Bad Aibling - Das Zugunglück bei Bad Aibling hat zahlreiche Todesopfer gefordert. Stefano K. überlebte - und sah die anderen sterben. Sein trauriger Augenzeugenbericht aus dem Meridian.

plettenberg
Verletzt, aber am Leben: Stefano K. (24) hat das Unglück überlebt. Er war im Zug Richtung Rosenheim.
Stefano K. (24) atmet schwer. Immer wieder versagt ihm die Stimme. „Ich hatte einen Riesen-Schutzengel.“ Der junge Mann aus Bruckmühl stöhnt, keucht leise - seine gebrochene Rippe schmerzt beim Atmen. Aber Stefano K. lebt. Er war Dienstagfrüh im Zug nach Rosenheim. „Da war überall Blut. So viele Menschen haben geblutet.“ Wenige Stunden nach dem Unglück spricht er in der tz über den schrecklichen Unfall. Ein Bericht aus dem Inneren des Todes-Zuges.

Stefano K., Vater eines sieben Monate alten Sohnes, arbeitet als Maler und Lackierer in Rosenheim. Er ist spät dran an diesem Dienstagmorgen, den Zug um 6.04 Uhr hat er verpasst. Um 6.33 Uhr steigt er an der Haltestelle Hinrichssegen in den Meridian. Es sind noch Sitzplätze frei, aber K. steht lieber. Für gewöhnlich steckt er sich jetzt die Kopfhörer ins Ohr, aber heute hat er sie zuhause vergessen. Gedankenverloren sieht er aus dem Fenster und döst vor sich hin. Der Zug fährt los.

Schweres Zugunglück bei Bad Aibling - Die Bilder

Mit einem Schlag ist Stefano K. hellwach. Ein hoher, schriller Ton: die Notbremse. K. sagt: „Ich dachte, jetzt ist es vorbei.“ Dann der Knall. „Um mich herum sind die Menschen durch die Luft geflogen“. Auch K. wird von den Beinen gerissen, knallt mit voller Wucht gegen eine Armlehne, wird gegen eine Metall-Haltestange geschleudert, dann gegen eine Trennscheibe. Dort bricht er zusammen.


Kommentar: Hat damit eine Warnung einen der Züge erreicht?

Es ist dunkel. Überall liegen Menschen auf dem Boden, viele schreien um Hilfe. „Alle Lichter im Zug waren ausgegangen“, erzählt K. „Um mich herum bluteten die Menschen. Sie bluteten aus der Nase, aus dem Mund, aus Wunden am Kopf.“ Er selbst kann nicht alleine aufstehen, Arme und Beine schmerzen, seine Rippen fühlen sich an, als hätte ihm jemand ein Messer hineingerammt. Zwei Männer helfen K. auf die Beine. Er ruft: „Geht es allen gut?“ - Ein Mann, wohl zwischen 45 und 50, liegt am Boden, er bewegt sich nicht. K. beugt sich hinunter, sieht, dass der Mann blutet. „Eine tiefe Wunde, dort, wo der Blinddarm sitzt.“ K. schaltet in den Rettungsmodus: Seit zwei Jahren ist er bei der Wasserwacht. Er reißt sich den Pullover vom Leib und drückt ihn fest auf die Wunde, um die Blutung zu stillen. K. ertastet den schwachen Pulsschlag des Mannes, redet auf ihn ein und zwickt in den rechten Arm. Keine Reaktion.

„Alles schien eine Ewigkeit zu dauern. Wahrscheinlich waren es nur ein paar Minuten“, erinnert sich Stefano K. Im Zug schlagen Passagiere mit Hämmern gegen die Scheiben. „Auch von draußen prügelten Menschen mit Steinen in der Hand auf die Scheiben ein“, sagt K. Andere versuchen, Verletzte aus dem Zug zu ziehen. „Unser Zug stand noch, der andere war umgekippt. Von oben regneten Funken herab.“

K. kann sich kaum bewegen, er hat starke Schmerzen. Wenige Minuten später treffen die Rettungskräfte ein, zwei Männer stützen ihn auf dem Weg raus. Er kommt ins Krankenhaus nach Bad Aibling. Hier stellen sie eine Gehirnerschütterung fest, einen verstauchen Fuß sowie eine gebrochene Rippe. Auch die ausgekugelte Schulter renken sie K. wieder ein.

K. denkt an den verwundeten Mann im Zug. Er fragt bei einer der Schwestern nach, sie schüttelt traurig den Kopf. Der Mann ist tot.