Frauen Graffitti
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Nach der Gewalt in der Silvesternacht wurden laut FAZ (15.2.16) mittlerweile 73 Beschuldigte ermittelt und 15 sitzen in Untersuchungshaft. Es soll sich nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft „weit überwiegend“ um Asylbewerber handeln. Nur einem von ihnen wird bislang ein Sexualdelikt zum Vorwurf gemacht. In den anderen Fällen geht es überwiegend um Eigentumsdelikte wie Diebstahl. Auch drei Deutsche seien unter den Beschuldigten.

Wir wissen also immer noch nicht, wie viele Geflüchtete an den Sexualdelikten beteiligt waren. Darüber hinaus ist immer noch nicht auszuschließen, dass die sexuelle Gewalt in der Silvesternacht nicht primär etwas mit den Asylsuchenden zutun hat, die erst in den letzten Jahren vermehrt nach Deutschland gekommen sind (The Independent, 15.2.15). Der neue Polizeipräsident von Köln Jürgen Mathies bestätigt zudem, dass es keine Hinweise darauf gibt, “dass man es hier mit Strukturen organisierter Kriminalität zu tun hat.” Es gibt also keinerlei Beweise für die islamophoben Thesen der “Feministin” Alice Schwarzer, dass es sich um koordinierte Angriffe des “Islamischen Staats“ auf Frauen handeln würde.

Der neue Polizeipräsident hat in einem FOCUS-Interview (12.2.16) allerdings auch behauptet, “dass das Phänomen solcher sexuellen Übergriffe in der Gruppe etwa in Kairo auch ganz massiv ein Problem ist. Dieses Verhalten, dass Frauen von vielen Männern zugleich eingekesselt und dann missbraucht werden, das kannten diese Täter wahrscheinlich schon aus ihren Herkunftsländern. Ich muss allerdings sagen, dass mir dieses Phänomen für Deutschland bislang nicht bekannt war.”

Mathies, Schwarzer und viele rechte Kommentatoren tun so, als ob das Phänomen der kollektiven sexuellen Belästigung von Männergruppen (“taharrush jama’i”) in der “islamischen Welt” etwas ganz normales sei. Einige meinen sogar, dass es etwas mit dem islamischen Fundamentalismus zu tun hätte. Aber seit wann greifen betrunkene [sic!] strenggläubige Muslime fremde Frauen im öffentlichen Raum an? Für viele strenggläubige Muslime ist es allein schon verpönt die eigene Frau in der Öffentlichkeit zu küssen. Es hat also absolut nichts mit dem Islam zutun, Frauen im öffentlichen Raum zu begrapschen. Und schon gar nicht unter Alkoholeinfluss. Die kollektive sexuelle Belästigung von Männergruppen wurde in Kairo (2006 und 2011-2013) von bezahlten Verbrechern oder Regierungstruppen ausgeübt, um Frauen einzuschüchtern, damit sie sich in Zukunft von Demonstrationen fernhalten würden. Dieses Phänomen ist keine Praxis, die man vorher aus islamischen Ländern kannte, sondern etwas relativ Neuartiges.

Dass dies in den letzten Jahren auch in einigen anderen islamischen Ländern vorgekommen ist, hängt vielleicht damit zusammen, dass die kollektiven sexuellen Belästigungen auf dem Tahrir Platz medial auch in anderen islamischen Staaten übertragen wurden und dadurch eventuell Nachahmer gefunden haben. Es kann auch damit zusammenhängen, dass die immer schlimmer werdenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der “islamischen Welt” die sexuellen Frustrationen der Jugendlichen gesteigert haben. Denn wer keine Arbeit und kein Geld hat, kann auch nicht heiraten und nur schwer eine Freundin finden. Dies gilt allerdings auch für die “migrantischen” und geflüchteten Jugendlichen im Westen, die struktureller Diskrimierung ausgesetzt sind. In Regionen und Bevölkerungsteilen, in denen patriarchale Strukturen stärker ausgeprägt und Vorehelicher Geschlechtsverkehr als unsittlich gelten, sind die sexuellen Frustrationen der Armen besonders hoch. Gleichzeitig nimmt der Konsum von Pornographie immer mehr zu und steigert die scheinbar unbefriedigten sexuellen Bedürfnisse. Weltweit bilden sozio-ökonomische Benachteiligungen und frauenverachtende Ideologien einen fruchtbaren Nährboden für sexuelle Gewalt, die zudem durch Massenmedien und sexistische Werbung verstärkt werden. Auch wenn radikalislamistische Ideologien, Prediger und Bildungsinhalte den Sexismus und Gewalt gegen Frauen begünstigen, ist es falsch zu behaupten, dies hätte irgend etwas mit dem Islam an sich zu tun. Auch die Tatsache, dass die Mehrheit der Straftäter von Köln aus Nordafrika stammt, sagt nichts über die angebliche Normalität sexueller Übergriffe von Männergruppen in den Herkunftsländern aus. Wenn dieses Phänomen bei maghrebinischen Muslimen so weit verbreitet wäre, warum hat man so gut wie noch nie von sexuellen Übergriffen von nordafrikanischen Männergruppen in Frankreich gehört, wo eines der größten nordafrikanischen Gemeinden außerhalb des Maghrebs lebt? Was die sexuellen Übergriffe einzelner Männer angeht, steht auf einem anderen Blatt und ist bei Typen jeglicher Couleur anzutreffen.

Es ist auch falsch zu behaupten, dass kollektive sexuelle Belästigungen noch nie in Deutschland vorgekommen wären und eine neue Dimension sexueller Gewalt widerspiegeln würden, wie es der Kölner Polizeipräsident oder Alice Schwarzer behaupten. Zur Erinnerung, hier ein Zitat von zwei Journalistinnen, die 2011 von einer weißen Männergruppe auf dem Oktoberfest belästigt wurden: “Allein der kurze Weg zur Toilette ist der reinste Spießrutenlauf. Drei Umarmungen von wildfremden, besoffenen Männern, zwei Klapse auf den Hintern, ein hochgehobener Dirndlrock und ein absichtlich ins Dekolleté geschütteter Bierschwall sind die Bilanz von dreißig Metern.“ (Süddeutsche Zeitung, 29.9.11)

Es gab schon immer Übergriffe von betrunkenen Männergruppen, die Frauen kollektiv belästigt haben. Dies ist allerdings kein Phänomen, dass in der „islamischen Welt“ irgendeine längere Tradition oder gesellschaftliche Relevanz besitzen würde. Solche Übegriffe haben weder etwas mit der Religion, dem Land oder der Nationalität der Täter zu tun, sondern spiegeln den allgemeinen Chauvinismus, Machismus und Sexismus patriarchaler Männern aus aller Herren Länder wider.