An Deutschlands Universitäten liegen die Nerven blank. Immer mehr Studenten schlucken Psychopharmaka, immer öfter werden ihnen psychische Störungen attestiert. Fast jede dritte Hochschülerin hat laut Techniker Krankenkasse (TK) im vergangenen Jahr mindestens einmal diese Diagnose erhalten, bei den jungen Männern war es jeder achte. Von 400 Studierenden schaffen 16 ihre Vorlesungen nur noch mit Antidepressiva. Die Elite von morgen - ein Häuflein von angst- und verhaltensgestörten Psychowracks?

Es sind vor allem die Steigerungsraten, die Kassenchef Norbert Klusen beunruhigen. In nur vier Jahren stieg das Volumen der verordneten Nervenarznei bei den TK-versicherten Studenten um 54 Prozent - auf im Schnitt 13,5 Tagesdosen pro Person und Jahr.

Der Anteil derer, die vom Arzt Medikamente gegen Depressionen erhalten, erhöhte sich um 40 Prozent. Wenn man dies fortschreibe, warnt Klusen, gebe es spätestens im Jahr 2046 keinen Studenten mehr ohne entsprechendes Rezept.

Macht Studieren krank? Ist der Druck auf angehende Akademiker so gewachsen, dass viele ihr Studium nur noch mit Hilfe von Analytikern und Psychopillen durchstehen? Oder gilt inzwischen jeder mentale Durchhänger als depressive Störung und jede Prüfungsangst als behandlungsbedürftig, zum Wohle von Ärzten und Pharmaindustrie?

Die Antwort liegt dazwischen. Die Reformerei sei an den Studenten nicht spurlos vorbeigegangen, sagt Klusen. Uni-Gebühren hätten den Zeitdruck ebenso verschärft wie die neuen Bachelor- und Masterabschlüsse. Sechs Semester statt bisher zehn oder zwölf, dazwischen Praktika und möglichst auch noch Auslandserfahrung. „Wir verlangen sehr viel“, sagt der Kassenchef. Angesichts der Flut von Psycho-Diagnosen müsse man sich aber auch Gedanken machen, „wo die Grenze zwischen gesund und krank gezogen wird“. Und zur Kenntnis nehmen, dass sich bei den Therapeuten „das Angebot seine Nachfrage schafft“. Rainer Woratschka