzten, hätten sie die nächsten 2 bis 3 Tage im Camp bleiben müssen. Also verliessen sie es ganz.

Einer aus der Gruppe, mit der ich das Camp verlasse, bietet mir aufgrund meines guten Deutschs an, bei den Drogengeschäften mitzumachen. Um keinen Verdacht zu erregen, sage ich: «Inschallah», also «so Gott will» würden wir dereinst gute Geschäfte machen. Dann gebe ich ihm eine falsche Handynummer.

Ich warte, bis sie weg sind und löse in Kreuzlingen ein Bahnticket nach Frankfurt.

Dann mache ich mich auf den Weg nach Hause.